Singen und lieben

Lidokino 9: In Venedig wird das Schurken-Spektakel „Joker“ als Musical fortgesetzt und an einen italienischen Pornounternehmer erinnert

Auch Joker brauchen Liebe: Lady Gaga und Joaquin Phoenix in „Joker: Folie à deux“ Foto: Warner Bros. Entertainment Inc.

Von Tim Caspar Boehme

Für dieses Jahr gehörte der Film zu den am meisten erwarteten Kandidaten im Wettbewerb von Venedig. Todd Phillips setzt mit „Joker: Folie à deux“ seinen Schurkenerfolg „Joker“ fort, der ihm dort vor fünf Jahren den Goldenen Löwen einbrachte. Joaquin Phoenix brillierte als gequälter Antiheld, der nach sehr schwieriger Kindheit und vielen Demütigungen als Erwachsener irgendwann zurückschlägt. Das Ganze schrie nach einem zweiten Teil. Jetzt ist er da. Selbstverständlich wieder mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle.

Todd Phillips macht in „Joker: Folie à deux“ vieles anders als im ersten Film. War Arthur Fleck, wie der Joker bürgerlich heißt, damals wiederholt zur blutigen Tat geschritten, wird die Sache mit der Gewalt diesmal anders gelöst. Man soll ja nicht zu viel verraten. Die meiste Zeit der Handlung über steckt Arthur Fleck ohnehin im Gefängnis oder steht wegen mehrfachen Mordes vor Gericht.

Die düstere Lichtgestaltung dominiert auch in diesem Film weiter. Gern wird Arthur Fleck in Zellen ohne Licht geworfen oder muss sich durch dunkle Gefängnisflure schleusen lassen. Die größte Veränderung ist allerdings die hinzugekommene Figur Harleen Quinzel, gegeben von Lady Gaga. Zunächst eine Insassin wie Arthur Fleck, zeigt Quinzel rasch großes Interesse an ihrem berüchtigten Mithäftling. Lady Gaga spielt ihre Rolle dabei nicht bloß, sie singt auch viel. Phoenix tut es ihr gleich.

Man könnte das Ganze als Musical bezeichnen, in dem die Songs die imaginäre Ebene der Geschichte erzählen. Die Fantasie sowohl Arthur Flecks als auch Harley Quinzels gibt denn auch reichlich Gelegenheit zu Einlagen im Stil einer Broadway-Show.

Könnte alles einen unterhaltsamen Film ergeben. Doch das Drehbuch versäumt darüber, seine Figuren so zu zeichnen, dass man ernsthaft Interesse an ihnen entwickeln könnte. Was Quinzel an Fleck findet, ­immerhin ein mehrfacher Mörder, machen die Gesangseinlagen allenfalls rudimentär deutlich. Und wie Flecks Irrsinn sich mit seiner Leidenschaft für Quinzel abwechselt, wird durch ein paar Songs auch nicht plau­sibler. ­Übrig bleibt der Eindruck einer großen narrativen Leere, die der Film mit dick aufgetragener Schminke abzudecken ­versucht. Preiswürdig erscheint das nicht.

Ohne große Aussicht auf eine Auszeichnung ist auch der Wettbewerbsbeitrag „Diva Futura“ von Giulia Louise Steigerwalt, die sich einem Kapitel der Geschichte der italienischen Pornoindustrie widmet. Die titelgebende Agentur machte Pornodarstellerinnen wie Ilona Staller oder Moana Pozzi über die Grenzen Italiens hinaus berühmt.

Steigerwalt erzählt den Aufstieg und Fall des Unternehmens basierend auf dem Buch „Non dite alla mamma che faccio la segretaria“ von der ehemaligen Agenturmitarbeiterin Debora Attanasio. Der Ton ist ironisch-gemütlich, die sepiagetönten Bilder haben etwas Nostalgisches, und der Gründer von Diva Futura, Riccardo Schicchi, bekommt in der Verkörperung durch Pietro Castellitto etwas von einem grundsympathischen Schlawiner, der skrupellos, aber mit Haltung seinem Geschäft nachgeht. „Wir sind amoralisch, aber nicht unmoralisch“, lautet eines der Credos, die er seinem Team gern vorbetet.

Die weniger erfreulichen Seiten des Geschäfts spart Steigerwalt in ihrem Film nicht aus, doch hat die Leichtigkeit, mit der sie erzählt, etwas allzu Verklärendes. Ein nicht unerheblicher Faktor könnte dabei die Quelle sein, der man als Innenansicht am Ende eben glauben muss. Als Einblick in die Pornoindustrie durchaus ein ehrenwertes Thema, aber warum im Wettbewerb?