Frauenquote statt PR-Floskeln

Viele Games haben bis heute frauenfeindliche Inhalte. Das liegt auch an der Arbeitskultur in der Branche. Ein Verein will das ändern

Still aus „Life Is Strange“, ein Adventure-Spiel mit der Protagonistin Alex Chen Foto: deck nine

Von Martin Seng

Dass Sexismus überall ist, lässt sich nicht abstreiten. In der Familie, am Arbeitsplatz und in der medialen Unterhaltung. Besonders das Medium der Videospiele hat eine lange und traurige Geschichte, wenn es um die Darstellung von nichtmännlichen Charakteren geht.

Die Bilder einer übersexualisierten Lara Croft aus „Tomb Raider“ lösten in den 1990er Jahren noch kritische Reaktionen aus, doch weibliche Körper mit Sanduhrfigur waren längst die Norm. Zwar ist der Sexismus nicht aus den Spielen wegzudenken, doch werden weibliche, queere und körperlich vielfältigere Figuren inzwischen sichtbarer.

Große Titel wie „Life Is Strange“ und „The Last of Us Part II“ stellen sie in den Fokus und schrecken nicht vor rechter Kritik zurück. Das macht sie nicht „woke“, sondern in erster Linie menschlich. Doch die Industrie dahinter sieht anders aus. Während das Gaming als inzwischen lukrativste Entertainmentbranche Film und Musik aussticht, lässt sie den Sexismus nicht zurück.

Für einen Eklat sorgte im Sommer 2021 die Anklage gegen Activision Blizzard, eines der weltweit größten Spieleunternehmens mit Sitz in den USA. Die 29-seitige Anklageschrift beschrieb eine toxische Arbeitskultur, in der Frauen von männlichen Kollegen gezielt degradiert, finanziell benachteiligt und sexuell belästigt wurden. In einem Fall führte es zum Suizid einer Frau.

Die Konsequenzen – wenn man sie denn überhaupt so nennen möchte – waren minimal. Ende 2023 zahlte das Unternehmen knapp 54 Millionen US-Dollar Entschädigung und versprach in PR-Floskeln Besserung. Doch der Skandal hallt bis heute nach. Weder ist Activision Blizzard ein Einzelfall, noch sind die Opfer nur Frauen.

„Das betrifft auch nonbinäre oder trans Personen, die das noch mal ganz anders erleben müssen. Es ist sehr blauäugig, wenn man denkt, dass es Sexismus und Diskriminierung in der deutschen Games-Branche nicht gibt“, sagt Leonie Wolf. Sie ist Mit­be­grün­de­r:in­ des Vereins GAME:IN, der sich gegen Sexismus in der deutschen Spiele­indus­trie einsetzt. „Wir arbeiten aktuell an Umfragen, die sich damit im deutschen Raum beschäftigen. Es ist auf jeden Fall auffällig, dass es so wenig Daten dazu gibt“, kritisiert sie.

GAME:IN will Sexismus bekämpfen, indem möglichst viele Firmen ihr Manifest unterzeichnen. Das hat nichts mit Marx und Engels zu tun, sondern mit Lohngleichheit, genderneutraler Sprache und der kostenfreien Bereitstellung von Hygieneartikeln. Erst wenn die Punkte erfüllt sind, können Unternehmen ihre Unterschrift bei GAME:IN setzen. Dazu sollen sie langfristig eine Männerquote von 50 Prozent anstreben. Mitbegründerin Lena Laaser kritisiert besonders die Geschlechterverteilung: „In Umfragen sehen wir zum Beispiel oft, dass viele Flinta*-Personen im Junior­bereich arbeiten und fast niemand im oberen Management.“

Damit sexistische Vorfälle durch eine Mitgliedschaft im Verein nicht verschleiert werden, prüft GAME:IN gründlich, wer ihnen beitritt.

„Wir haben Bewerbungsgespräche mit den Unternehmen, die sich bei uns bewerben. Wir sprechen mit mehreren Mit­ar­bei­te­r:in­nen und hören uns in unseren Netzwerken zu dem Unternehmen um. Nach der Unterzeichnung prüfen wir das auch noch mal mit anonymen Umfragen in der Belegschaft“, so Laaser. Als Teil von GAME:IN „sind die geprüften Unternehmen öffentlich sichtbar, was einen guten Arbeitsplatz bietet. Für Leute, die negative Erfahrungen gemacht haben, ist das ein gutes Zeichen.“

Auch die Forschung beobachtet die Ausrichtung der Unternehmen. „Diversität wird in der Industrie ein immer wichtigeres Thema. Nicht nur für Spie­ler:in­nen, auch für mögliche Arbeit­nehmer:in­nen. Die deutschen Unternehmen suchen momentan händeringend nach gutem Personal, weil die deutsche Games-Industrie im Vergleich wenig zahlen kann und nicht dieselbe wirtschaftliche Relevanz hat wie in Polen, Schweden oder Frankreich“, sagt der Medienwissenschaftler Matthias Heider. Er forscht an der Universität Jena zu Extremismus und Sexismus in Videospielen. Nur weil mehr Firmen Sexismus verurteilen, hieße das nicht, dass es Teil der Unternehmenskultur ist. Heider bemängelt, dass trotz der Identifikation einzelner Tä­te­r:in­nen die Strukturen kaum bekämpft werden: „Das signalisiert keinen Änderungswillen vonseiten der Firmen. Wenn sie merken, dass sie damit durchkommen, müssen sie nur zwei Pressemitteilungen rausschicken und einmal die Pride-Flagge über das Twitter-Profil legen.“

Sexismus in der Games-Kultur ist laut Heider historisch bedingt. Nach dem „Video Game Crash“ von 1983 gab es eine industrielle Neuausrichtung, fokussiert auf den weißen, heterosexuellen Mann. Nun werden die Darstellungen diverser und weniger stereotyp. Heider sieht, dass sich eine kleine Minderheit durch die vermeintlich „woken“ Themen verunsichert fühlt. Extremistische Gruppen nutzen das als Einstieg in die Szene.

1983 gab es eine Neuausrichtung auf den weißen, heterosexuellen Mann

GAME:IN und Heider kritisieren auch die Berichterstattung über den Sexismus in der deutschen Branche. „Der Medienrummel ist hierzulande immer groß, wenn es in den USA wieder einen Skandal bei Firmen wie Blizzard gibt. Dann schauen alle immer in die Staaten und sagen: Oh, das ist schlimm, aber bei uns ist das ja nicht so. Aber bei uns ist das auch der Fall, es wird nur mehr unter den Tisch gekehrt“, sagt Laaser.

Worüber auch nicht genügend berichtet wird, ist die zunehmende „antiwoke“ Positionierung vieler Firmen. Das sieht Heider „besonders in der rechtsextremen Szene, in der sich Antifeminismus mit Sexismus und Antisemitismus mischen.“ Solange Sexismus und Antidiversität als Marketing missbraucht werden, hat die Gaming-Industrie noch einen langen Weg vor sich.

Für GAME:IN wünscht sich Laaser, dass „es uns in fünf Jahren nicht mehr geben müsste“. Auch wenn das kaum realistisch ist, lohnt es sich, dafür zu kämpfen.