Literaturnobelpreisgewinnerin Han Kang: Man darf nicht einfach Blume werden
Der diesjährige Literaturnobelpreis geht an die Südkoreanerin Han Kang. Ihren oft feministischen Geschichten haftet stets etwas Düsteres an.
Mit der Wahl Han Kangs zur diesjährigen Literaturnobelpreisträgerin zielt die Jury in Stockholm in eine gänzlich andere Richtung als noch 2023. Da hatte der Norweger Jon Fosse mit seiner zerquälten, düsteren Prosa den höchstdotierten Preis erhalten, den die Literaturwelt zu bieten hat. Han Kang nun, mit 53 Jahren verhältnismäßig jung, ist erst die 18. Frau, die in der Geschichte des seit 1901 vergebenen Literaturnobelpreises ausgezeichnet wird. Nach Südkorea ging der Preis überhaupt noch nie.
Man erfährt in ihren Büchern viel über das kleine, aber bevölkerungsreiche Land zwischen Gelbem und Japanischem Meer. Han Kang gewährt Einblicke in den Alltag Südkoreas, von dem zumeist das Bild von K-Pop und des unheimlichen Nachbarn im Norden dominiert, von dem man auch in Südkorea kaum mehr mitbekommt, als sich mit einigen an der Grenze zu Nordkorea aufgestellten Aussichtsfernrohren erkennen lässt.
Dass die südkoreanische Gesellschaft, obwohl westlich und modern eingestellt, in Bezug auf Geschlechterfragen immer noch sehr ungleich ist, ist nicht zuletzt durch Han Kangs Romane auch hierzulande bekannt geworden.
Seit ihrem internationalen Überraschungserfolg „Die Vegetarierin“, der 2016, neun Jahre nach Erscheinen in Südkorea, mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet wurde, ist das Interesse an koreanischen Schriftstellerinnen kontinuierlich gewachsen. Cho Nam-joos Roman „Kim Jiyoung, geboren 1982“ über eine mehr als durchschnittliche Hausfrau wurde etwa 2021 auch in Deutschland zum Bestseller.
Das teuflische Mittelmaß
Genau um dieses Durchschnittliche, das teuflische Mittelmaß, geht es auch Han Kang immer wieder. „Bevor meine Frau zur Vegetarierin wurde, hielt ich sie in jeder Hinsicht für völlig unscheinbar“, gibt der Ehemann besagter Vegetarierin im gleichnamigen Roman unumwunden zu. In den grauen Alltag in einem grauen Wohnblock gerät unvermutet Farbe, als sich eine junge Hausfrau zur Verwandlung in eine Blume entschließt und von einem Tag auf den anderen auf Fleisch verzichtet – was so gut wie undenkbar ist in der südkoreanischen Gesellschaft.
„Ich hatte einen Traum“, erklärt sie, als ihr Mann sie dabei erwischt, wie sie tütenweise Fleisch entsorgt. Und ein Traum muss die Verwandlung auch bleiben, denn man lässt eine Frau nicht einfach Blume werden. Gewalt prasselt von allen Seiten auf sie ein, sodass die Vegetarierin knospenlos bleiben muss. Zumindest so lange, bis im zweiten, surrealen Teil des Romans der Schwager der Protagonistin die verhinderte Blume in sein Kunstprojekt einbindet.
Über den Weg der Entfremdung, auf dem sich Körper und Geist schon seit so einigen Jahren in der modernen Gesellschaft befinden, erfährt man viel bei Han Kang. Wie mithilfe der Kunst beide wieder zueinander finden sollen und an dieser Aufgabe doch meistens scheitern, lässt sich auch in „Deine kalten Hände“ auf beinah schmerzhafte Art nachlesen.
Es sind dunkle Welten, die Han Kang aufschließt, und die sich von unserer vielleicht nur in der Temperatur unterscheiden: Ihren Figuren haftet meist etwas unnatürlich Kühles an. Wie ein verschwundener Bildhauer etwa in seinem Tagebuch seine vielfachen Versuche festhält, den perfekten Gipsabdruck eines Körpers zu schaffen, in den er hineinkriechen kann, ist durchaus unheimlich. Dass er sein perfektes Modell schließlich in einer übergewichtigen, missbrauchten Studentin findet, passt zum Body-Horror-Konzept der Autorin. Eine normierte Gesellschaft verlangt zwingend nach normalen Körpern.
Gewalt ist ein zentrales Thema bei Han Kang, psychische, durch das Umfeld ausgeübte, aber auch ganz konkrete: In „Menschenwerk“, einem Roman, den etwa Jury-Mitglied Anna-Karin Palm besonders hervorhob, spürt sie dem Volksaufstand von 1980 gegen das damalige Militärregime in Gwangju nach, der brutal niedergeschlagen wurde. Diesem Massaker war Han Kang auch persönlich nahe, ist die Autorin doch in der Stadt im Süden des Landes geboren. Vier Monate vorher zog die Familie, ohne etwas von der drohenden Tragödie zu ahnen, 1980 in die Hauptstadt Seoul. Ihr Vater, Han Seung-won, ist ebenfalls Schriftsteller.
Trotz all dem Dunklen, Gewaltvollen schimmert jedoch in allen Romanen Han Kangs die Menschlichkeit immer wieder durch. So ist es etwa die betrogene Schwester der „Vegetarierin“, die diese immer wieder vor dem Verhungern rettet. Han Kang erzählte zudem selbst mehrfach in Interviews, wie sie zwar die Fotos des Massakers von Gwangju, die sie als Kind zu Gesicht bekam, nachhaltig verstörten, sie jedoch das Bild einer meterlangen Schlange an Menschen, die in Folge zu Blutspenden antraten, wieder Hoffnung schöpfen ließ.
Han Kang interessiert sich für die vertrackte Beziehung zwischen dem Bewussten und Unbewussten, zwischen Körper und Geist. Doch es schlägt sich selten nieder in ihrer Sprache, das Transzendente, in ihren genauen, nüchternen Sätzen. Vielleicht ist das Terrain auch bloß zu weit, um es mit Wörtern richtig abzustecken. In ihrem letzten auf Deutsch erschienen Roman „Griechischstunden“ hat so Han Kangs Protagonistin ihre Stimme auch gleich ganz verloren. Wie gut, dass ihr eine wortgewandte Autorin zur Seite steht, die für sie spricht.
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