Simone Dede AyiviDiskurspogo
: Das Stroh, das wir uns jetzt leisten müssen

Foto: Fo­to:­ Kornelia Kugler

Obwohl der Kulturhaushalt des Bundes um gut 50 Millionen Euro erhöht werden soll, sind die freien darstellenden Künste von massiven Kürzungen bedroht. Darum habe ich in den letzten Tagen auf vielen Kanälen eine Petition gegen die Kürzungen verbreitet – und wieder mal gemerkt: Die freie Szene ist zwar ein profilgebender Fels unserer Kulturlandschaft, aber die Strukturen sind nicht leicht zu durchschauen, selbst für Fans. Da sind zum einen die Künst­le­r*in­nen und zum anderen die Produktionshäuser, also Theater ohne festes Ensemble, die Theatergruppen und Publikum in der jeweiligen Stadt zusammenbringen.

Wenn du in der freien Szene etabliert und gut vernetzt bist, fühlt sich das so an, wie in vielen Großstädten eine befreundete WG zu haben, bei der man Party machen kann. Allerdings nur, wenn du Speisen, Getränke und Deko selbst mitbringst. Das Haus stellt die Technik und verschickt die Einladungen. Wenn man als Neueinsteiger versucht, einen der begehrten Plätze in den Spielstätten zu bekommen, hat das ein wenig Maria-und-Josef-Style: Du klopfst an sehr viele Türen. Die meisten sagen Nein. Manche sagen gar nichts, und wenn jemand sehr viel Mitleid mit dir hat, bekommst du vielleicht einen Stall. Allerdings ohne Krippe und Ochs und Esel. Das müssen die Künst­le­r*in­nen selber mitbringen. Einige der Häuser stellen jedoch das Stroh!

Wer immer wieder mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat, brennt langsam aus. Die Probleme des freien Theaters bleiben Unterfinanzierung und Unsicherheit. Die geplanten Kürzungen treffen die Szene von beiden Seiten. Gespart und gestrichen werden soll gleichzeitig bei den Produktionshäusern und den Künstler*innen. Die Mittel des Fonds Darstellende Künste, der vielfältige Förderprogramme für Künst­le­r*in­nen ausschreibt und dringend einer Aufstockung bedarf, werden um 5 Millionen Euro gekürzt. Die Förderung für das Bündnis internatio­naler Produktionshäuser soll gestrichen werden. Das heißt: Häuser werden weniger Stroh stellen können, Theatergruppen weniger Geld haben, um selbst Stroh zu kaufen. Doch das ist wohl das geringste Problem: Den darstellenden Künsten geht es an die Infrastruktur, den Künst­le­r*in­nen an die berufliche Existenz. Das Publikum wird weniger und billiger produziertes Theater zu sehen bekommen. Und das ist besonders traurig. Dem freien Theater ist es auch während der Pandemie gelungen, durch Zuhören und Experimentieren neues Publikum zu gewinnen und Menschen mit dem Theater in Berührung zu bringen, die nicht geglaubt haben, Theater wäre etwas für sie, und für die lange Zeit tatsächlich im deutschsprachigen Raum kaum Theater gemacht wurde: In der freien Szene haben Schwarze und migrantische Perspektiven ihren festen Platz gefunden. Die Szene ist queerfeministisch, vielfältig und arbeitet hart und erfolgreich am Abbau von Barrieren.

Das freie Theater gewinnt Menschen, für die im deutsch­sprachigen Raum kaum Theater gemacht wurde

Hier gibt es keinen Dresscode und kein Problem mit Überalterung des Publikums. Tanz und Theater finden in ehemaligen Fabrikhallen statt und im ländlichen Raum. Die Themen sind aktuell und dringlich. Theater ist immer live und immer flüchtig. Es lebt von der Begegnung im Moment. Dem gemeinsamen Sehen und Fühlen, dem Austausch und der Diskussion. Es kann verstören und aufrütteln oder verbinden und trösten. In jedem Fall bringt es Menschen zusammen. Und das ist das Stroh, das wir uns genau jetzt leisten müssen.