Demo für bessere Versorgung bei ME/CFS: „Das wird sträflich vernachlässigt“

Menschen, die mit ME/CFS leben, werden im Stich gelassen, sagt Gritt Buggenhagen. Mit Liegend-Demos wollen sich Betroffene Aufmerksamkeit verschaffen.

Bei der Liegend-Demonstration 2023 machten etwa fünfzig Demonstranten vor dem Roten Rathaus auf die ME/CFS-Erkrankung aufmerksam Foto: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen

taz: Frau Buggenhagen, Sie sind an ME/CFS erkrankt, oft als Chronisches Fatigue Syndrom bekannt. Was heißt das?

Gritt Buggenhagen: Die Krankheit tritt meist nach einer Virusinfektion auf, so war es auch bei mir. Eine schleichende Verschlechterung nach einer Influenzainfektion 2001. Jahrelang haben die Ärzte gesagt, dass ich Burn-out oder eine Depression hätte, aber nichts hat geholfen. Irgendwann bin ich arbeitsunfähig geworden, konnte nur noch vier Stunden am Tag das Bett verlassen. Erst 2018 erhielt ich die Diagnose ME/CFS.

ist seit 2001 an ME/CFS erkrankt. Sie gründete den Verein ME-Hilfe e. V. um private und ehrenamtliche Hilfe für Betroffene aufzubauen.

taz: Und dann?

Buggenhagen: Im selben Jahr hat sich mein Zustand so verschlechtert, dass ich bettlägerig geworden bin. Mit ME/CFS zu leben, bedeutet für viele, dass sie keinen Arzt finden, der die Krankheit kennt, dass sie um Aufklärung kämpfen und unversorgt im Bett liegen. Dabei wird ME/CFS schon seit 1969 von der WHO als schwere neuroimmunologische Krankheit anerkannt. Nach der Coronapandemie hat sich die Zahl der Betroffenen vervielfacht.

taz: Am 8. August ist der Severe ME Awareness Day. Dazu gibt es in vielen Städten Deutschlands Liegend-Demos. Was passiert da?

Buggenhagen: Wir nennen diese Demos auch Trauergänge. Wir treffen uns an bekannten Orten in verschiedenen Städten und gehen dann gemeinsam ungefähr 300 Meter, weiter schaffen wir nicht. Trauergänge sagen wir, weil wir zeigen wollen, mit wie viel Verlust wir leben. Wenn ich mir zwar die Zähne putzen kann, aber keine Kraft mehr habe, unter die Dusche zu gehen, wenn ich nicht mehr zur Arbeit gehen kann, oder mein Kind nicht drücken, sind das Verluste, die wir immer wieder aufs neue verarbeiten müssen. In Berlin geht die Demo an der Weltzeituhr los und endet vorm Roten Rathaus. Dort legen wir uns hin und halten unsere Schilder hoch. Wer selbst nicht die Kraft hat zur Demo zu kommen, der kann einen Stellvertreter oder ein Bild schicken, das wir dann mit uns tragen.

taz: Wofür demonstrieren Sie noch?

Buggenhagen: Wir kämpfen für Aufklärung, Forschung und Versorgung. Die Krankheit ME/CFS wird sträflich vernachlässigt. Nach Corona haben sich alle auf Long Covid gestürzt, darunter versteht man ein riesiges Sammelbecken von möglichen Covidspätfolgen. ME/CFS, das als schwerste Form von Long Covid und als Folge anderer viraler Erkrankungen auftreten kann, wird oft ignoriert.

taz: Sie haben 2023 auch einen Verein gegründet, die ME-Hilfe e. V. Warum?

Buggenhagen: Wenn Betroffene soziale Leistungen und Unterstützung erhalten wollen, die ihnen zustehen, scheitern sie oft am System. Ich habe selbst erlebt, dass mir der Gutachter für die Rente oder die Reha nicht geglaubt hat. Man sieht ja trotz der Krankheit normal aus, man kann stehen, man kann lachen. Dass Betroffenen so oft die Kraft fehlt, dass sie den Tag im dunklen und leisen Zimmer verbringen müssen, sieht man nicht. Unser Verein will da helfen, wo das Sozialsystem versagt, wo Familien zusammenbrechen, weil sie die Pflege ihrer Angehörigen nicht mehr leisten können. Die Lücken müssen wir durch private Hilfe schließen, bis sich die Situation verbessert hat.

taz: Gibt es etwas, das Ihnen gerade Hoffnung macht?

Buggenhagen: Ja, dass international die Forschung weitergeht. Dabei hat Corona tatsächlich geholfen. Im Verhältnis zu anderen Krankheiten ist es immer noch wenig, aber das, was es gibt, macht Hoffnung.

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