piwik no script img

Regierungskrise in FrankreichWie kann es weitergehen?

Drei Szenarien, wie das Land auch nach einem Misstrauensvotum regiert werden kann. Der Staatshaushaltsentwurf für 2025 würde vorerst in den Müll wandern.

In einer „Krisensituation“ könnte er ohne das Parlament weiterregieren: der französische Präsident Emmanuel Macron Foto: Aurelien Morissard/AP Pool/dpa

Paris taz | Falls die Regierung Barnier über die Vertrauensfrage strauchelt, ist unklar, wie es in Frankreich weitergeht. Die Verfassung besagt, dass der Staatspräsident, Emmanuel Macron, jemanden seiner freien Wahl mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen muss. In welcher Frist, das ist nicht festgelegt. Auch nicht, ob der neue Premier und sein Ministerkabinett nicht eventuell sogar dasselbe Team sein darf, das zurücktreten musste.

Ohnehin wird Macron nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum die bisherige Regierung vorerst damit betrauen, die laufenden Staatsgeschäfte weiterzuführen. Und das kann bei Macron, wie man aufgrund seiner langen Bedenkzeit vor der Nominierung von Barnier weiß, dauern.

Der Staatshaushaltsentwurf für 2025 wandert in den Müll. Er gilt als vom Parlament verworfen, wenn bei der Prozedur mit dem Verfassungsartikel 49.3 die Opposition mit Erfolg einen Misstrauensantrag dagegen einsetzt. Und selbst wenn Macron sogleich eine neue Regierung einsetzt, bleibt nicht genügend Zeit, um bis zur gesetzlichen Frist vor Jahresende einen neuen Haushaltsentwurf dem Parlament zur Debatte vorzulegen. Droht im kommenden Jahr ein Frankreich ohne Regierung und Staatshaushalt?

Damit Frankreichs Staat aber weiterhin funktionieren kann, bleiben noch mehrere Optionen. Zunächst kann die Regierung versuchen, den verworfenen Haushaltsentwurf für 2025 trotzdem per Dekret in Kraft zu setzen. Dieser Kraftakt wäre laut mehreren Verfassungsjuristen aber ziemlich fragwürdig und würde wohl vom Verfassungsgericht annulliert. Zweitens kann die (vorläufige) Regierung, gestützt auf den Verfassungsartikel 45, in dieser speziellen Situation eine Gesetzesvorlage mit demselben Staatshaushalt wie für 2024 einbringen und hoffen, dass dies von beiden Parlamentskammern akzeptiert wird.

Wird Macron mit Vollmachten regieren?

Es bleibt eine dritte Möglichkeit, die nicht so abwegig ist, wie sie auf den ersten Blick scheint. Gestützt auf den Verfassungsartikel 16 kann Emmanuel Macron als Präsident in einer Krisensituation Vollmachten geltend machen und ohne Einwände einer Regierung oder des Parlaments seine Haushaltspolitik per Dekret durchsetzen. Vielleicht hatte man zu schnell verdrängt, dass diese von General de Gaulle nach seiner Rückkehr an die Macht 1958 diktierte Verfassung der fünften Republik dem Staatschef eine unvergleichbar große Macht gewährt.

Falls er mit Vollmachten regiert, würde der parlamentarische Einfluss der Parteien wie ein demokratisches Alibi wirken. Der Regierungschef würde auf die Rolle eines ausführenden Untergebenen des Präsidenten reduziert. Die bisherigen Staatschefs änderten daran nichts. Präsident Nicolas Sarkozy formulierte das treffend so: „Der Premierminister ist (nur) ein Mitarbeiter. Der Patron, das bin ich.“ Falls also Macron ganz legal mit Vollmachten herrschen will, würde dies nur in drastischer Weise eine Realität der institutionellen Machtverteilung verdeutlichen.

Agnès Verdier-Molinié ist nicht die Einzige, die argwöhnt, Macron habe selber mit der Auflösung der Nationalversammlung und den Neuwahlen die jetzige Krise nicht nur verursacht, sondern womöglich diese Situation geschaffen, die es ihm erlaubt, ungestört von Regierung und Parlament als Staatschef zu regieren. In Le Figaro meint die für ihre ultra­liberalen Stellungnahmen bekannte Politologin, die Abgeordneten, die sich etwas darauf einbildeten, dass sie die Regierung stürzen können, seien also bloß Macrons „Hofnarren“.

Die Oppositionsfraktionen spekulierten darauf, dass Macron selber zur Klärung der verfahrenen Situation zurücktreten werde, um so den Weg für vorzeitige Präsidentschaftswahlen freizumachen. Dies aber sei eine tragische Illusion – und darum auch das Misstrauens­votum zum Sturz des Ministerkabinetts ein Fehler. Auch fünf sozialistische Abgeordnete der NFP sind gegen den Sturz von Barnier.

Wenn aber die 185 Unterzeichner des NFP-Misstrauensantrags und mit ihnen auch 126 RN-Abgeordnete in der Nationalversammlung gegen Barnier stimmen, wäre das Schicksal der Regierung arithmetisch besiegelt. Ob das Macron nun will oder nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!