: Gegen die Kopflosigkeit
Bei der Handball-EM wollen die deutschen Frauen endlich einmal mit den Besten mithalten. Frische Kräfte könnten helfen. Erster Gegner ist die Ukraine
Von Frank Heike
Es sind seit Jahren die gleichen Fragen, die die deutschen Handballspielerinnen zu hören bekommen: Wann schafft ihr endlich den großen Wurf? Wann erreicht ihr endlich das Halbfinale? Unabhängig von der Besetzung auf der Trainerbank und im Spielerinnenkader müssen sich die jeweiligen Jahrgänge dieser nervigen Fragen stellen, was auch daran liegt, dass vor großen Turnieren häufig die Medaillenrunde als Ziel ausgegeben wurde, ihr Erreichen aber misslang, weil die DHB-Sieben im Viertelfinale oder der Hauptrunde ausschied.
Am Donnerstag saß Rechtsaußen Jenny Behrend am Spielort Innsbruck und antwortete: „Wenn wir auf 100 Prozent Niveau spielen, können wir es schaffen. Aber nur dann. Das ist uns bewusst und wir sind selbstbewusst genug, dass wir diesmal die Großen schlagen können.“ Die letzte Medaille holte der DHB 2007 – Kontinental-Bronze in Frankreich.
Für Behrend und ihre Kolleginnen geht es an diesem Freitag gegen die Ukraine los bei der EM in Österreich, der Schweiz und Ungarn. Weitere Gegnerinnen sind die Niederlande am Sonntag und Island zwei Tage später. Die Spiele werden beim Streamingsender sportdeutschland.tv live und kostenlos übertragen.
Behrend sagte: „Wir wollen mit einem Polster aus der Vorrunde kommen. Wenn es uns gelingt, aus einer guten Abwehr schnelle Gegenstöße zu laufen, kann es in diesem Turnier weit für uns gehen.“
Seit Andreas Michelmann, der Präsident des Deutschen Handballbundes, den Frauenhandball zur Chefsache erklärt hat und Markus Gaugisch Cheftrainer ist, ohne nebenbei eine Bundesligamannschaft zu coachen, wird der weibliche Handball hierzulande zwar ernsthafter betrieben – aber nicht wesentlich erfolgreicher.
Zwar sind unter Gaugisch Aufwärtstrends erkennbar – die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris vergangenen Sommer etwa oder zuletzt der sechste Platz bei der Weltmeisterschaft 2023 –, aber um bei der mit den Niederlanden ausgetragenen Heim-WM im November 2025 den Titel zu gewinnen und einen Boom auszulösen, fehlt ein gutes Stück: Norwegen, Frankreich, Schweden und Dänemark sind deutlich überlegen. „Bei den Niederlagen gegen sie waren nicht nur Klatschen dabei“, sagt Gaugisch, „aber sie sind uns in der individuellen Qualität voraus.“ Auf die norwegischen Olympiasiegerinnen und die talentierten und erfahrenen Däninnen werden die Deutschen in Wien in der Hauptrunde treffen – nur die beiden Ersten der Gruppe erreichen das Halbfinale, was Ausrutschen verbietet.
Wieder werden sich die Augen auf das Führungstrio Emily Bölk, Xenia Smits und Alina Grijseels richten. Sie bilden die Rückraumachse. Mit reichlich Erfahrung versehen, sollten sie am ehesten Phasen von Kopflosigkeit verhindern können; denn darum geht es: „Wir müssen sehen, dass wir in schwächeren Momenten nicht zu tief fallen“, sagt Gaugisch, der solche Minuten bei seinen bisher drei Turnieren erlebt hat und im situativen Coaching nicht immer überzeugte.
Markus Gaugisch, Trainer
Er wird in Sachen Kadermanagement mutiger sein müssen, um weit zu kommen – denn bei den Olympischen Spielen und der WM wirkten Bölk und Grijseels nicht durchgehend auf der Höhe. Von den Profis aus Budapest und Brest wird viel erwartet, zu viel? Oft wirken sie überfordert, das Team auf ein medaillenträchtiges Niveau zu hieven. Deswegen könnten in den Tagen von Innsbruck und danach frische Kräfte helfen, die Deutschen ins Halbfinale zu werfen. Eine von ihnen, Nieke Kühne, verletzte sich im Training leider so schwer, dass sie ausfällt. Bleibt die 20-jährige Viola Leuchter, die als wurfkräftige Linkshänderin ein Joker in Gaugischs Kartensatz sein könnte. Auch die coole Annika Lott sollte als zweite Spielmacherin mehr Einsatzzeit bekommen.
Im Team hinter dem Team hat sich der DHB professionalisiert. Erstmals ist Managerin Anja Althaus als Bindeglied zwischen Gruppe und Stab dabei. Auch der neue Sportvorstand Ingo Meckes hat die Reise in die Schweiz angetreten. Er sagte am Donnerstag: „Aus meiner Sicht gab es Topergebnisse und gewisse Einbrüche. Die Konstanz hat gefehlt. Aber das kann noch kommen, denn dieses Team kann noch vier, fünf Jahre spielen und ist nicht am Ende der Entwicklung.“
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