Brandmauer!
Welche
Brandmauer?

Gegen die AfD wird gern eine feste Brandmauer gefordert. Diese ist im Osten nicht nur nicht vorhanden, sondern im Alltag überhaupt nicht möglich

Illustration: Katja Gendikova

Von Jan Feddersen

Kein Wort zum aktuellen politischen Geschehen in der Bundesrepublik bündelt die größte Furcht nichtautoritärer Kräfte so sehr wie dieses: Brandmauer. Also die Unvereinbarkeit politischer Allianzen mit der AfD oder anderen rechtsextremistischen Kräften. Und das in jeder Hinsicht umfassend, im allerletzten Dorf und in jeder Kleinstadt soll – wenn schon nicht formal per Beschluss, dann doch durch mehr oder weniger stille Übereinkunft – gelten, mit der AfD nicht zu paktieren.

Das wird im wahren Leben indes nicht zu halten sein. Die Brandmauer ist ein politisches Konstrukt, das vor allem den Politikerinnen* der Union gilt. Aber was ist mit den Ebenen darunter? Vereinen, Schulen, Firmen? In zivilgesellschaftlichen, aber ebenso vorpolitischen Räumen, in denen auch Machtbeziehungen bestehen? Oder in der Kommunalpolitik? Hier ist das Gebilde längst nicht nur wackelig, sondern auch einsturzgefährdet. Das liegt nicht nur daran, dass die Akteurinnen* der AfD zu Zebrastreifen, Schultoiletten und Umgehungsstraßen auch etwas zu sagen haben, sondern auch, weil im gelebten Alltag ein Berührungsverbot mit dieser Partei schlecht praktiziert werden kann. Bei Bäckereien, in Frisierläden, Autowerkstätten, bei Handwerkerinnen*, in Arztpraxen kann nicht ausgeschlossen werden, dass man es mit AfD-geneigten Wählenden zu tun bekommt. Die Rechtsextremen sind vor allem im Osten der Republik kein unappetitlicher Minderheitsfaktor mehr, sondern faktisch schon Volkspartei. Zumindest in den Mentalitäten der einstigen DDR-Landstriche. So ähnlich wie die Le-Pen-Ultranationalisten in Frankreich, die in der Provence und im Norden des Landes erheblichen kommunalen Einfluss ausüben.

Dass die AfD nach der Wahl in Thüringen und Sachsen am 1. September und am 22. September in Brandenburg eine stark tonangebende Kraft sein könnte, ist offenkundig. Eine Koalition mit ihr kann es nicht geben – und wird es auch nicht. Die CDU, an der diese Frage hängt, weiß, dass auch nur ein Grad Nachgiebigkeit in dieser Frage sofort und zu Recht im ganzen Land skandalisiert würde. In anderen Ländern, etwa in Großbritannien, Frankreich, Italien wurde und wird den deutschen Konservativen vorgelebt, wie es ist, den Rechtspopulismus zu nähren, indem man sich diesem inhaltlich annähert: parteizerstörend.

Das sind Erwägungen, wie sie in den Berliner Parteizentralen angestellt werden, weit weg vom echten Leben bis in die kleinsten Verästelungen politischer Machtausübung. Dass der „Osten“ anders funktioniert als der Westen, hat das politisch wache Publikum vor fünf Jahren erlebt, als die FDP-Zentrale es nicht schaffte, ihren heutzutage nur noch irrlichternd zu nennenden Politiker Thomas Kemmerich davon abzuhalten, sich zum Ministerpräsidenten Thüringens mit Hilfe der AfD wählen zu lassen – gegen den populären Bodo Ramelow von der Linkspartei. Auch die damalige CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer musste erkennen, dass ihre Macht an den Landesgrenzen zu Thüringen nichts mehr gilt. Dahinter machten sie ja doch, was sie wollen – eine Lehrstunde für die deutsche Parteiendemokratie, nicht nur der Union: Ja, doch, der Osten tickt irgendwie anders.

Wer annimmt, von oben anweisen zu können, wie der Laden unten zu laufen hat, der verliert. Wer sich glaubwürdig von den, aus ostdeutscher Sicht, Allüren hauptstädtischen Dirigats absetzt, kann gewinnen. Niemand weiß das besser als der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, der beim Angriffskrieg auf die Ukraine Haltungen äußert, die der Beschlusslage seiner Partei im Bund widersprechen. So setzt er von Beginn an auf Verhandlungen, auch mit dem Aggressor Russland.

Aber dort, wo er regiert, muss er so reden, ob es uns gefällt oder nicht. Der postrealsozialistische Osten tickt diesbezüglich augenscheinlich anders als vergleichbare Gesellschaften etwa im Baltikum oder in Polen.

Das bestätigt nicht nur die kluge Studie des im Osten aufgewachsenen Soziologen Steffen Mau mit dem Titel „Ungleich vereint“. Daher sind Debatten um Brandmauern unterhalb von Landesparlamenten immer nur theoretisch. Im praktischen Leben, in Dörfern, Landkreisen, Städten, also im konkreten Alltag der kommunalen Arbeit, werden Unvereinbarkeitsbeschlüsse nicht oder nie lupenrein umgesetzt werden können. Zumal SPD, Grüne und Linkspartei in den Kommunen nur noch selten über reale Durchsetzungsfähigkeit verfügen.

Man wird also mit dem Zeitgeist und seinen Akteurinnen* im Osten der Republik umgehen müssen. Eine andere Wirklichkeit dort kann man sich wünschen und für sie kämpfen, man kann sie aber nicht wegbeschließen. Die Verfassungsblog-Leute um Maximilian Steinbeis haben Vorschläge gemacht, wie man der Eroberung der Institutionen und Rechtsorgane durch die AfD und ihre Leute Einhalt gebieten kann. Und doch: Man wird eine im Osten populäre Partei wie die rechtsextremistisch gefärbte AfD nicht völlig außen vor halten können.

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Jan Feddersen

ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben und war in seinem Leben schon vieles, darunter Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Zeitungsausträger.

Dass das zu Schäden am bundesdeutschen Haus der Demokratie führen wird, muss jetzt schon nicht sonderlich mutig geweissagt werden. In Europa konnte man das bereits beobachten. So hat die PiS-Partei in Polen über acht Jahre vorgemacht, wie man die Unabhängigkeit der Justiz fast zerstört, die neue konservativ-liberal-linke Regierung Donald Tusks weiß davon nicht nur ein Lied zu singen. Eine vollständige Prophylaxe gegen schwere Verletzungen des demokratischen Gefüges gibt es nicht. Es ist schlicht: So ist das mit der gesellschaftlichen Realität, so bitter das auch klingen mag.

Immerhin kann nach allem, was Demoskopinnen* voraussagen, der Schluss gezogen werden, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht die AfD-Popularität insgesamt dämpfen wird. Was das politisch konkret bedeuten kann, ist (noch) offen. Eines kann man aber schon voraussagen: Eine Machtergreifung der AfD wird nicht stattfinden.

Das bedeutet für zivilgesellschaftlichen Akteurinnen*, für die Schar der Kämpferinnen* für eine bunte Gesellschaft, dass die beiden Wahlabende keine Jubeltage werden. Die Partei, auf die es nach den Landtagswahlen ankommt, ist die CDU. Sie muss ihren Einfluss, etwa über die Innenministerien, nutzen, um die „bunten“ Teile im Gesellschaftlichen zu schützen. Dass die hassschäumenden Demonstrantinnen* beim CSD in Bautzen überhaupt so nah an die queere Parade herankommen konnten, dass der sächsische Innenminister Armin Schuster viel zu lange brauchte, um ein wertschätzendes Wort für den CSD zu finden, ist schwerer erträglich als homophobe oder gendersprachkritische Hassparolen von Nazis. Anders gesagt: Die CDU und die von ihr verantwortete Polizei muss dem rechten Mob gegenüber deutlich artikulieren, dass man nötigenfalls mit juristischen Eilverfahren auf ihn reagieren wird. Die CDU wird, sonst fliegt ihr der demokratische Laden noch selbst um die Ohren, sich damit befreunden müssen, so etwas wie queere Paraden zu mögen. Ohne gleich in Liebe zu ihnen verfallen zu müssen.

Die Rechtsextremen sind im Osten der Republik kein unappetitlicher Minderheitsfaktor mehr, sondern faktisch schon Volkspartei

An die Polizei muss der Anspruch gestellt werden, dass sie nichts hinnehmen wird, was rassistisch, homophob, misogyn ist. Jede Attacke auf ausländisch aussehende Menschen, überhaupt auf Personen, die verletzlich sind, gehören geahndet. Zum demokratischen Miteinander zählt gerade für Schwächere das Bewusstsein, dass sie geschützt werden, notfalls mit staatlicher, also polizeilicher Gewalt. Ebenso gehören Lehrer und Lehrerinnen geschützt, die sich den völkisch gesinnten Ansprüchen (auch aus ihrer Schülerschaft) widersetzen: Hier warten echte Brandmauern auf die Union, zur Not auch gegen Widerstände aus der Elternschaft.

Die Lage scheint trostlos, auch, weil das Wort „Brandmauer“ allzu stark die parlamentarische Perspektive meinte. Diese zählt nicht gering, aber in den drei Bundesländern hat man es mit anderen Mächten als einzig den Organen der repräsentativen Demokratie zu tun: Was im Alltag Gewicht hat, sind vor allem Dinge außerhalb der Parlamente. Das ist ohnehin kein Naturzustand, auch wenn der Ost-Diagnostiker Steffen Mau kühl sagt, dass die rechtspopulistischen Verhältnisse nicht über Nacht verschwinden werden, sie haben auf absehbare Zeit Dauer.

Ist der Traum von einer bunten Republik also ausgeträumt? Sollte jetzt, wie jüngst der Spiegel nahelegte, vom Faschismus spekuliert werden? Dass er näher komme? Ich halte das für eine teufelsanbeterische Haltung. Klüger ordnete das vor kurzem Nancy Pelosi, Grande Dame der Strippenzieherei im US-Repräsentantenhaus und Hassobjekt Nummer eins des rechten US-Mobs, ein. Sie antwortete auf die Frage, wie sie all die Jahre unter Trump und anderen Präsidenten ausgehalten habe, nur dies: Politische Verhältnisse, das habe sie in ihrem Leben gelernt, können sich ändern. Immer. So eben auch im Osten unserer Republik. Die Marginalität der Anständigen und Bunten im Osten, sie wird nicht ewig so sein.