Rüstungsstrategie der Bundesregierung: Mehr Markt oder mehr Staat

Im September will die Regierung eine neue Verteidigungsstrategie beschließen. Über das Ziel ist sich die Ampel einig, aber nicht über das Wie.

Marineschiff in der Warnowwerft Rostock-Warnemünde Foto: Margit Wild/ imago

Berlin taz | Deutschland muss angesichts der aktuellen Bedrohungslage schnellstmöglich wehrhaft werden. Das könnte in der neuen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie-Strategie (SVI) stehen, die die Bundesregierung im September im Kabinett beraten will, und so steht es im Entwurf, der mittlerweile bei politico geleakt ist.

Jedenfalls, wenn der Abstimmungsprozess zwischen den Ministerien Wirtschaft, Verteidigung, Finanzen und Außenamt beendet ist. Denn es gibt einige Unstimmigkeiten, wie die Rüstungsproduktion effizienter werden kann. Dabei geht es nicht zuletzt darum, die Ukraine militärisch auch weiterhin zu unterstützen – von einem „sprunghaft gestiegen Bedarf“ spricht der Entwurf.

Auch die Regierungsfraktionen machen Druck. Im Juni legte die FDP-Bundestagsfraktion ein Positionspapier vor, im Juli zog die SPD-Bundestagsfraktion mit einem 10-Punkte-Papier nach. Im Ziel gleich, sind die Ansätze durchaus unterschiedlich. Die Liberalen denken vor allem daran, die Industrie etwa durch besseren Zugang zu Krediten, vereinfachte Genehmigungen, Exporterleichterungen und bessere Rohstoffversorgung zu unterstützen.

Einen anderen Ton schlägt die SPD an: Leitend dürften „nicht Marktmechanismen sein, sondern Sicherheitsinteressen, Werte und Normen.“ Gefordert wird eine „kooperative Steuerung der Industriepolitik“, Schutz von Schlüsseltechnologien und staatliche Beteiligungen an Rüstungsfirmen.

Industrie für Zugang zu Krediten

Die deutsche Industrie begrüßt eine neue Rüstungsstrategie generell als „überfälligen Schritt“. „Wir hoffen, dass das neue Strategiepapier zu einer wirklichen Stärkung unserer Branche in Deutschland führen wird“, sagt Hans C. Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV).

Vor allem brauche es aber „ein Signal in Richtung eines stetigen Aufwuchses des Verteidigungsetats“. Das sei wichtig, „damit die Unternehmen nach vorne gerichtet einen Business Case sehen, um weitere Kapazitäten aufzubauen“. Wenn das Sondervermögen der Bundeswehr aufgebraucht sei, drohe eine „Lücke“. „Ohne Aussicht auf entsprechende Aufträge wird niemand in neue Anlagen zur Rüstungsherstellung investieren.“

Ums Geld geht es auch beim Erhalt von Schlüsseltechnologien. Dass für Deutschland bestimmte Bereiche – der Entwurf nennt etwa Marineschiffbau, gepanzerte Fahrzeuge, Sensorik – essenziell sind, ist bei Regierung und Industrie unstrittig. „Schlüsseltechnologien aus Souveränitätsgründen vorzuhalten, bedeutet für die betroffenen Unternehmen immer auch Verpflichtung und Belastung“, sagt allerdings Atzpodien.

Deshalb brauche es auch hier „eine entsprechende Förderung“, er denkt an Forschungsgelder, aber auch Hilfen beim Rüstungsexport. Die Industrie drängt zudem auf leichteren Zugang zu Krediten und forderte schnellere Baugenehmigungen: nämlich so wie beim Bau von LNG-Terminals oder Wasserstoffanlagen.

Forscher warnen vor Aufweichung von Kontrollregeln

Bei Rüstungsexporten wünscht sich die Industrie „vergleichbare Wettbewerbsbedingungen“ und „gemeinsame Maßstäbe“ bei europäischen Rüstungskooperationen, so Atzpodien – was nichts anderes heißt, als dass etwaige strengere Rüstungsexportbeschränkungen wegmüssen. Deutschland solle sich nicht „durch eine noch restriktivere Politik ins Abseits stellen“, das gefährde europäische Rüstungskooperationen mit Partnern wie Frankreich und Großbritannien, warnt er.

Simone Wisotzki vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF) warnt dagegen, dass jetzt Rüstungskontrollregeln aufgeweicht werden, um die europäische Rüstungsproduktion anzukurbeln. „Es darf nicht in problematische Drittländer exportiert werden.“ Vom Rüstungsexportkontrollgesetz sei im Strategieentwurf gar keine Rede, obwohl die Ampel das in ihrem Koalitionsvertrag versprochen habe. „Das beunruhigt uns sehr“, sagt die Rüstungskontrollexpertin und mahnt mit Blick auf die ablaufende Regierungszeit: „Da rennt die Zeit davon“.

Aufgeweicht werden könnten die Zivilklauseln, die militärische Forschung an Hochschulen untersagen. Laut Entwurf will die Bundesregierung mit den Hochschulen zumindest darüber reden. Eine Diskussion hält auch Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) für nötig. Es müsse aber den einzelnen Hochschulen überlassen bleiben, darüber zu entscheiden, warnt er. Keinesfalls dürfte etwa indirekt mit der Streichung von Forschungsgeldern gedroht werden. „Wir brauchen einen breiten Dialog, was dafür spricht und was dagegen.“

Entwurf sieht Möglichkeit für Staatsbeteiligung vor

Am Geld könnte schließlich ein weiterer Punkt scheitern: mehr staatliche Beteiligung an Rüstungsfirmen, im Entwurf als Möglichkeit vorgesehen. Die gibt es schon etwa beim Radarhersteller Hensoldt, wo der Bund seit 2020 eine Sperrminorität von 25,1 Prozent hat. Einerseits ist die Industrie generell skeptisch gegenüber staatlichen Eingriffen.

Andererseits könnte der Staat Unternehmen besser unterstützen, an denen er beteiligt ist, etwa durch Forschungsförderung und Unterstützung beim Rüstungsexport, sagt Atzpodien. Dann könne man „darüber sicherlich auch in einem positiven Licht diskutieren.“

Der Finanzminister dürfte dennoch skeptisch sein: Denn staatliche Beteiligungen an Aktiengesellschaften mit einem Börsenwert in Milliardenhöhe wären extrem teuer. Angesprochen auf die Regierungspläne, zeigte sich Armin Papperger, Chef von Rheinmetall mit einer Marktkapitalisierung von 20,9 Milliarden Euro, jedenfalls offen dafür, dass der Staat Aktienanteile seiner Rüstungsschmiede erwirbt: „Das ist bestimmt stabilisierend für den Kurs“.

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