Mutmaßliche Anschläge in Thüringen: Dreimal die Radmuttern gelockert

In Thüringen häufen sich Fälle, bei denen Autos von MLPD-Kandidaten manipuliert werden. Die Partei vermutet dahinter „faschistische“ Anschläge.

Auf einem Wahlplakt der MLPD werden gleiche Löhne in Ost und West gefordert

Wahlplakat in Thüringen, Juli 2019: Die MLPD hat seit 2018 einen Landesverband in Thüringen Foto: Rudi Gigler/imago

LEIPZIG taz | Unbekannte haben bei mittlerweile drei Fahrzeugen von Kan­di­da­t:in­nen der Marxistisch-Leninistischen Partei in Thüringen Radmuttern gelockert. Laut dem Zentralkomitee der MLPD handelt es sich um eine „faschistische Anschlagsserie“. Beweise gibt es bislang nicht. Bisher kam auch noch niemand zu Schaden. Die Landespolizeidirektion bestätigte der taz, dass sie in allen drei Fällen ermittle. Der letzte ereignete sich am vergangenen Freitag im Landkreis Sonneberg.

Die Radmuttern aller vier Autoreifen waren gelockert. Doch das bemerkte Andreas Eifler zunächst nicht. Der 69-Jährige lebt im Thüringer Städtchen Schalkau und tritt für die MLPD als Direktkandidat Wahlkreis Sonneberg I und auf Listenplatz 11 an. Er verlieh das manipulierte Auto an einen Bekannten. Dem fiel erst während der Fahrt auf, dass sich die Räder ungewöhnlich verhielten, und er stoppte den Wagen.

Ähnlich war es Ende Mai Petra und Dieter Ilius ergangen. Auch sie treten für die MLPD bei der Landtagswahl an. In Gera werben sie um Stimmen und sind dafür oft mit ihrem Auto unterwegs. Genau bei diesem Auto lockerten Unbekannte die Radmuttern und setzten eine Tackernadel in den linken vorderen Reifen, offenbar, um die Luft herauszulassen. Eine Werkstatt bestätigte die Manipulation. Das war der erste Fall.

Der zweite Fall ereignete sich fast einen Monat später bei Ilka May, Listenplatz 3. Auch sie bemerkte erst unterwegs, dass beim linken Vorderrad Radmuttern gelockert wurden. Drei seien schon abgefallen, als sie den Wagen auf der Bundesstraße 19 gestoppt habe. Bislang ist bei den Übergriffen niemand zu Schaden gekommen. Hätte sich eins der Räder während der Fahrt gelöst, hätte das anders ausgehen können.

Mehr Angriffe auf Po­li­ti­ke­r:in­nen

Tassilo Timm, der Landesvorsitzende der MLPD, zeigt sich besorgt. „Drei Fälle, das ist schon auffällig“, sagt er. Beschädigte Wahlplakate und Schaukästen, das kenne die Partei. „Aber hier nimmt jemand schwere Verletzungen und sogar den Tod in Kauf. Das ist eine krasse Steigerung.“

Die MLPD hat seit 2018 einen Landesverband in Thüringen. Im Wahlkampf ist sie vor allem mit Plakaten präsent und fordert darauf eine andere Flüchtlingspolitik, „echten Sozialismus“ und „Keine Waffenlieferungen – stoppt Putin und Nato!“ Bei der Landtagswahl 2019 hatte sie etwa 40.000 Plakate aufgehängt – deutlich mehr als die CDU, berichtete damals die Süddeutsche Zeitung. Am Ende bekam die linke Partei aber nur etwa 2.000 Stimmen, also 0,3 Prozent.

Die drei Manipulationsfälle an den Autos sind dem Thüringer Amt für Verfassungsschutz bekannt. Auf taz-Anfrage heißt es, die Gefährdungseinschätzung obliege grundsätzlich der Polizei. Aber auch der Verfassungsschutz konstatiert, dass es in diesem Jahr bereits mehrere Angriffe auf Po­li­ti­ke­r:in­nen in Thüringen gegeben habe, zum Beispiel in Waltershausen auf Michael Müller (SPD). Im Februar zündeten Unbekannte den Briefkasten an dessen Holzblockhaus an. Verletzt wurde niemand.

Auch Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) bestätigt: „In den letzten Jahren verzeichnen wir leider eine Zunahme der Übergriffe auf Amts- und Mandatsträger, sowohl quantitativ als auch qualitativ.“ Das treffe nicht nur Politiker:innen, sondern auch zivilgesellschaftlich Engagierte. Besonders im Wahlkampf sei eine „zunehmende Verrohung der politischen Auseinandersetzung“ wahrnehmbar, „die immer häufiger in Straftaten gegen Kandidaten mündet.“

Hetze im Netz, tätliche Angriffe: Wie geht das Innenministerium mit dieser Entwicklung um? „Eine Bewertung der Situation erfolgt kontinuierlich“, erklärt Maier. Die Behörden seien alarmiert und konkrete Maßnahmen mit Betroffenen vereinbart. Es gebe etwa eine spezielle Notrufnummer oder Polizeischutz bei akut bedrohten Personen.

„Eure Namen merken wir uns“

Von den anderen Fällen weiß auch Timm. „Wir solidarisieren uns ausdrücklich mit allen anderen antifaschistischen Parteien“, sagt er, „trotz unserer Meinungsverschiedenheiten“. Bei den manipulieren MLPD-Autos hält er einen Zusammenhang mit der AfD für offensichtlich. „Die AfD stellt sich immer als Saubermann dar. Aber es gibt nachgewiesene Verbindungen mit anderen Faschisten.“

Dass diese Behauptung stimmt, ist nicht bewiesen. Es gibt lediglich Indizien. In Gera, wo das Auto des Ehepaares Ilius im Mai manipuliert worden war, legten diese sich mit dem Rechtsextremisten Christian Klar an. Klar organisierte in den vergangen Jahren Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen und demonstrierte gemeinsam mit dem von ihm gegründeten Verein „Aufbruch Gera“ gegen Unterkünfte für Geflüchtete. Der örtliche AfD-Vorsitzende Wolfgang Lauerwald tritt nach Informationen des MDR häufig als Redner bei Kundgebungen von „Aufbruch Gera“ auf.

Petra und Dieter Ilius berichten von einer Drohung wenige Tage bevor die Radmuttern ihres Autos gelockert wurden. Bei einer Podiumsdiskussion vor der Oberbürgermeisterwahl in Gera hatten sie Flugblätter der MLPD für ein Verbot der AfD verteilt. Petra Ilius kritisierte auf der Veranstaltung in einem Beitrag auch die Aktionen von Christian Klar, der ebenfalls anwesend war. Danach sei ein ihnen unbekannter Mann auf sie zugekommen: „Euren Namen merken wir uns.“

Mit dem, was die AfD propagiere, bereite sie gewalttätigen Übergriffen den Boden, sagt MLPD-Vorsitzender Timm. „Wer die AfD wählt, wählt Faschismus“, fasst er zusammen. So steht es auch auf Wahlplakaten der MLPD. Diese würden mit am häufigsten zerstört.

Polizeischutz hatte die MLPD in Thüringen bisher nur bei größeren Veranstaltungen. Doch nun überlege die Partei, auch bei kleineren darum zu bitten. Trotz der mutmaßlichen Anschläge: „Unseren Wahlkampfauftakt machen wir bewusst in Gera“, sagt Timm. Man wolle sich nicht einschüchtern lassen und den „Faschisten“ keinen Fußbreit gönnen.

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