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Scheinbar sinnlos, aberwertvoll

Den Weltklimakonferenzen eilt der Ruf voraus, nichts bewirken zu können. Das ist falsch. Sie sind ein Ort der Lösung und der zivilisatorischste Akt der Menschheit

Illustration: Katja Gendikova

Von Nick Reimer

Halbzeit der COP 29 in Baku: Gelegenheit, einige Missverständnisse aufzuklären, die es über diese 29. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention gibt. Missverständnis Nummer eins: Klimakonferenzen können dafür sorgen, dass die Klimaerhitzung erträglich bleibt. Ein fataler Irrtum. Das liegt daran, dass Weltklimakonferenzen keine Kohlekraftwerke betreiben, ergo auch keine Kohleblöcke abschalten können. Zuletzt hatte die Produktion von Kraftwerkskohle weltweit einen neuen Höchststand erreicht. Kohleverstromung ist die klimaschädlichste Art der Stromgewinnung. Zwar wird das auf den Klimakonferenzen wiederholt wie ein Tremolo, Wirkung hat das in der Welt der Ökonomie aber nicht. Das liegt am zweiten Missverständnis: Klimakonferenzen könnten mehr Klimaschutz beschließen. Stimmt nicht. Es ist eher so, dass ihre Beschlüsse „ratifiziert“, also in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Das bedeutet: Die Parlamente der 196 Vertragsstaaten müssen COP-Beschlüsse durch eigene Gesetze gültig machen. Die USA beschlossen zwar einst das Kioto-Protokoll zur Emissionsreduzierung mit, ratifizierten es aber nie. Die USA waren unter einem Präsidenten Donald Trump aus dem Paris-Protokoll ausgetreten. Jetzt, so hat es Trump als designierter Präsident angekündigt, wird er aus dem Paris-Vertrag erneut aussteigen, nachdem Joe Biden wieder eingestiegen war.

Drittens hat die UNO zwar eine eigene Polizei, die in Baku auf der COP 29 beispielsweise dafür sorgt, dass das Hausrecht der Vereinten Nationen auf dem Verhandlungsparkett durchgesetzt wird. Allerdings besitzt die UNO keine eigene Armee, etwa um Beschlüsse der UN-Klimakonferenz umzusetzen. Im Paris-Protokoll von 2015 verpflichten sich die Vertragsstaaten, „so bald wie möglich den weltweiten Scheitelpunkt der Emissionen“ zu erreichen. Trotzdem sind die Emissionen seitdem jedes Jahr auf ein neues Rekordniveau geklettert. So hat Brasilien das Protokoll zwar auch in nationales Recht umgesetzt. Trotzdem liegt die Entwaldungsrate im Amazonas-Regenwald derzeit so hoch wie nie. Sollte die UNO also Blauhelme nach Brasilien schicken, um international gültiges Völkerrecht durchzusetzen? Oder nach Deutschland?

In keinem Staat auf der Welt wird so ungehemmt gerast wie in Deutschland. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes könnte ein Tempolimit bis zu 8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jedes Jahr einsparen. Unser Bleifuß sorgt für mehr Klimalast als der Staat Ruanda insgesamt. Dort entstehen die Treibhausgase aber, weil 14 Millionen Menschen leben, essen, arbeiten. Und diese 14 Millionen Menschen leiden bereits heute mehr unter den Folgen der Klimaerhitzung – und haben nichts beigetragen zum Problem. Trotzdem weigern sich die Regierungen in Deutschland ein Tempolimit einzuführen. Weshalb – Missverständnis Nummer vier – die Klimakonferenzen der falsche Ort sind, um Fortschritte gegen das Erhitzen des Planeten zu erhoffen. Sicherlich: Klimakonferenzen können den Rahmen für eine weniger hitzige Zukunft setzen. So hatte die COP28 im vergangenen Jahr den Ausstieg aus fossilen Energien beschlossen. Die Bundesregierung aber torpedierte diesen Beschluss, sie baute Terminals für Flüssigerdgas LNG in Lubmin, Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Mukran.

Weil aber in aller Regel fossile Energie zur Umwandlung eingesetzt wird, ist LNG doppelt so klimaschädlich wie Erdgas, das via Pipeline aus Norwegen zu uns kommt. Stammt das LNG aus den USA oder Australien, ist es sogar bis zu sechsmal so dreckig, denn dort wird es durch Fracking gewonnen. Und die jetzt neu gebaute fossile Infrastruktur muss wenigsten 30 Jahre lang laufen, bis sie sich amortisiert. Weshalb die Wissenschaft auch Alarm schlägt: Überkapazitäten „gefährden Klimaschutzziele“ Deutschlands.

Wie soll also eine Klimakonferenz das Problem lösen, wenn die Nationalstaaten ständig klimaschädliche Entscheidungen fällen? Gleich zweimal ist die Bundesregierung von Oberverwaltungsgerichten schuldig gesprochen worden, weil sie zu wenig Klimaschutz betreibt. Statt sich jetzt anzustrengen, ging Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) gegen das Urteil zuerst in Revision. Dann änderte er zusammen mit FDP und SPD das deutsche Klimaschutzgesetz so, das „sektorbezogener“ Klimaschutz für diese Regierung nicht mehr notwendig wurde. Auf der Klimakonferenz geht es um Klimaschutz, das ist Missverständnis Nummer fünf. In Baku versuchen Staaten wie China, Indien, Brasilien, Südafrika, den CO2-Grenzausgleich der EU wegzuverhandeln. Es geht also um Handelspolitik: Aus Sicht der vier Brics-Staaten sind solche Maßnahmen Protektionismus „unter dem Deckmantel von Klimazielen“. Handelspolitik, Wirtschaftspolitik, Menschenrechte, Finanz- und Entwicklungspolitik – auf Klimakonferenzen geht es in erster Linie um Entwicklungschancen und Prosperität. Der menschgemachte Treibhauseffekt spielt in den Verhandlungen allenfalls auch eine Rolle. So versuchten die Industriestaaten diesmal einen eigenständigen Verhandlungspunkt „Emissions­reduktion“ auf die Tagesordnung zu setzen. Allerdings wurden sie bei diesem Ansinnen von den G7 Anfang der Woche überstimmt. Verhandlungen über weniger Emissionen finden sich jetzt in einer Fußnote der Gipfelagenda wieder.

Foto: Matthias Rietschel

Nick Reimer

ist Autor im taz-Zukunfts­ressort und Buchautor. 2021 erschien von ihm (gemeinsam mit Toralf Staud) „Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändern verändern wird“, Kiepenheuer & Witsch.

Damit steht jetzt schon fest, wie die Kommentare nach der COP 29 ausfallen werden: Von „viel zu wenig“ bis „wieder nichts gebracht“. Beides stimmt, ist gleichzeitig aber falsch: Eben weil die Nationalstaaten beim Klimaschutz derart versagen, wird die Klimakonferenz als „Ort der Lösung“ präsentiert. Die COPs werden überladen, ihnen wird eine Wirkung unterstellt, die sie gar nicht entfalten können. Im Politikgefüge der Nationalregierungen ist das höchst willkommen, denn es dient einer absurden Lastenumkehr: Wenn nicht einmal die UNO das Problem lösen kann, warum sollen wir das dann als Bundesregierung hinbekommen? Schon fordern Kommentatoren andere Formate. Solche Klimakonferenzen braucht niemand mehr“, schreibt beispielsweise der Spiegel. Dabei sind die Klimakonferenzen ein beispielloser zivilisatorischer Akt. Erstmals in der Menschheitsgeschichte verhandeln alle Staaten der Welt über das, was in 50 oder 100 Jahren die Zukunft der Menschheit sein soll. Zugrunde liegt mit dem Weltklimarat IPCC eine internationale Wissenschaft, die nie profunder und von allen Staaten anerkannt ist: Jedes einzelne Land muss den Ergebnissen des Sachstandsbericht zustimmen, bevor dieser veröffentlicht werden kann.

Ohne Klimakonferenzen gebe es keine verbindlichen Standards, wie die Produktion von Treibhausgasen gemessen, wie ihre Reduktion kontrolliert werden soll. Dadurch lassen sich die Mullahs in Teheran genauso in die wirtschaftlichen Karten gucken wie Chinas Kommunisten oder die Ölscheichs in Saudi-Arabien: Die Experten der Klimadiplomatie haben ein Recht, die Emissionsberechnungen vor Ort zu überprüfen. Erstmals hat die Menschheit mit den Klimakonferenzen global das „Recht des Stärkeren“ abgeschafft: Jeder Staat hat dieselben Rechte, egal wie groß seine Armee ist. Jeder Staat muss dem Verhandlungsergebnis zustimmen. Die COP 15 scheiterte 2009 am Inselstaat Tuvalu.

Erstmals in der Geschichte der Menschheit verhandeln alle Staaten der Welt über das, was in 50 oder 100 Jahren die Zukunft der Menschheit sein soll

Klimakonferenzen sind die solidarischsten Zusammenkünfte der Spezies Mensch – zumindest theoretisch: Weil die reichen Staaten des Nordens den Treibhauseffekt verursacht haben, sagten sie den Ländern des Globalen Südens 100 Milliarden Dollar jedes Jahr zu, damit diese mit den Folgen fertig werden. Das ist einerseits ein Schuldeingeständnis, auf das viele als Kolonien ausgebeutete Länder von ihren einstigen Kolonialherren immer noch warten. Andererseits gelang den Klimadiplomaten damit, woran „Entwicklungspolitik“ trotz jahrzehntelanger Mühe gescheitert ist: der Beginn einer Umverteilung von Nord nach Süd. Weil die Schäden drastisch zunehmen werden, soll diese Summe auf 300 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2030 anwachsen und dann auf 500 Milliarden bis 2050. Freilich wird an dieser Stelle wieder der Schwachpunkt der Klima­diplomatie deutlich: Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) ignoriert diese Zusage genauso wie viele Amtskollegen der G7.

Klimakonferenzen können ökonomische und regulatorische Rahmen beschließen, mit denen die Länder Klimaschutz erfolgreich umsetzen können. Das ist viel. Mehr aber auch nicht. Es sind die Nationalstaaten, denen ganz lieb ist, dass die Erwartungen an die COPs so hoch sind: Sie eignen sich trefflich als Projektionsfläche für das Scheitern des politischen Klimaschutzes. Die vergangenen zwölf Monate waren die heißesten, die jeweils gemessen wurden: Nach Datenlage des europäischen Klimabeobachtungsdienstes Copernicus lag die Temperatur im weltweiten Durchschnitt bereits 1,64 Grad über dem Niveau zum Ende des 19. Jahrhunderts. Es ist also höchste Zeit, auch in Deutschland endlich mit einem Klimaschutz zu beginnen, der angemessen und weltweit solidarisch ist. Regierungsamtlich nämlich ist jenes Restbudget, das wir Deutschen zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels noch zur Verfügung hatten, in diesem Frühjahr aufgebraucht.

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