Aus den Nischen ins Populäre

Calla Henkel verlegt in ihrem Thriller die Handlung nach New York und North Carolina. Die Kunstwelt spielt in „Ein letztes Geschenk“ wieder eine Rolle

Von Verena Harzer

Lest ihn am See, Kanal oder im Park. Oder verkatert im Bett“, schreibt die US-amerikanische Autorin Calla Henkel Mitte Juni auf Instagram. Und meint damit ihren neuen Roman „Ein letztes Geschenk“, der gerade auf Deutsch erschienen ist. Keine anspruchsvolle Literatur also, sondern leichte Lektüre, die sich schnell mal so weglesen lässt. Nichts Sperriges oder Nerdiges. Low statt High, Pop statt Hochkultur, Masse statt Dis­tinktion.

Und das von einer, die sich eigentlich mit High und Distinktion bestens auskennt: Die 1988 im US-amerikanischen Minneapolis geborene Schriftstellerin, Künstlerin, Dramatikerin und Regisseurin Calla Henkel bewegt sich fast ausschließlich in künstlerischen Nischen. Also dort, wo alles andere als leicht konsumierbare Kunst produziert wird. An der Volksbühne in Berlin zum Beispiel. Auf der 9. Berlin Biennale oder in diversen anderen Galerien und Museen weltweit. Oder in dem kleinen Off-Off-Theater, das sie derzeit in Los Angeles an der Westküste betreibt.

Nun also raus aus dem Off – und rein ins Populäre. Zum Glück. Denn genau das macht den Reiz von „Ein letztes Geschenk“ aus. Der Roman ist ein echter Thriller-Schmöker – und betreibt nebenbei und leichtfüßig genau beobachtete Milieustudien oder Strukturanalysen über das Zusammenspiel von Macht und Reichtum oder die Konstruktion von Identität. Und das alles mit einer Hauptfigur, die so einsam, trotzig und unausstehlich den Plot vorantreibt, dass sie es mit jedem Film-noir-Helden aufnehmen kann.

Thriller hätten einfach „diesen extremen Motor“, dieses „etwas um jeden Preis wissen wollen“, der sie unaufhaltsam antreibe, sagte Henkel in einem Interview mit dem britischen Kunstmagazin AnOther im März. Und auf diesen Motor können man dann einfach alle möglichen „Details oder Überlegungen schmeißen“.

Tatsächlich läuft der Motor ihres neuen Romans wie geschmiert. Die ganze Geschichte bebt vor Geheimnissen und seltsamen Ereignissen, die die Handlung vorantreiben. Da ist der merkwürdige Vorfall, der die Künstlerin Esther Ray dazu veranlasst, die New Yorker Kunstszene ­gegen die Einsamkeit der Blue Ridge Mountains in North Carolina einzutauschen. Oder das für Esther völlig unerwartete Verschwinden ihrer Verlobten Jennifer.

Da ist die superreiche Naomi, die Esther den mysteriösen Auftrag erteilt, Familienalben als Geburtstagsgeschenk für ihren Ehemann zu erstellen. Oder der Mann mit dem Jeep Cherokee, der plötzlich in der Nachbarhütte wohnt und viel Post aus dem Gefängnis bekommt. Und wie kam es eigentlich zu dem tödlichen Autounfall von Esthers Mutter?

Calla Henkel: „Ein letztes Geschenk“. Aus dem Englischen von Verena Kilchling. Kein & Aber, Zürich 2024, 464 Seiten, 25 Euro

Erzählt wird das alles in knapper, präziser Sprache mit vielen fein beobachteten Details. Auf jeden Fall für alle, die den Roman in der englischen Fassung lesen. In der deutschen Übersetzung macht sich leider an vielen Stellen eine umständliche Betulichkeit breit.

Aus „Saris“ werden da etwa „Saris im indischen Stil“. Oder es tauchen deutsche Floskeln wie „Spaß beiseite“, „mit anzüglichem Grinsen“ oder „das kam einem vollständigen seelischen Zusammenbruch gleich“ auf, die sich im Original nirgends wiederfinden lassen. Aus einem knappen „I felt offended“ wird: „Seine Dreistigkeit machte mich noch wütender, als ich ohnehin schon war“. Oder wenn es im Original knapp und klar „I believed fiction was for idiots“ heißt, macht die Übersetzung daraus: „Ich hatte noch nie nachvollziehen können, wie man sich für Fiktion erwärmen konnte“.

Genug Ungereimtheiten, um einfach mal beim Verlag nachzufragen. Wie konnte das passieren? Die Antwort kommt am gleichen Abend per Mail. Schuld sei eine Mischung aus allem. Zum Beispiel seien nicht die letztgültigen Fahnen vom englischen Originalverlag geschickt worden. Wie auch immer, das Buch wurde gedruckt und liegt jetzt zum Verkauf in den Buchläden. Es lässt sich nur hoffen, dass sich die Erstauflage möglichst schnell verkauft. Und schon sehr bald die zweite Auflage in einer dann hoffentlich besseren Übersetzung erscheint.