Neuer „Welt“-Chefredakteur: Im Boxring der Demokratie
Der neue „Welt“-Chef Jan Philipp Burgard ist ein Amerikanophiler mit gebrochenem Herzen. „Welt TV“ setzt mit ihm auf immer konfrontativere Formate.
Jan Philipp Burgard könnte man als Amerikanophilen mit gebrochenem Herzen bezeichnen. Er glaubte einmal an den amerikanischen Traum, konnte ihn dann aber als Korrespondent in den USA nicht mehr finden. „Auf meinen Reisen habe ich … ein Amerika kennengelernt, in dem harte Arbeit und der Glaube an eine bessere Zukunft immer seltener Berge versetzen können“, schrieb er 2018 in seinem Buch „Ausgeträumt, Amerika?“.
„Vielerorts habe ich die Menschen nicht mehr als optimistisch erlebt, sondern als verzweifelt und ängstlich.“ Das Land, das Burgard so idolisierte, sei nur noch ein zutiefst gespaltenes, der Traum zerbrochen. Und seine Diagnose dafür gibt einen Einblick in den Kopf eines Mannes, der Ulf Poschardt ab Januar 2025 als Chefredakteur der Welt ablösen wird.
Am vergangenen Dienstag gab das Medienunternehmen Axel Springer bekannt, dass zum Start des neuen Jahres Welt, Politico Deutschland und Business Insider Deutschland in einer neuen „Premium-Gruppe“ näher zusammenrücken sollen, mit Poschardt als Herausgeber. Der 39-jährige Burgard, seit 2021 Chefredakteur von Welt TV, wird nun Chef der ganzen Welt-Gruppe, zu der auch die Welt am Sonntag und der Fernsehsender N24Doku gehören.
Burgard wurde 1985 in Iserlohn geboren. Seine journalistische Karriere begann er bei der Lokalzeitung Iserlohner Kreisanzeiger, er studierte in Bonn und Paris. Vor allem die USA wurden zum Schwerpunkt seiner journalistischen Arbeit. Von 2017 bis zu seinem Wechsel zur Welt 2021 war er der USA-Korrespondent der ARD in Washington. Und bislang hat er vier Bücher über Amerika geschrieben – von der politischen Erfolgsgeschichte Barack Obamas („Von Obama siegen lernen oder ‚Yes, We Gähn!‘?“) zu einer „Supermacht im Umbruch“.
„Polarisierte Medienkultur“
In „Ausgeträumt, Amerika?“ beschreibt Burgard den Aufstieg Donald Trumps und die Frustrationen vieler Wähler, die ihm 2016 zum Einzug ins Weiße Haus verhalfen. Burgards Urteil: „Viele dieser Ängste wurden vom amerikanischen Polit-Establishment und von den Medien lange ignoriert, oft sogar belächelt.“ Trump sei nicht die Ursache für die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, er bringe sie nur brutal zum Ausdruck.
Vier Jahre später, nach der Wahlniederlage Trumps gegen Biden und dem bewaffneten Sturm auf das Kapitol in Washington, zog er eine ähnliche Bilanz: Die gesellschaftliche Spaltung in den USA sieht Burgard vor allem als „Konsequenz der stark polarisierten Medienkultur“. Erzkonservative Medien wie Fox News beschränkten sich, so Burgard, auf eine weitgehend unkritische Hofberichterstattung über Trump. Sender wie CNN und MSNBC hingegen würden nur „mit offen zur Schau gestellter Verachtung“ für Trump und seine Wählerbasis punkten wollen.
„Mediale Elite“
Auch die Demokraten seien mitschuldig. Sie würden sich, statt die Sorgen der Menschen um Arbeitsplätze aufzugreifen, nur um „identitätspolitische Herzensprojekte“ kümmern wie das Recht von trans Personen, im Militär dienen zu dürfen, schreibt Burgard.
Und dann geht es wieder um die Presse: „… die meisten linksliberalen Massenmedien räumten Zeitgeistsujets Priorität ein und bemerkten kaum, wie Trump an ihnen vorbei per Twitter die Themen traf, die Millionen Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten wirklich bewegten.“ Er spricht von einer „medialen Elite“, die die Lebenswirklichkeit „friedliebender, hart arbeitender Amerikaner“ nicht repräsentiere.
TV-Duell mit Höcke
Das ist womöglich einer der Gründe dafür, warum Welt TV mit Burgard am Ruder auf immer konfrontativere Formate setzt. Man müsse diese Ängste verstehen. Im April co-moderierte Jan Philipp Burgard ein TV-Duell zwischen den Thüringer Parteichefs Björn Höcke (AfD) und Mario Voigt (CDU).
Schon im Vorfeld wurde Kritik laut: Burgard biete dem Faschisten Höcke eine Bühne, hieß es mehrfach. Burgard selbst verteidigte die Entscheidung, er sprach von einem „Boxring der Demokratie“. Nach dem Schlagabtausch im Fernsehen wurde seine Moderation dann doch gelobt: Die Zeit nannte sie „solide“, der Spiegel „gut vorbereitet“. Burgard hakte bei Höcke wiederholt nach, korrigierte ihn mehrfach, forderte ihn heraus und hinterließ den Rechtsextremen ersichtlich gereizt.
Die Berliner Zeitung fühlte sich nach dem Duell dennoch ausgerechnet an Fox News erinnert, den Sender, den Burgard in seinem Buch auch kritisiert. Und nicht zu Unrecht. „Immer wieder wurde in Deutschland vor amerikanischen Zuständen gewarnt, in denen Politiker mit fragwürdigen Thesen regelmäßig ein Millionenpublikum erreichen, wo Unwahrheiten und billige Polemik unwidersprochen bleiben“, hieß es. Das weniger überzeugende Fazit der Zeitung: Womöglich habe Deutschland diesmal eine solche Portion Fox News gutgetan.
Welt TV bleibt Nischensender
Welt TV bleibt trotz großer Investitionen noch ein Nischensender, der den Erfolg der US-Vorbilder von Cable News in Deutschland bislang nicht wiederholen konnte. Doch zumindest mit Liveduellen scheint er ein Erfolgsrezept gefunden zu haben. Das Duell mit Höcke und Voigt bescherte Welt TV das größte Publikum seiner Geschichte: Insgesamt 1,03 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer schalteten ein.
Es folgte im Oktober die zweite Runde im „Boxring der Demokratie“ – und die Fortsetzung der Amerikanisierung des deutschen Fernsehens: ein Duell zwischen BSW-Namensgeberin Sahra Wagenknecht und AfD-Chefin Alice Weidel, ebenfalls von Burgard moderiert.
Die Hausmarke Bild kündigte es sogar als „TV-Duell extrem“ an und bezeichneten die zwei Gäste als „die beiden umstrittensten Frauen der deutschen Politik“, die „sich eine komplette Stunde live … streiten“ würden. So ist es dann auch wenig überraschend gekommen. Bis die beiden Damen auf Russland zu sprechen kamen, ein Thema, bei dem sie doch einiges politisch verbindet.
Politische Schreikämpfe
Am Ende bleibt das Paradox, dass Burgard einerseits um den Untergang seines Sehnsuchtslandes USA trauert und die Schuld dafür in den Medien und einem „woken“ Kulturkampf sieht, andererseits aber ebendiesen Kulturkampf von der anderen Seite zu bespielen versucht.
Und die politischen Schreikämpfe von Fox und Co importieren will, als würde das zu einer gesellschaftlichen Versöhnung statt einer tieferen Polarisierung führen. Ebendiese Logik dürfte Burgard nun als Chefredakteur der ganzen Welt-Gruppe fortführen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut