Technolabelmacher Szepanski ist tot: Tanzen mit Deleuze
Achim Szepanski erkannte früh die politische Funktion von Rave und veröffentlichte visionäre elektronische Musik. Nachruf auf einen rastlosen Linken.
Von heute aus mag es weit weg erscheinen, doch Anfang der 1990er krempelte Techno einige der bis dahin geltenden Vorstellungen davon um, was Musik sein kann. Plötzlich brauchte es zum Tanzen nicht mehr als Beat und Bass, Vorurteile gegen „Maschinenmusik“ ließen sich durch den Erfolg von Raves empirisch widerlegen. Man feierte die Befreiung von Körpern durch den aufs Nötigste reduzierten Rhythmus.
1991 gründete der Frankfurter Achim Szepanski, der eigentlich über den Philosophen Michel Foucault arbeiten wollte, das Label Force Inc. Music Works. Für ihn waren dabei gesellschaftskritische Aspekte wichtiger als das „bloße“ Feiern, Techno hatte für ihn eine politische Funktion.
Produzenten wie Alec Empire veröffentlichten bei ihm und Wolfgang Voigt alias Love Inc., der mit dem Label Kompakt bald selbst eine Techno-Institution ins Leben rief.
Antiessentialistischer Rave
In den Folgejahren entfernte sich jene Musik, für die Szepanski sich interessierte, mehr und mehr von Dancefloor-Konventionen. 1994 startete er dann das Label Mille Plateaux, benannt nach dem Poststrukturalismus-Klassiker von Deleuze und Guattari.
Störgeräusche von Computern und damit Produktionsbedingungen elektronischer Musik wurden zum ästhetischen Schwerpunkt, die Reihe „Clicks & Cuts“ zum Namensgeber eines Genres. Bis die Pleite des Indie-Vertriebs EFA auch Force Inc. und seine Ableger 2004 in die Insolvenz trieb.
Danach gab es mehrere Anläufe, die Labels weiterzubetreiben. Mille Plateaux, 2018 von Szepanski erneut gestartet, veröffentlichte bis zuletzt Alben, oft nur als Download. Nebenbei versuchte er sich als Romancier und kapitalismuskritischer Theoretiker. Im Verlag des ehemaligen RAF-Mitglieds Karl-Heinz Dellwo erschienen mehrere Bände von ihm. Jetzt ist Achim Szepanski, der 1957 geboren wurde, am Sonntag gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen