: Ein Islamist liebt seine Kinder
2022 wollte die Bremer Innenbehörde den salafistischen Prediger Abbas Chihi ausweisen – und scheiterte am Verwaltungsgericht, das die Predigten des Imams durch die Meinungsfreiheit gedeckt sah. Die zweite Instanz holt sich fachliche Expertise – und entscheidet
Von Lotta Drügemöller
Es geht um Hass und Hetze und Gewalt und Terror bei der Gerichtsverhandlung des Oberverwaltungsgerichts der Stadt Bremen am Mittwoch. Und es geht um die Liebe eines Vaters zu seinen Kindern, um Mathenachhilfe und Schwimmbadbesuche. Beide Aspekte sind relevante Entscheidungskriterien für das Oberverwaltungsgericht (OVG), stellt Richter Christian Maierhöfer gleich zu Beginn der Verhandlung klar.
Verhandelt wird die Ausweisung von Abbas Chihi, Imam am salafistisch geprägten Islamischen Kulturzentrum Bremen (IKZ). Schon 2022 hatte die Innenbehörde nach Hinweisen des Landesverfassungsschutzes versucht, Chihi auszuweisen. Die Sicherheit und Ordnung Deutschlands soll er als Imam gefährdet haben, Hass verbreitet und zu Gewalt aufgerufen, ist sich die Bremer Innenbehörde sicher. Chihi ging gerichtlich dagegen vor – und das Bremer Verwaltungsgericht lehnte die Ausweisung tatsächlich ab: Chihis Äußerungen böten Interpretationsspielraum und seien von der Meinungsfreiheit noch gedeckt.
In der Berufung steckte das OVG den Rahmen früh in der Verhandlung ab. Es gilt zweierlei zu beurteilen: Gibt es wirklich Ausweisungsgründe für Abbas Chihi? Und wenn das so ist: Gibt es trotzdem Gründe, private Gründe, die dafür sprechen, dass die Person bleiben sollte? Das OVG beantwortet am Ende beide Fragen mit einem Ja – wägt in seiner Entscheidung aber am Ende ab, dass die Gründe zur Ausweisung überwiegen.
Die erste Frage ist an sich schon komplex genug: Ausgewiesen werden kann, wer die Sicherheit und Ordnung gefährdet. Das muss nicht zwangsläufig durch eigene Straftaten geschehen: Es reicht, so heißt es in Paragraph 54 des Aufenthaltsgesetzes, wenn man klar definierte terroristische Vereinigungen unterstützt – etwa indem man um Sympathien für sie wirbt. Es reicht auch, wenn man zur Gewaltanwendung aufruft; und es reicht, wenn man zu Hass aufruft gegen Bevölkerungsgruppen, wenn man sie böswillig verächtlich macht und sie in ihrer Menschenwürde verletzt.
36 Äußerungen hat das Bremer Landesamt für Verfassungsschutz aus seinen Predigten gesammelt, um zu zeigen: Die Ausweisungsgründe gegen Chihi sind erfüllt. Doch in der ersten Verhandlungsrunde vor dem Verwaltungsgericht 2022 blieb an vielen Stellen offen, wie eindeutig die genannten Äußerungen in diesem Sinne zu lesen waren: Teilweise hatte der Verfassungsschutz dem Prediger wörtliche Koranzitate vorgeworfen, ohne weiteren Kontext. Das Verwaltungsgericht hatte deshalb am Ende geurteilt: Je nach Auslegung könne man die Aussagen auch anders lesen, als Stärkung des Glaubens, wie Chihi sie selbst darstellen wollte.
Der Islamwissenschaftler Mathias Rohe als Gutachter sollte nun in der Berufung vor dem OVG mehr Klarheit bringen. Rohes Urteil ist eindeutig: Ja, Chihi wirbt für Terrororganisationen. Ja, er ruft aktiv zur Gewalt im Ausland auf. Und ja, er verbreitet in seinen Predigten antisemitischen Hass.
Einer islamwissenschaftlichen Vorlesung glich dieser Teil des Prozesses, es ging teils tief in die Koranexegese. Vor allem auf drei Zitate aus Predigten und der Gemeindearbeit von Chihi konzentrierte sich der Auftrag des Gerichts für das Gutachten. Zum Einen galt es, den Aufruf Chihis zu Bittgebeten für die Mudschahiddin zu untersuchen. Als „Gotteskrieger“ wird dieser arabische Ausdruck manchmal recht frei übersetzt. Der Verfassungsschutz sah darin eine Werbung für terroristische islamistische Organisationen. Dagegen hatte Chihis Anwalt noch vor dem Verwaltungsgericht argumentiert, der Begriff sei auch eine Bezeichnung für alle Muslime, die sich um die Verbreitung des Glaubens bemühten.
Doch diese Interpretation wies Islamwissenschaftler Rohe zurück: Anders als beim Begriff Dschihad, der auf die gleiche Wortwurzel zurückgeht und tatsächlich auch die innere Läuterung beschreibt, werde „Mudjahid nur verwendet im Sinne des bewaffneten Kampfes.“ Da Chihi den Begriff auch in Bezug auf die irakische Stadt Faludscha und die Provinz Anbar erwähnt hatte, in unmittelbarem Zusammenhang mit dort stattfindenden Kämpfen zwischen der irakischen Armee und dem Islamischen Staat, sei ein konkreter Bezug zu einer konkreten Terrororganisation gegeben.
Der Vorwurf, dass Chihi zu Gewalt aufrufe, wurde vor allem anhand einer Aussage gegenüber einigen Syrern untersucht. Nach einer Predigt zum Konflikt in Syrien war er aufgefordert worden, an einer Demonstration teilzunehmen. Doch Chihi sagte ab – nach Aussage des Verfassungsschutzes begründete er das mit dem Satz: „Das einzige, was Syrien befreien kann, ist Blut.“ Und: Wer die Ungerechtigkeit beseitigen wolle, solle „das Versprechen Gottes in Syrien finden.“ Nur als Versprechen auf einen Märtyrertod und die damit verbundenen Verheißungen könne man diese Aussage im Kontext verstehen, so Rohe. Mithin: Ein aktiver Aufruf zur Gewalt.
Schließlich ging es in die Koranexegese, um zu begründen, dass Chihi gruppenbezogenen Menschenhass verbreite – konkret antisemitischen. Chihi hatte in einer Predigt die „Enkel von Affen und Schweinen“ verdammt – und später argumentiert, dass damit ganz allgemein Sünder gegen Gottes Wege gemeint seien. Rohe dagegen urteilte klar: „Das muss in dem Kontext antisemitisch verstanden werden“. Er verwies auf zwei Lehrerzählungen aus dem Koran, in denen frevelhafte Juden zur Strafe von Gott in Affen verwandelt wurden. Auch islamistische Attentäter hätten die Formulierung der Enkel von Affen und Schweinen zur Rechtfertigung ihrer Taten herangezogen.
Chihis Rechtsbeistand wollte das so nicht stehenlassen – schließlich habe Chihi im Kontext seiner Predigt nicht nur von Palästina und Gaza gesprochen, sondern auch von Staaten, in denen überhaupt keine nennenswerte jüdische Bevölkerung lebe. Der Begriff beziehe also sich nicht auf Juden. Doch das akzeptierte Rohe nicht: „Egal, wo auf der Welt gekämpft wird, es steckt eine jüdische Weltverschwörung dahinter. Das ist ein salafistisches Metanarrativ.“
Der kurze Verhandlungsnachmittag zeichnet noch ein anderes Bild des Imams. Es zeigt einen Chihi, der sich verschuldet, um sich einen Zweitwohnsitz am Wohnort der Exfrau zu leisten und seine Kinder sehen zu können. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden seine Kinder befragt, die bei seiner geschiedenen Frau leben. Offenbar, so wird es später erwähnt, zählt eine der Töchter stets die Tage, bis sie ihren Vater wieder sieht. Das Gericht entscheidet am Ende, das die privaten Gründe überwiegen
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