Im Alltag gegen 30 Prozent AfD

Wissenschaftler, Gedenkstätten und Vereine fordern nach der Brandenburgwahl die Sicherung zivilgesellschaftlicher Initiativen. Rechte Normalisierung äußere sich in Gewalt

Wenn gute Slogans denn auch helfen würden! Plakat auf der Kundgebung „Kein Bock auf Nazis“ am Samstag, 21. September, 2024 in Potsdam Foto: Annette Riedl/dpa

Von Gareth Joswig

Judith Porath vom Verein Opferperspektive weiß genau, was es konkret im Alltagsleben vieler Bran­den­bur­ge­r*in­nen bedeutet, wenn fast 30 Prozent die extrem rechte AfD wählen. Da ist allein in jüngster Zeit der Angriff auf einen Besucher eines Feuerwehrfestes in Golm – „der allein wegen eines Kopfschüttelns über die Parole ‚Deutschland den Deutschen‘ sehr schwer verletzt wurde.“ Da ist der Angriff auf einen 16-jährigen Syrer mit einer Eisenstange und die Attacke auf einen Mann in der Prignitz, „der vor den Augen seiner Kinder zusammengeschlagen wurde, nachdem er von den Tätern gefragt wurde, ob er aus Berlin komme und doch sicher CDU oder SPD wähle“.

Die Sprecherin der Opferperspektive berichtet am Dienstag im Brandenburg Museum unweit des Potsdamer Landtags über ausufernde rechte Gewalt, wie Hass und Hetze schon jetzt den Alltag im Bundesland bestimmen und dass die AfD ihren Verein, der sich um Opfer rechter Gewalt kümmert, am liebsten „zerschlagen“ will. Bei der Landtagswahl letzten Sonntag hat die SPD nur knapp vor der AfD gewonnen. Die Rechtsextremen haben sogar eine Sperrminorität inne und wollen damit Zugeständnisse erpressen.

Angesichts dessen haben Porath und andere Ex­per­t*in­nen am Dienstag bessere Konzepte gegen das Erstarken des Rechtsextremismus und eine feste Zusage zur Sicherung zivilgesellschaftlicher Vereine durch die neue Landesregierung gefordert. Schutz vor Diskriminierung und rechter Gewalt müsse jetzt erst recht höchste Priorität haben, so der Tenor.

„Hohe Zustimmungswerte zur AfD bei Kommunal- und Landtagswahlen haben zur Normalisierung von Rassismus, Antisemitismus und Minderheitenfeindlichkeit im öffentlichen Diskurs geführt und die Hemmschwelle für Gewalt gesenkt“, sagt Porath, „rechte Schläger fühlen sich bestärkt, die menschenverachtende Hetze der AfD in die Tat umzusetzen.“

Bedrohte Menschen berichteten gar von Gedanken, Brandenburg oder Deutschland gleich ganz zu verlassen. Im Wahlkampf seien auch viele Hel­fe­r*in­nen von CDU bis Linke von immer jüngeren und selbstbewusster auftretenden Tä­te­rn attackiert worden: „Die meisten gaben sich als AfD-Unterstützer zu erkennen und drohten, dass die Attackierten nach Machtübernahme am nächsten Laternenpfahl hängen oder wie Zecken zertreten würden“, berichtet Porath.

„Rechte Schläger fühlen sich bestärkt, die Hetze der AfD in die Tat umzusetzen“

Judith Porath, Opferperspektive

Demgegenüber habe die Zivilgesellschaft in den vergangenen Monaten und Wochen in Brandenburg mit einer Vielzahl von Festen, Veranstaltungen und Demos gezeigt, wie lebendig sie sei, sagt Maica Vierkant vom „Aktionsbündnis Brandenburg“, die insgesamt 100 Organisationen und Verbände gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus vertritt. „Wir sind füreinander da und werden das auch in Zukunft sein“, sagt Vierkant. Man brauche dabei aber einen langen Atem, verlässliche Partner und eine Stärkung der Zivilgesellschaft. Sie forderte, dass Hass und Hetze in den Parlamenten niemals den Ton angeben dürften und dass es „keine Zusammenarbeit, keine Ämter und keine Stimme für Rechtsextreme“ geben dürfe.

Axel Drecoll, der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, will nun die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativen stärken und institutionalisieren. Die Gedenkstätten seien schon qua ihrer Satzung verpflichtet, mit Opferverbänden und Initiativen zusammenzuarbeiten, die derzeit akut bedroht würden.Er blicke mit Sorge auf die Wahlergebnisse der AfD, deren revisionistischer Blick auf Geschichte dem „diametral entgegenlaufe, was wir als gegenwartsbezogene Geschichtsaufarbeitung bezeichnen“, so Drecoll. Auch deswegen wolle man nun stärker in Aktion treten und selbstkritisch nach geeigneten Formaten suchen, um mehr Menschen in der Fläche besser zu erreichen.