Opposition in Georgien: Kurzer Prozess
Die Regierungspartei Georgischer Traum will im Falle eines satten Wahlsieges im kommenden Oktober die größte Oppositionspartei verbieten lassen.
Eine der ersten Amtshandlungen wäre die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die derzeit wichtigste Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung (ENM) nebst Gruppierungen, die mit ihr verbandelt sind. Die Partei des ehemaligen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili war 2012 abgewählt worden. Er selbst wurde unter anderem wegen Amtsmissbrauchs zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die sitzt der 56jährige, gesundheitlich stark angeschlagen, in Tbilissi ab.
Die ENM habe zahlreiche Verbrechen gegen den georgischen Staat und die Bevölkerung begangen. Daher sei es inakzeptabel, dass die Partei weiter von externen Kräften auferlegte Aufgaben ausführe, die dem Staat irreparablen Schaden zufügten, heißt es in der Erklärung. Die Wahl im Oktober solle als eine Art „Nürnberger politischer Prozess“ für die Nationale Bewegung dienen.
In der Verfassung festschreiben will der KO auch Bestimmungen zum Schutz „familiärer Werte“ und Minderjähriger. Russlands Präsident Wladimir Putin, mit dem vor allem junge Georgier*innen nichts zu tun haben wollen, lässt grüßen! Die Begründung liest sich, wie eine Abschrift der Kreml-Narrative.
Wider pseudoliberale Ideologien
Sollte dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt werden können, sei, laut KO, niemand mehr in der Lage, die Legalisierung sogenannter Lebenspartnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare, die Adoption durch eben jene, Operationen zur Geschlechtsumwandlung oder die rechtliche Anerkennung anderer sogenannter Geschlechter als männlich oder weiblich durchzusetzen.
Zudem werde die Förderung pseudoliberaler Ideologien in Bildungseinrichtungen und Medien verhindert. Eine Definition dieser Ideologien hat die Regierungspartei ebenfalls anzubieten. Damit solle erreicht werden, dass eine Person nicht einmal sicher zu wissen brauche, ob sie ein Mann oder eine Frau sei.
Die Menschen sollen ihre Wurzeln und die Geschichte ihres Landes nicht kennen und keine nationale, religiöse oder persönliche Identität haben. „Das Ziel der pseudoliberalen Ideologie besteht darin, einen niederen Sklaven zu schaffen, der leicht manipuliert werden kann.
Der georgische Politologe Gia Kukhaschwili, den das Webportal jam.news zitiert, schlägt Alarm. „Der KO bezeichnet jede Partei oder jede*n Bürger*in, der*die die Regierung kritisiert, als ‚Nazis‘. Mit dieser Erklärung soll ein Einparteiensystem geschaffen werden. Jede abweichende Meinung wird als etwas angesehen, das einer kriminellen Partei zu Diensten ist.“
Kampf für eine europäische Zukunft
Auch Petre Ziskarischwili von der Koalition Edinstwo (Einheit), der die ENM angehört, spart nicht mit Kritik. „Das lässt mich schmunzeln. Sie, die Regierung und der KO, stehen bereits im Lager Russlands, Nordkoreas, Irans und von Belarus. Leider führen sie den georgischen Staat genau in diese Richtung.“ Die ENM – das seien nicht nur Dokumente und Statuten, sondern eine Idee, reale Menschen und der Kampf für eine europäische Zukunft Georgiens.
Die Haare raufen dürfte sich erneut auch die EU. Im Dezember 2023 hatte Georgien den Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Knapp sechs Monate später trat ein Gesetz über „ausländische Agenten“ in Kraft. Dem folgten Sanktionen – vonseiten Brüssels und Washingtons. Genützt hat dies offensichtlich nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen