: Wer hat den Größten?
Das Hochhausleitbild regelt die Höhe und Gestaltung neuer Großprojekte. Bei der Überarbeitung im Baukollegium könnten Vorgaben für gemeinwohlorientierte Nutzungen wegfallen
Von Yannic Walther
Schon jetzt hat der noch im Bau befindliche Turm die Schwelle zum Wolkenkratzer geknackt. Bis Ende nächsten Jahres soll er dann fertiggestellt werden. Mit 176 Metern wird der Estrel Tower an der Neuköllner Sonnenallee bald Berlins höchstes Gebäude sein. Selbst den „Amazon Tower“ an der Warschauer Brücke wird der Hotelturm dann überragen.
Doch die Frage, wo Hochhäuser in Berlin stehen sollen und welche Regeln für ihren Bau gelten, bleibt umstritten. „Ich finde, dass dieses Hochhaus in Neukölln, was jetzt gerade entsteht, schwer begründbar ist“, sagte Ephraim Gothe (SPD), Baustadtrat von Mitte, bei einer Sitzung des Baukollegiums am Montag. Das Gremium gab bei der Sitzung erste Empfehlungen für die Überarbeitung des Hochhausleitbildes.
2020 hatte der damalige rot-grün-rote Senat das bis heute gültige Hochhausleitbild beschlossen. Der aktuelle Senat hat verabredet, es weiterzuentwickeln. Das Leitbild legt die Planungsschritte inklusive Öffentlichkeitsbeteiligung auf dem Weg zu einem Hochhausbau fest und soll einen Ausgleich schaffen zwischen Investoreninteressen und den Bedarfen der Stadtgesellschaft.
Zur Anwendung kommt es überall, wo die in der Umgebung vorzufindenden Gebäudehöhen um mehr als die Hälfte überschritten werden sollen. Bei der in den Innenstadtquartieren üblichen Berliner Traufhöhe ist das schon ab 35 Meter der Fall. Nicht zur Anwendung kommt es, wo es zuvor schon einen Bebauungsplan für das Areal oder eine Baugenehmigung für ein Hochhaus gibt – wie beim Estrel Tower in Neukölln.
Seit Jahrzehnten wird in Berlin über Hochhäuser gestritten. Genauso lang schon bleiben schwindelerregende Pläne im märkischen Sand oder in Insolvenzverfahren stecken. Vom Kollhoff-Plan, der in den 90ern noch eine Stadtkrone um den Alexanderplatz von dreizehn Hochhäusern vorsah, ist mit dem von Covivio bislang nur eins im Bau.
Am Kurfürstendamm, unweit von Zoofenster und Upper West, die einst ganz ohne städtebaulichen Wettbewerb hochgezogen worden sind, wollte Signa ursprünglich drei neue Hochhäuser bauen. Nach der Insolvenz des österreichischen Konzerns hat der Berliner Senat für künftige Interessenten festgelegt, dass am ehemaligen Signa-Standort nur noch ein Hochhaus entstehen soll.
Die Proteste gegen den vergangenes Jahr eröffneten Amazon Tower an der Warschauer Brücke zeigen: So manch einem ist es gar nicht so unlieb, wenn Berlin am Boden bleibt. Ganz anders sieht es der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Berlin müsse sich mehr trauen, sagte Wegner Anfang des Monats, als er während seiner USA-Reise auf das über 500 Meter hohe New Yorker „One World Trade Center“ starrte.
Dass Wegner sich für mehr Hochhäuser ausspricht, erstaunt nicht. Im November vergangenen Jahres hatte sich bereits die CDU auf ihrer Fraktionsklausur in Warschau für eine deutlich höhere „Skyline“ ausgesprochen. Entstehen könnten neue Hochhäuser entlang des Berliner S-Bahn-Rings, so der CDU-Vorschlag.
Von Warschau hatte sich die CDU dabei nicht unbedingt inspirieren lassen. In der polnischen Hauptstadt clustern sich die Hochhäuser in der Stadtmitte. Auch in anderen europäischen Hauptstädten sind die Standorte, wo Hochhäuser gebaut werden und wo eben nicht, deutlich abgegrenzt. In Berlin ist das aufgrund der verschiedenen Zentren der Stadt schwerer zu erkennen.
Gothe, der damals schon den Höhenrausch der CDU als „unseriös“ kritisierte, mahnte am Montag, dass die Entscheidungen, wo besonders hohe Hochhäuser gebaut werden, nicht abhängig sein darf von den „Sherpas der Investoren, die besonders gut verdrahtet sind“. Er betonte, dass Berlin mit dem Potsdamer Platz, Alexanderplatz, Breitscheidplatz, dem Europaplatz am Hauptbahnhof und dem Arena-Platz am Ostbahnhof bereits fünf Cluster für Hochhäuser habe.
In dieselbe Kerbe schlug dann auch das Baukollegium, das den Senat in städtebaulichen Fragen berät. „Wir halten es für richtig, die hohen Hochhäuser auf diese Cluster zu konzentrieren und nicht überall in der Stadt zuzulassen“, sagte Architekt Jörg Springer. Es ist eine der Empfehlungen, die das Gremium für eine Überarbeitung des Berliner Hochhausleitbilds ausgibt.
Die überwiegende Mehrheit der Beteiligten in Bezirk und bei den Investoren schätze das Leitbild, weil es die Diskussion versachliche und Transparenz in den Prozess bringe, hieß es von der Senatsbauverwaltung. Bisher gibt es allerdings noch kein einziges Hochhaus, das nach dem Leitbild gebaut wird. Laut der Senatsbauverwaltung sind derzeit berlinweit aber 50 Hochhäuser in den ersten Schritten der Planung. Die meisten davon sollen bis zu 60 Meter hoch werden. Fünf Türme könnten einmal über 100 Meter hoch ausfallen. Auffällig ist: Die Hälfte der Hochhäuser sollen vorrangig als Bürogebäude gebaut werden.
Jörg Springer, Architekt
So auch der Central Tower des Immobilienentwicklers HB Reavis an der Jannowitzbrücke, der das erste Hochhaus nach den Vorgaben des Leitbildes werden dürfte. Der Investor will hier 115 Meter in die Höhe bauen. Unter anderem aus dem Baukollegium kam im Frühjahr die Kritik, solch ein hoher Turm würde die Sichtachsen auf den Fernsehturm einschränken und nicht in die Umgebung passen. Das Landesdenkmalamt hatte eine Höhe von 95 Meter als noch vertretbar angesehen. Auch Bezirksbaustadtrat Ephraim Gothe (SPD) hatte sich für ein Stutzen der Pläne ausgesprochen.
Im Oktober forderte die Bezirksverordnetenversammlung in Mitte mit Stimmen der CDU und Grünen das Bezirksamt auf, einen nötigen Aufstellungsbeschluss in die Wege zu leiten, damit zügig ein Bebauungsplan für den Central Tower erarbeitet werden kann. An den 115 Metern störte man sich nicht wegen der von HB Reavis vorgesehenen Mischnutzung für das Gebäude. So sollen neben den 70 Prozent Flächen für Büros, die restlichen 30 Prozent des Gebäudes für soziale Nutzungen, Kultur, Wohnungen und Einzelhandel bereitgestellt werden.
Eine Mischnutzung, wie sie vom Berliner Hochhausleitbild vorgesehen wird, aber möglicherweise bei einer Überarbeitung gestrichen werden könnte. So hält auch das Baukollegium die Vorgabe von 30 Prozent Gemeinwohlflächen für schwer umsetzbar angesichts der Diskrepanz zwischen hohen Quadratmeterpreisen und den geringen Mieten, die beispielsweise eine Musikschule zahlen könne.
Bezirksbaustadtrat Gothe sagte, das Leitbild arbeite zwar mit „schönen Begriffen“, die am Ende aber „leere Versprechen“ blieben. Nachdem man beim Central Tower lange gerätselt habe, wie diese 30 Prozent Gemeinwohlnutzung überhaupt erfüllt werden können, hätte man festgestellt, dass man auf den Flächen bei Mieten über 30 Euro pro Quadratmeter lande. Es sei deshalb wichtig, dass sich ein Hochhausleitbild ehrlich mache. „Diese schönen Nutzungen wünschen wir uns zwar, die werden aber nicht erfüllbar sein bei einem teuren Hochhaus“, sagte Gothe.
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