K-Frage der Union
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Hier Merz, dort Schmerz

Die K-Frage der Union ist entschieden, verkünden die Parteichefs von CDU und CSU. Markus Söder hadert mit seiner erneuten Niederlage, reißt sich aber vorerst zusammen

Wieder nicht gereicht: Söder hat es sich bei vielen in der CDU verscherzt Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Aus Berlin, Bochum und München Tobias Schulze
, Andreas Wyputta
und Dominik Baur

Friedrich Merz schaut am Dienstagvormittag so, wie er fast immer schaut: ernst. Und doch ist etwas anders als sonst: Dem CDU-Chef bereitet es vor den Kameras offensichtlich Mühe, seine Mimik im Griff zu behalten. Als die entscheidenden Sätze fallen, kann er seine Mundwinkel nicht stoppen. Sie ziehen sich nach oben, als neben ihm Markus Söder ausspricht: „Die K-Frage ist entschieden. Friedrich Merz macht’s.“

Endlich unangefochten: Nach all den Jahren darf er es versuchen, und noch dazu hat er die Gewissheit früher als erwartet. Als wahrscheinlich galt, dass die Entscheidung fällt, wenn die drei Landtagswahlen dieses Jahres gelaufen sind. Dann aber verkündete am Montagabend erst der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst, dass er selbst nicht kandidieren wolle. Am Dienstag früh lud die Union dann überraschend zur Pressekonferenz von Merz und Söder in die Bayerische Landesvertretung in Berlin. Da war die Sache klar.

Ganz anders also als beim letzten Mal. Vor der Bundestagswahl 2021 wähnte sich Söder bereits als Kandidat, bevor er von der CDU-Führung, wie er es empfand, kalt abserviert wurde. Er fand sich in einer neuen Funktion wieder, die sein damaliger Generalsekretär Markus Blume flugs für ihn erfunden hatte: der des „Kanzlerkandidaten der Herzen“.

„Ich bin damit fein“, sagt Söder an diesem Dienstag unmittelbar nach der Bekanntgabe, dass es zu mehr auch diesmal nicht reicht. Fein! Dennoch erinnert man sich in der Union natürlich daran, was die Niederlage damals 2021 mit Söder gemacht hat. Monatelang hatte er daran zu knabbern, schien in ein Loch zu fallen, sich in seinem Ministerpräsidentenamt zunehmend zu langweilen. Armin Laschet? Dass ausgerechnet dieser Mann ihm vorgezogen wurde, konnte der CSU-Chef nicht wegstecken. Im Bundestagswahlkampf stichelte er gegen den aus seiner Sicht schwachen Kandidaten.

Warum läuft es diesmal allem Anschein nach anders? Erstens hat Söder von Merz inzwischen eine wesentlich höhere Meinung, als er sie von Laschet je hatte. Die beiden sind politisch auf einer Linie, haben aber auch menschlich zueinandergefunden. Das betonen beide auch bei der Pressekonferenz am Dienstag. Zwar kann der Franke nicht verbergen, dass ihm der Verzicht auch diesmal nicht leicht fällt. Als Kanzlerkandidat wäre er selbst genauso gut geeignet gewesen wie Merz, betont er, denn „wir haben beide eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung“.

Aber, und das ist ein zweiter Grund für Söders Verzicht: Innerhalb der Union ist sein Ansehen nach 2021 gesunken. Um an Merz vorbeizukommen, hätte er Un­ter­stüt­ze­r*in­nen in der CDU gebraucht. Seinen Umgang mit Laschet haben ihm dort aber viele nicht verziehen.

Beispielhaft war das zu beobachten, als am Montagabend NRW-Ministerpräsident Wüst in Düsseldorf seinen Verzicht erklärte. Voraussetzung für einen Wahlsieg sei die „Geschlossenheit der CDU und der Union“, sagte er – und attackierte damit kaum versteckt den Bayern: Bei seiner eigenen Entscheidung, die er „sehr ernsthaft“ abgewogen habe, sei auch die Erinnerung „an 2021“ präsent gewesen. „So etwas“ dürfe sich „in der Union niemals wiederholen“.

Von Merz’ Rechts­kurs kann man halten, was man will – den Rich­tungs­streit in der Union hat er aber vorerst beendet

Und warum hat er, der in der Union ein liberales Gegengewicht zu Merz darstellt, nicht selbst nach der Kandidatur gegriffen? Der Parteivorsitzende ist derzeit einfach zu stark, um von seinem eigenen Heimatverband nicht als Kanzlerkandidat unterstützt zu werden. Mit Wüsts Worten: Erst Friedrich Merz habe die Bundestagsfraktion wieder „oppositionsfähig“ gemacht und den Christdemokraten „das programmatische Rüstzeug für eine Regierungsübernahme“ gegeben. Von Merz’ Rechtskurs kann man halten, was man will – den Richtungsstreit in der Union hat er aber vorerst beendet.

Wie gedenkt er aber im Wahlkampf mit denjenigen Wäh­le­r*in­nen umzugehen, die für die CDU einst wegen Angela Merkel und deren mittigen Kurs gestimmt hatten? Welche Machtoptionen bleiben ihm nach der Bundestagswahl neben Schwarz-Rot? Und was hat er im Wahlkampf inhaltlich zu bieten? Das Thema Migration, das Merz selbst in den letzten Wochen so groß gemacht hat, bleibe wichtig, sagt er am Dienstag. Aber: „Es wäre mein Wunsch, dass es nicht das Hauptthema wird.“ Ins Zentrum wolle er die Wirtschaftspolitik stellen.

Und sonst? Wie will er beispielsweise der Klimakrise begegnen? Wie hält es die CDU in Zukunft mit der Schuldenbremse? Und wie mit der Ukraine? Es drängen sich einige Fragen auf – beantworten will Merz sie aber am Dienstag nicht. Die Pressekonferenz mit Söder ist nach den Eingangsstatements der Parteichefs auch schon wieder vorbei, beide verlassen den Raum. Nächstes Jahr, als Kandidat im Wahlkampf, kann es sich Merz so leicht nicht machen.

Klima: Behäbig und widersprüchlich

Klimapolitik hält Friedrich Merz in der politischen Debatte für überbewertet. Das heißt aber nicht, dass er gar nichts gegen die Erderhitzung unternehmen will. Nur, dass die Zeit drängt, findet er nicht. In den kommenden zehn Jahren die Weichen für Klimaneutralität zu stellen, reiche aus, erklärte er kürzlich. Aber: Der CDU-Chef ist durchaus für Überraschungen gut. Nachdem Merz monatelang gegen Wärmepumpen und das Heizungsgesetz der Ampel gewettert hatte, beschwerte er sich bei der Eröffnung eines Weiterbildungszentrums für Heizungsinstallateure darüber, dass zu wenige der klimafreundlichen Heizungen eingebaut worden seien. Immer wieder hat Merz angekündigt, das Heizungsgesetz zurückzudrehen, wenn er regiert. Er sagt aber auch, die Union stehe hinter der begonnenen Wärmewende. Für viele Christ­de­mo­kra­t:in­nen ist Klimapolitik wichtig – als Bewahrung der Schöpfung. Auf die muss Merz Rücksicht nehmen. Das wiederum könnte eine Brücke zu den Grünen bauen. Anja Krüger

Finanzen: Bremse lockern

Bei der Finanzpolitik muss man bei Friedrich Merz zwischen Schein und Sein unterscheiden. Im Wahlkampf wird er darauf dringen, dass die Schuldenbremse eingehalten wird. Doch falls er Kanzler werden sollte, wird er sie sofort reformieren. Schließlich braucht er Geld, um zu regieren. Unionsintern wäre diese Kehrtwende kein Problem: Längst sind die meisten Unions-Ministerpräsidenten dafür, die Schuldenbremse zu entschärfen – weil sie in ihre Infrastruktur investieren müssen. Merz besteht jetzt nur auf der Schuldenbremse, um die Ampel handlungsunfähig zu machen und bei den Wählern zu diskreditieren. Als Kanzler wäre er sofort dafür, Investitionen durch Schulden zu finanzieren. Ansonsten träumt Merz davon, die Steuern für die Unternehmen drastisch zu senken. Das dürfte schwierig werden, weil Steuergesetze durch den Bundesrat müssen – wo Grüne und SPD eine Vetomacht haben.

Ulrike Herrmann

Soziales: Total abgehoben

Selbsteinschätzung ist nicht gerade die Stärke des einstigen Blackrock-Lobbyisten. Nicht nur, dass sich der Millionär selbst zur „gehobenen Mittelschicht“ zählt, unvergessen sind auch die Fotos von ihm im Privatjet, mit dem er zur Hochzeit von Finanzminister Lindner nach Sylt düste. Im wahrsten Sinne des Wortes: Abgehoben! Wer von so weit oben auf die Gesellschaft schaut, dem können auch schon mal die Maßstäbe verrutschen. Stichwort Bürgergeld, das er gern als bedingungsloses Grundeinkommen betitelt. „In jedem zweiten Betrieb sagen Mitarbeiter: Ich gehe jetzt ins Bürgergeld“, behauptete Merz jüngst ohne Belege. Aber es passt halt in die sozialpolitische Rückwärtsrolle der Union. Sparen bei den Ärmsten, lautet die Devise. Immerhin: Der Rente mit 70 hat er eine Absage erteilt. Vielleicht war es politisches Gespür. Vielleicht wollte Merz auch nur nicht, dass ihn jemand in zwei Jahren in Rente schickt.

Jasmin Kalarickal

Migration: Merz schlägt rechts

Friedrich Merz wollte die Ergebnisse der AfD halbieren und Politiker aus der Partei ausschließen, wenn sie mit den extrem Rechten zusammenarbeiten. Heute ist die AfD stärker denn je und die Brandmauer bröckelt vor allem auf kommunaler Ebene weitgehend unbemerkt. Beim Höhenflug der Rechten half auch Merz mit. Zutaten: Einprügeln auf die Grünen, rassistische Ausfälle gegen vermeintliche „kleine Paschas“ und die Rede von Asylbewerbern, die Deutschen die Zahnarzttermine wegnehmen. Merz sprach zuletzt von einer „nationalen Notlage“ in der Migrationspolitik und forderte einen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan. Er will außerdem Geflüchtete an den Grenzen zurückweisen, wenn sie in anderen EU-Staaten registriert wurden. Zwischenzeitlich bezeichnete Merz die CDU gar als „AfD mit Substanz“, was ihm hinterher etwas peinlich war. Frederik Eikmanns, Gareth Joswig

Frauen: Kandidat für alte Herren

„Ich habe nie gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt, wie immer wieder gezielt und bösartig behauptet wird“, schreibt Friedrich Merz 2020 auf Facebook. Nun ja: 1997 stimmte er im Bundestag sehr wohl gegen einen eigenen Straftatbestand, begründet das heute aber mit einer Diskussion über eine Widerspruchsklausel. Die sah vor, dass das mutmaßliche Opfer eine Anzeige zurückziehen kann, weshalb letztlich über ein Gesetz ohne Klausel abgestimmt wurde. Das hätte er nicht haben wollen, so Merz, und er schreibt: Aus heutiger Sicht würde er anders abstimmen. Fakt ist, dass Merz ohne Frauen „keine Wahl mehr“ gewinnt, wie er 2022 selbst sagte. Im selben Jahr stimmte er für die Einführung einer Quote in der Union. Doch er bleibt ein Altherrenkandidat, wie eine Umfrage vom März zeigt. In allen Altersgruppen ist er bei Frauen deutlich unbeliebter als bei den Männern. Von den Frauen zwischen 18 und 29 Jahren würden nur 9 Prozent für ihn stimmen. Patricia Hecht