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„Russland wird immer probieren, die Sanktionen zu umgehen“

Mit gezielten Maßnahmen gegen Öltanker versucht die EU erneut, Russlands Wirtschaft in die Knie zu zwingen. Doch das ist nicht einfach, sagt der Handelsökonom Julian Hinz

Greenpeace-Aktivist*innen demonstrieren im April in der Ostsee vor einem Schiff, das russisches Öl transportiert Foto: Frank Molter/dpa

Interview Anastasia Zejneli

taz: Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bereiten laut Medienberichten ein 15. Sank­tionspaket gegen Russland vor. Inwieweit können Wirtschaftssanktionen Russland schwächen?

Julian Hinz:Es ist wichtig, dass man darüber nachdenkt, was man mit diesen Sanktionen bezwecken möchte. Und ich glaube, dass es in der deutschen und auch europäischen Öffentlichkeit falsche Erwartungen gab. Sanktionen können Russland wirklich empfindlich schwächen, aber sie werden niemals die russische Wirtschaft komplett zum Erliegen bringen. Wir sanktionieren seit 60 Jahren Nordkorea, und das zappelt weiter. Was diese Sanktionen tatsächlich bewirken können, ist, dass sie es deutlich kostspieliger und schwieriger machen für Russland, weiter diesen Krieg zu führen. Ohne diese sähe die ­Ukraine ganz anders aus.

taz: Die Ver­tre­te­r*in­nen der EU-Staaten diskutieren ein schärferes Vorgehen gegen die sogenannte russische Schattenflotte, die Öl und Ölprodukte aus Russland exportiert. Wie wichtig sind die Rohölexporte für die russische Wirtschaft?

Hinz: Russland ist ein Rohstoffexporteur. Es ist das Businessmodell der russischen Wirtschaft, Öl und Gas zu verkaufen. Und das hat die EU mit den Sanktionen schon relativ empfindlich getroffen. Besonders, weil Westeuropa und vor allem Deutschland zu den größten Abnehmern gehörten. Gleichzeitig hat aber natürlich eine Verknappung des Angebots zur Folge, dass der Preis für ein Barrel Öl gestiegen ist. Das heißt, das, was Russland noch verkaufen konnte, besonders nach Indien oder China, wurde teilweise auch zu höheren Preisen verkauft, als es vorher der Fall war. Somit ist weiterhin relativ viel Geld in die russischen Staatskassen geflossen.

taz: Können Sie das beziffern? Wie viel hat Russland in den letzten zwei Jahren durch Rohstoffexporte eingenommen?

Hinz:Nach Schätzungen ­eines finnischen Forschungs­instituts hat Russland seit Anfang 2022 immer noch fast 800 Milliarden Euro durch Rohstoffexporte einnehmen können – davon circa 200 Milliarden durch Verkäufe in die EU.

taz: Auch Greenpeace warnt vor der russischen Schattenflotte. Es sind alte, oft marode Tanker, die täglich russisches Öl durch die Ostsee transportieren und weltweit verkaufen. Welche Risiken bergen diese Frachter?

Hinz: Normalerweise, wenn große Mengen Öl transportiert werden, müssen diese durch Versicherungen gedeckt sein, um Umweltschäden oder Unfälle abzusichern. Bei der sogenannten Schattenflotte handelt es sich um alte Frachter, die weder im Besitz westlicher Reedereien sind noch durch etablierte internationale Versicherungen gedeckt werden. Oftmals werden Versicherungen aus weniger regulierten Ländern genutzt, was die Transparenz erheblich reduziert. Dies macht es schwierig, den Ursprung des Öls nachzuverfolgen oder Verantwortlichkeiten zu klären. Diese Schiffe bergen erhebliche Risiken für die Umwelt, insbesondere weil sie oft schlecht gewartet sind. Sollte Öl aus diesen Tankern ins Meer gelangen, wären die Schäden enorm, und rechtlich wäre es schwierig festzustellen, wer haftbar gemacht werden kann.

taz: Weiß man, wie viele Frachter Russland einsetzt?

Hinz:Inzwischen sind es knapp 300 Schiffe, die sie vermutlich unter eigener Regie haben. Das gesamte System der Schattenflotte, also auch mit Schiffen, die Iran oder Venezuela gehören, ist weitaus größer. Es gibt Experten, die von fast 900 Schiffen weltweit insgesamt ausgehen, die außerhalb der gesetzlichen Vereinbarungen Öl und Gas verschiffen.

taz: Großbritannien hat schon Anfang der Woche 30 von diesen Schiffen auf die Sanktionsliste gesetzt, und die EU plant sehr wahrscheinlich bis zu 50 Frachter zu sanktionieren. Wie sinnvoll ist diese Entscheidung bei dieser Anzahl von Frachtern?

Hinz:Es ist manchmal nicht so ganz einfach zu erkennen, welche Schiffe zu dieser Schattenflotte gehören. Daher kann man nicht alle auf einmal sanktionieren. Ich habe von 48 weiteren gehört, von denen man jetzt recht sicher ausgeht, dass sie eben genau dazu gehören.

taz: Im Einklang mit den EU-Staaten haben sich die G7-Staaten und Australien auf eine Preisdeckelung von 60 Dollar pro Barrel geeinigt. Laut Kyiv School of Economics wurden etwa im Oktober 2023 99 Prozent über der Preisdeckelung verkauft. Wie kann das sein?

Hinz:Russland verkauft sein Öl einfach an andere Staaten, die weder zur EU noch zu den G7 gehören. Da finden die Händler dann andere Vertragsklauseln, die die Preisdeckelung umgehen. Man muss sagen, dass dieses Geschäft recht undurchsichtig ist. Wenn man sich die russischen Staatseinnahmen anschaut, dann gibt es anscheinend immer Käufer, etwa China und Indien, die den Preisdeckel umgehen.

taz: Und wie funktioniert das dann?

Hinz:Russland umgeht den Preisdeckel, indem es Öl über diese Schattenflotte oder Drittstaaten wie China und Indien verkauft, die sich nicht an die Regelung gebunden fühlen. Oft werden Lieferungen ­verschleiert, etwa durch Schiff-zu-Schiff-Transfers auf hoher See, oder alternative Zahlungsmethoden genutzt. Teilweise werden anscheinend auch offizielle Abfertigungspapiere mit falschen Informationen – also Preisen unter dem Preisdeckel – versehen, obwohl höhere Preise gezahlt werden. Gleichzeitig ermöglicht die mangelnde ­Transparenz bei solchen Geschäften, dass Käufer und Transportwege kaum nachvollziehbar sind.

taz: Ist es denn überhaupt sinnvoll, dass es diese Preisdeckelung gibt anstelle von weitreichenden internatio­nalen Ein­fuhr­verboten?

Foto: Universität Bielefeld

Julian Hinz

ist Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld und forscht zudem am Kiel Institut für Weltwirtschaft.

Hinz:Wie will man das Russland verbieten? Russland kann natürlich seine Schiffe voll ­haben mit Öl oder auch Gas und damit andere Länder, die nicht sanktionieren, beliefern. Das ist schon schwierig. Es sei denn, man möchte physisch eine Blockade errichten. Aber das ist auch kaum machbar. Russland hat Häfen sowohl im Schwarzen Meer als auch in der Ostsee, im Arktischen Ozean und im russischen Fernen Osten.

taz: Das letzte Sanktions­paket beschloss die EU im Juni. Warum braucht es in diesem Jahr einen weiteren Beschluss?

Hinz: Das Problem ist, dass die EU-Staaten ihre Sanktionen gegen ein sich ständig anpassendes Russland beschließen. Russland wird immer probieren, diese Sanktionen zu um­gehen – was aus russischer Sicht auch rational ist. Das bedeutet, dass solche Sanktionspakete zwar technisch gut durchdacht sind, aber dennoch immer wieder angepasst werden müssen. Die EU kann nicht von heute auf morgen ein umfassendes und finales Sanktionspaket umsetzen. Es gab zum Beispiel bis Ende 2022 Übergangsfristen für bestehende vertragliche Exporte, die dann ausliefen. Erst 2023 wurde der Import von russischem Rohöl vollständig untersagt. Abgesehen davon, gibt es noch ein paar andere Punkte, an denen man recht deutlich ansetzen könnte.

taz: Welche wären das?

Hinz: Wir könnten versuchen, die Zahlungswege, über die der Gas- und Ölhandel läuft, zu stoppen. Das passiert auch immer häufiger. Vor zwei Wochen sanktionierten die Amerikaner die Gazprom Bank, den größten noch verbliebenen Zahlungsweg. Das macht es eben schwieriger, überhaupt noch Russland für das verkaufte Öl zu bezahlen. Auch Firmen aus dem EU-Ausland mit europäischer Beteiligung sollten nicht mehr mit Russland interagieren dürfen. Falls sie weiterhin mit Russland handeln, könnten die europäischen Anteilseigner belangt werden. Ein weiterer Punkt sind europäische Exporte in Drittländer. Es gibt immer wieder Berichte über technische Bauteile, die auf einmal nach Kasachstan oder Zentralasien geschickt werden. Und von dort finden sie dann zufällig ihren Weg weiter nach Russland. Da könnte die EU noch genauer hinschauen, beispielsweise indem ungewöhnliche Handelsströme automatisch identifiziert und dann hinterfragt werden. Gleichzeitig muss auch betont werden, dass so nur 15 bis 20 Prozent von dem vorherigen Handel mit Russland umgeleitet werden, und das zu erheblich höheren Preisen.

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