Weiterbildung von Psychotherapeutinnen: Kein Geld für die Seele
Für die Weiterbildung von Psychotherapeutinnen fehlt es an Geld. Wenn sich nichts ändert, könnte 2030 die erste Generation fehlen.
Wer einfach nicht mehr kann, kann zur Psychotherapeutin gehen. Egal, ob man sich vor Angst nicht mehr auf die Straße traut, sich immer wieder in die gleiche unglückliche Beziehung reinmanövriert, oder einfach keine Kraft mehr findet, aus dem Bett zu steigen. Wenn aber die Ampel ihre Lähmung nicht bald abschüttelt, könnte es in einer Zeit, in der immer mehr Menschen und besonders Kinder psychologische Hilfe suchen, bald nicht nur an Kassensitzen, sondern auch an Therapeutinnen fehlen.
Der drohende Rückschritt wurde durch einen Fortschritt eingeleitet. Früher bekam man in der Ausbildung so wenig Vergütung, dass Therapeutin eigentlich nur werden konnte, wer entweder Geld hatte oder bereit war, einen dicken Kredit aufzunehmen. Um dieses Problem zu lösen, ist 2020 das neue Psychotherapeutinnengesetz in Kraft getreten. Damit wurde bundesweit ein eigener Master-Studiengang für Psychotherapie eingerichtet, in dem Verfahren von der Verhaltenstherapie bis zur Psychoanalyse gelehrt werden müssen. An dessen Ende erhalten die Studierenden anders als vorher bereits eine Arbeitserlaubnis.
Um als selbstständige Psychotherapeutin Kassenpatienten abrechnen zu dürfen, müssen die Absolventinnen nach dem Master aber nach wie vor eine – mit der Reform auf fünf Jahre festgelegte – Weiterbildung machen. Laut dem neuen Gesetz müssen sie während dieser Zeit nach dem E-14 Tarif bezahlt werden, so wie Medizinerinnen während ihrer Facharztweiterbildung auch. Das Problem: Wo das Geld herkommen soll, ist gesetzlich nicht geregelt.
„Wir können auf der bisher vorgesehenen Finanzierungsgrundlage der neuen Reform niemanden mehr weiterbilden“, warnt Günter Ruggaber, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT). Die Institute, die bisher für die Ausbildung zuständig waren, stecken in der Zwickmühle.
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Auf der einen Seite sind sie jetzt gesetzlich dazu verpflichtet, den Weiterzubildenden ein angemessenes Gehalt zu zahlen, auf der anderen Seite nehmen die Weiterzubildenden mit ihrer Arbeit selbst nicht genug ein, damit die Institute sowohl ihr Gehalt als auch die Kosten ihrer Ausbildung decken können.
Behandlung nicht in Vollzeit möglich
Laut einer Berechnung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Ausbildungsträgerverbände (BAG) müssten die Krankenkassen den Instituten pro Behandlungsstunde etwa dreißig Euro mehr zahlen als üblich, um die Finanzierungslücke zu schließen. Auf den Druck der Institute und Studierenden hin hat es bereits eine Änderung an dem neuen Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) gegeben.
Die Institute sollen jetzt mit den Krankenkassen über die Vergütung verhandeln können. Dabei legt das Gesetz aber bisher fest, dass nur Leistungen, die direkt gegenüber den Versicherten erbracht werden, von den Krankenkassen bezahlt werden sollen.
Wer die Ausbildung der Weiterzubildenden bezahlen soll, bleibt damit weiterhin offen. Denn im Unterschied zu Medizinerinnen können angehende Psychotherapeutinnen nicht in Vollzeit Patientinnen behandeln. Zur Weiterbildung gehören je nach Fachausrichtung mehrere Hundert Stunden Selbsterfahrung, Supervision und Theorievermittlung, in denen die Kandidatinnen sich auch mit ihrem eigenen Seelenleben auseinandersetzen.
Das ist vor allem für die Patientinnen wichtig. Wer sich mit seinen ganzen Ängsten in die Hände einer Therapeutin gibt, muss sicher sein können, dass die Therapeutin die eigenen Probleme nicht mit in die Therapie trägt. Nicht nur, weil die Behandlung sonst nicht funktionieren kann, sondern auch, weil man sich in einer Therapie einem enormen Machtgefälle aussetzt.
Warnung vor Kommerzialisierung
Rupert Martin, Sprecher der BAG, warnt deshalb eindringlich davor, die Institute in eine Kommerzialisierung hineinzudrängen. Die Gefahr besteht, dass angesichts der fehlenden Finanzierung Kürzungen bei den Inhalten der Weiterbildung gemacht werden. Befugt wäre dazu nur der Deutsche Psychotherapeutentag (DPT: die Versammlung aus den Psychotherapeutenkammern der Länder), und der schließt diese Möglichkeit bislang aus.
Aber das Schweigen der Regierung zur fehlenden Finanzierung kann durchaus als Druck aufgefasst werden, die Weiterbildung billiger zu gestalten. Martin fordert daher, gesetzlich festzuhalten, dass „alle Leistungen, die die Musterweiterbildungsverordnung vorsieht, bei der Kostenberechnung mit einbezogen werden“.
Felix Kiunke ist einer der ersten Absolventen des neuen Masterstudiengangs. Bereits letztes Jahr hat er eine Petition mit über 70.000 Unterschriften an den Bundestag gerichtet. Gerade weil er fürchtet, dass die Qualität der Ausbildung leiden könnte, fordert auch er neben dem garantierten Tarif-Gehalt, dass alle Bestandteile der Weiterbildung, die der DPT festgelegt hat, finanziert werden. Größer ist bei den Studierenden aber noch die Sorge, dass die Weiterbildungsordnung zwar aufrechterhalten, die Kosten der Selbsterfahrung und Supervision aber wieder auf sie abgewälzt werden.
2030 könnte Generation fehlen
Es besteht auch die Gefahr, dass im Falle einer Finanzierung Geld in private Taschen fließen könnte, denn einige der Ausbildungsstätten sind in privater Hand. Allerdings könnte der Gesetzgeber natürlich ausschließen, dass mit der Weiterbildung Profite erwirtschaftet werden, indem er zum Beispiel die Rechtsform der Institute festschreibt. So könnte er garantieren, dass alle Einnahmen an die Weiterzubildenden oder in die Weiterbildung selbst hineinfließen.
Nächstes Jahr beginnt der letzte Jahrgang seine Ausbildung nach der alten Regelung. Wenn die Institute danach keine neuen Kandidatinnen mehr nehmen, wird bereits 2030 die erste Generation an Psychotherapeutinnen fehlen. Der fehlende Nachwuchs würde sich aber schon lange vorher bemerkbar machen, denn die Auszubildenden decken selbst einen wichtigen Teil des Versorgungsbedarfs ab.
„Natürlich sind wir wütend“
„Natürlich sind wir wütend“, sagt Kiunke der taz. „Vor allem, weil das Problem seit mehr als fünf Jahren bekannt ist und jetzt ist es akut und wir haben immer noch keine Lösung.“ Wütend ist auch Lena Glade, Sprecherin des Forums Psychotherapeut*innen in Weiterbildung (PtW): „Bei uns löst die fehlende Regelung richtige Zukunftsängste aus.“ Zu Beginn ihres Studiums hatten sie nicht erwartet, am Ende vor verschlossenen Türen zu stehen. Jetzt haben sie einen Abschluss in der Hand, der ihnen überhaupt nichts bringt.
Außer der AfD, deren gesundheitspolitischer Sprecher Sichert Martin eher davon ausgeht, dass der Bedarf an Psychotherapie bereits gedeckt sei, scheinen die Parteien das Problem ernst zu nehmen. Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU, mahnt: „Die offenen Fragen zur Finanzierung dürfen nicht zu einer faktischen Zugangsbeschränkung zur Versorgung werden.“ Und Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen besteht der taz gegenüber sogar darauf, dass „Psychotherapeut*innen nicht selbst die Kosten für Theorie, Selbsterfahrung und Supervision tragen müssen“.
Aber der Koalitionspartner, auf den es ankommt, gibt sich weiterhin unkonkret. Dirk Heidenblut, der zuständige Abgeordnete der SPD, meint zwar, dass auch Zeit, die für Weiterbildung benötigt wird, bezahlt werden soll. „Die konkreten Kosten etwa für Supervision sollen aber nicht von den Kassen übernommen werden.“ Von wem dann? Eine Beteiligung der Länder wäre denkbar, sagt Heidenblut.
Am 16. Oktober haben Kiunke und Glade wieder vor dem Bundestag demonstriert. Ab nächstem Jahr werden jährlich etwa 2.000 neue Absolventinnen des Masters erwartet, die dann in genau derselben Situation sein werden, wie die beiden. Kiunke arbeitet übergangsweise in einem Bürojob. Glade hat ein Freisemester genommen. „So wie es aussieht, kann ich eh noch keine Weiterbildung machen, wenn ich fertig bin“, sagt sie frustriert.
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