Schwerin, wie es strahlt und prahlt

Ortsbesuch in der Stadt der neuen Atom-Renaissance – inklusive Treffen mit glibbrigem Sauerland-Godzilla

Strahlende Führung durch das neue Atomlager Foto: reuters

Von Patric Hemgesberg

„Herzlich Willkommen im Schweriner Atompark!“ Heiner Klauke steht auf der Brücke zum Schloss und begrüßt uns im quietschgelben Schutzanzug. Das Schmuckstück des vor kurzem von der Unesco geadelten Residenzensembles erstrahlt in derart hellem Licht, dass wir den Doktor der Nuklearphysik davor nur schemenhaft erkennen können. Wir folgen dem 47-Jährigen zum Hauptportal.

Unterwegs glauben wir, eine amphibienartige Kreatur mit grünlich fluoreszierender Haut durch den Burgsee schwimmen zu sehen. Kein Hirngespinst! „Nachdem wir angefangen haben, hier massenhaft hoch­radioaktive Abfälle zu bunkern, hat sich im Gewässer ein überdimensionierter Lurch entwickelt“, lacht der Vorsitzende des Lobbyverbands „Atommüll nach oben!“. „Weil man aber nie weiß, wann das glibbrige Vieh zum Landlebewesen mutiert, sollten wir lieber von hier verschwinden. Kommen Sie!“

Wenig später stehen wir mit unserem Gastgeber im Hof des verschnörkelten Renaissancetempels. Erschrocken stellen wir fest, dass etliche mit dem Strahlenwarnzeichen beklebte Fässer dort in der Gegend herumliegen. Viele sind zerbeult oder rostzerfressen. Aus einigen leckt eine träge fließende Flüssigkeit. Wie Klauke uns erzählt, hat die Kommission der Bundesregierung bei der Endlagersuche Nägel mit Köpfen gemacht und sich nach einer Spende von Klaukes Verband unbürokratisch für die Perle Mecklenburg-Vorpommerns entschieden.

„Unser schöner Atommüll muss an Deutschlands besten Sehenswürdigkeiten für die Ewigkeit drapiert werden. Und das nicht erst in 50 Jahren!“ So will der gebürtige Güstrower bald auch im Kölner Dom und auf dem Münchner Marienplatz strahlende Fakten schaffen. Während wir völlig verdattert die leuchtturmhellen Zinnen des Schweriner Schlosses bestaunen, will uns der Wissenschaftler bei unserem ersten und wahrscheinlich einzigen Besuch so viel von der nuklearen Luxusdeponie zeigen wie nur eben möglich.

„Wegen der stattlichen Gammastrahlendosis dürfen Sie aus gesundheitlichen Gründen leider erst in 400.000 Jahren wiederkommen“, belehrt uns der Kernphysiker keckernd. „Das ist übrigens auch der Grund, warum die Landesregierung das Palais vor kurzem verlassen hat und aus Protest ins Exil nach Travemünde umgezogen ist. Hier geht’s lang!“

Unterwegs bestaunen wir mit Klauke die kostbaren Gemälde in der Ahnengalerie. Dank des atomar betriebenen 1.000.000-Lux-Kronleuchters an der Decke können wir auch in den tiefen Lagen der Porträts auf Detailsuche gehen. Mit Erfolg. Den ehemaligen Fürsten zu Mecklenburg-Schwerin sind durch die radioaktive Dauerbestrahlung bereits Tentakel, Fühler, diverse Bonusfinger oder pikant aufblühende Genitalgeschwüre gewachsen. Bevor uns Ähnliches widerfährt, hasten wir mit Klauke lieber in den protzigen Thronsaal.

„Im Polster des royalen Sessels ist ein kleiner, aber voll funktionsfähiger Minireaktor eingearbeitet“, erklärt uns Klauke die brummend pulsierende Aura um das an Pomp kaum zu überbietende Sitzmöbel. „Der buchstäbliche Platz an der Sonne ist für den Politiker reserviert, der den Atomausstieg rückgängig macht und das nächste nukleare Zeitalter einläutet. Einen erloschenen Brennstab als Zepter und ein Urankrönchen gibt es in dem Fall natürlich gratis dazu. Kommen Sie!“

Nach einem eigentlich bereits viel zu langen Aufenthalt stecken wir plötzlich im schloss­eigenen Hofladen fest. Weil wir eine lebenslange Mitgliedschaft in Klaukes Förderverein abgelehnt haben, lässt er uns nicht gehen, bevor wir nicht für mindestens 5.000 Euro überteuerte Souvenirs eingekauft haben. Ohne zu fragen, packt er uns sämtliche Plutonium-Schneekugeln, Pilzkonserven in Atomfassoptik und Mutanten-Stofftiere „für die lieben Kleinen“ in den Beutel. Erst nachdem wir geblecht haben, dürfen wir über die Dekontaminationsschleuse nach draußen.

Plötzlich werden wir Zeuge eines Wunders. Der hochgewachsene Monsterlurch kriecht tatsächlich ans Ufer des Burgsees und tapst unbeholfen einige Meter an Land. Zu unserer Überraschung sieht das schlaksige Ungetüm Friedrich Merz täuschend ähnlich. Wie uns Klauke verrät, aus gutem Grund. „Der ist bei einer Ortsbesichtigung vor einigen Monaten ins Wasser gefallen und bislang immer nur kurz wieder aufgetaucht“, winkt der Forscher ab.

„Der Sauerland-Godzilla würde natürlich zu gerne als Gottvater der Atomkraft im Thronsaal Platz nehmen. Um schließlich Markus Söder als Schlossherr zuvorzukommen, müsste er sich statt seiner Kiemen allerdings erst mal eine funktionsfähige Lunge wachsen lassen.“ Aber auch das, flüstert Heiner Klauke uns zu, könne im neuen Schweriner Atompark durchaus ratzfatz gehen. Strahlende Aussichten!