Berufung nach Autobahn-Abseilaktion: Zähflüssiger Verkehr vor Gericht

Mit Tumult beginnt das Berufungsverfahren gegen vier Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen. Sie wollen die Polizei nicht als „Tatwerkzeug“ benutzt haben.

Aktivisten hängen Transparente von einer Autobahnbrücke und seilen sich daneben ab

Um diese Aktion geht es: Ak­ti­vis­t*in­nen seilen sich am 27. November 2020 bei Schleswig von einer Autobahnbrücke ab Foto: Benjamin Nolte/dpa

FLENSBURG taz | Vor dem Gebäude des Landgerichts in Flensburg steht eine Gruppe Personen um eine mobile Küche herum. Auf einer Kochplatte brutzeln Pfannkuchen, als kleine Stärkung für die vier Personen, die sich an diesem Tag vor dem Landgericht verantworten müssen. Es ist der Berufungsprozess zu einem Fall, den das Amtsgericht Schleswig im Januar 2023 entschieden hatte: Damals waren vier Ak­ti­vis­t:in­nen wegen einer Demonstration an einer Autobahn zu Geldstrafen verurteilt worden, für einige kamen noch Strafen wegen Missachtung des Gerichts dazu. Der Vorwurf lautete Nötigung: Der Staatsanwalt hatte damals argumentiert, die Gruppe habe die Polizei als „Tatwerkzeug“ benutzt, um die Autobahn zu blockieren.

„Wir wollen den Berufungsprozess nutzen, um dieses wilde Argument infrage zu stellen“, sagt Frauke, eine der Angeklagten, vor Verhandlungsbeginn. Außerdem gehe es darum, „aufzuzeigen, warum es dringend nötig ist, umzusteuern und Autobahnen zurückzubauen“.

Bis zum Beginn der Verhandlung vergeht aber einige Zeit: Es dauert eine Weile, bis die Uniformierten eines Mobilen Einsatzkommandos (MEK) alle Un­ter­stüt­ze­r:in­nen der Angeklagten durchsucht haben. Eine zweite Unterbrechung gibt es sofort nach Beginn der Verhandlung, als Richter Nils Meppen alle Beteiligten zum Aufstehen auffordert. Rund ein Dutzend Zu­schaue­r:in­nen verweigert das – der Richter lässt sie daraufhin aus dem Saal entfernen.

„Gehen Sie freiwillig oder sollen wir Sie tragen?“, herrscht ein Mitglied des MEK einen der Zuschauer an. „Na, keine Antwort ist auch eine Antwort.“

Eine Woche Ordnungshaft

Eine Zuschauerin, die von drei Be­am­t:in­nen vom Stuhl auf den Boden geschoben und dann an Armen und Beinen gepackt wird, beschwert sich: „Ich finde es absolut albern, hier rausgetragen zu werden. Ich hab’ nicht mal gehört, worum es geht.“

Vor nun deutlich leereren Zuschauerreihen versuchen die Angeklagten, die sich größtenteils selbst verteidigen, mehrere Anträge zu stellen. Darunter ist beispielsweise der Vorstoß, im Gericht eine genderneutrale Sprache zu verwenden, als Hinweis darauf, dass das heutige Verkehrssystem mit seiner Bevorzugung des Autos patriarchal geprägt sei. Bereits bei der ersten Verhandlung in Schleswig hatten die Angeklagten zahlreiche Anträge gestellt, dazu sogar einen Drucker mit in den Gerichtssaal mitgebracht. In diesem Verfahren unterbindet Richter Meppen diese Versuche: „Sie haben jetzt nicht das Wort.“ Anträge sollten schriftlich gestellt werden.

Das Gericht tue nichts, um die Rechte der Angeklagten zu wahren, sagt die Angeklagte Irene T. Unter anderem habe ihr Verteidiger trotz frühzeitiger Anträge keine Aktenansicht erhalten. Auch wisse sie nicht: „Interessiert sich dieses Gericht eigentlich für die Klimakatastrophe?“

Meppen verhängt daraufhin eine Ordnungshaft von einer Woche gegen T. – sie sei beim Eintritt der Kammer sitzen geblieben, habe „gebrüllt“ und weitergesprochen, obwohl ihr das Wort entzogen worden sei. T. kündigt im Gegenzug einen Befangenheitsantrag an. Nach einem weiteren Wortwechsel wird T. von drei Uniformierten aus dem Saal geführt.

„Das ist so chaotisch, das ist lächerlich!“, ruft eine Zu­schaue­r:in – die daraufhin ebenfalls den Saal verlassen muss.

Protest gegen Abholzung des Dannenröder Waldes

Der Protest im November 2020 hatte sich gegen die geplante Abholzung des Dannenröder Waldes für den Bau der Autobahn 49 gerichtet. Mehrere Ak­ti­vis­t:in­nen hatten Plakate mit Aufschriften wie „Stoppt den Autowahn“ und „Mit Vollgas in die Klimakatastrophe“ über die Straße gespannt und sich neben den Plakaten abgeseilt. Beim Eintreffen der Polizei hatten sie sich geweigert, freiwillig wieder auf die Brücke zu kommen. Die Aktion führte dazu, dass Autos langsamer fuhren – damit habe aus Sicht der Polizei „Gefahr für Leib und Leben“ bestanden. Die Polizei habe dann die Straße gesperrt – das sei das Ziel der Ak­ti­vis­t:in­nen gewesen, hieß es im Schleswiger Urteil, das Meppen verlas.

In einer Stellungnahme erinnert die Angeklagte Frauke an die Proteste gegen den Bau der Autobahn 49, deren Trasse durch den Dannenröder Wald verlaufen sollte. Im Herbst 2020 hatten Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen dort Bäume besetzt und sich gegen die Rodung gewehrt. Angesichts des Klimawandels gehe es „aber nicht nur um diese eine Autobahn, sondern um die Utopie einer autofreien Welt“, so die Aktivistin.

Eine weitere Angeklagte erklärt, die Möglichkeiten legaler Proteste seien ausgeschöpft, es sei daher notwendig, auch andere Formen anzuwenden, um eine Verkehrswende zu erreichen. Der dritte Angeklagte sagte, er sei „sauer auf frühere Generationen“ und wünsche sich, ins 19. Jahrhundert zurückzukehren, um Dinge anders zu gestalten, denn der individuelle Verkehr sorge für „einen höllischen Zustand“. Zu den Ereignissen im November 2020 an der A7 wollen die Angeklagten nichts sagen.

Insgesamt sind fünf Verhandlungstage angesetzt, bei denen auch die damals anwesenden Po­li­zei­be­am­t:in­nen aussagen sollen. Eine Entscheidung ist für September geplant.

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