Ein Abstecher zum Rhein: Experimenteller Kick
Die Monheim Triennale bietet traumhafte improvisatorische Einwürfe in einer Stadt, in der man sich gar nicht zwischen Kölsch und Alt entscheiden will.
M onheim ist ein westdeutsches 40.000-Einwohner-Städtchen. Tech- und Chemiefirmen sind hier ansässig, auch Briefkastenfirmen (die Gewerbesteuer ist hier niedrig), es gibt keinen Bahnanschluss, aber jede Menge Kunst im öffentlichen Raum. Die Mittelstadt liegt am Rhein. Und sie liegt am Äquator.
Denn Monheim ist etwas weniger als 17 Kilometer von Düsseldorf entfernt und etwas mehr als 17 Kilometer von Köln. Ich könnte hier also gut beides abwechselnd trinken, das dunkle Altbier und das säuerliche Kölsch. Monheim liegt am rheinischen Bieräquator.
In der Praxis ist die Auswahl weniger groß. Am späten Donnerstagabend bedauert der Barkeeper an der Hotelbar, kein Alt ausschenken zu können. Immerhin bekomme ich eine kühle Kölschstange. Das beruhigt nach einem nervenaufreibenden Reisetag. Die Konzerte des Tages habe ich allesamt verpasst.
Ich bin wegen der Monheim Triennale an den Niederrhein gekommen, ein internationales Musikfestival für improvisierte und experimentelle Musik, das alle drei Jahre nach Monheim kommt, aber auch in den Zwischenjahren ein aufwendig kuratiertes Programm bietet. 2024 ist so ein Zwischenjahr.
„Is the red team Germany?“
Monheim am Rhein
hält es neben der Musik auch mit der Gänseliesel: Eine Gänseliesel trägt die Stadt im Wappen und vor dem Rathaus steht der Gänseliesel-Brunnen. Die Stadt ist außerdem für ihre vielen Briefkastenfirmen bekannt, der Gewerbesteuersatz ist sensationell niedrig.
Freitagabend in Monheim. Unglücklicherweise steht parallel ein alles überschattendes Großereignis an. Man muss halt damit umgehen können – und die Triennale kann. Der New Yorker Multiinstrumentalist Shahzad Ismaily sitzt am Flügel und spielt einige sanfte Akkorde, dazu improvisiert die indisch-US-amerikanische Sängerin Ganavya Doraiswamy mit ihrer famosen Sopranstimme. „Hey, I heard there’s Fußball going on“, sagt Ismaily zu seiner Partnerin, und prompt erscheint auf der bislang schwarzen Leinwand hinter der Bühne das aktuelle Fernsehbild des EM-Spiels Deutschland – Spanien.
Die beiden kommentieren nun für gute 20 Minuten das Geschehen. Beide haben nicht die blasseste Ahnung von Fußball und thematisieren dies auch lustvoll. „Is the red team Germany?“, fragt Ismaily. Dani Olmo erzielt den spanischen Führungstreffer („Olmo? Sounds German to me!“), und Ismaily verspricht, einen kriegerischen Song zur Motivation der Deutschen zu spielen. Genützt hat es wenig. Aber ich bin ja für die Musik hier.
16 KünstlerInnen sind für fünf Tage an den Rhein gekommen, um zu improvisieren, sich auszutauschen, um spontan Duos, Trios und größere Bands zu bilden. Eine erstaunlich vielfältige Auswahl wurde dabei getroffen, queere KünstlerInnen, People of Colour, Kunstschaffende aus Georgien, Australien und dem Iran sind vor Ort; abgesehen davon liegt der Schwerpunkt eindeutig auf US-KünstlerInnen.
Hypnotische Drones
Ich will wissen, wie der erste Festivaltag, an dem ich es zu den Konzerten nicht geschafft habe, verlaufen ist, und die Kollegin sagt: „dreamy“. In ähnlicher Stimmung beginnt der zweite Nachmittag. Den Satz „Ich bin eigentlich kein Dudelsack-Fan, aber …“ höre ich gleich mehrmals. Gemünzt ist er auf die Schottin Brighde Chaimbeul.
Sie spielt eine Smallpipe, bei der der Sack nicht mit dem Mund, sondern über einen Blasebalg unter dem Ellenbogen aufgeblasen wird. Durch die 500 Jahre alte Marienkapelle direkt am Rheinufer wabern hypnotische Drones, die weder nach Highlands noch nach Rheinland klingen. Alleine interpretiert Chaimbeul Philipp Glass – und Monheim scheint in Richtung eines anderen Universums zu schweben.
Nur ein paar Meter von der Kapelle entfernt liegt die „MS Rheinfantasie“ am Anleger der Stadt. Das 85 Meter lange Ausflugsschiff ist Hauptspielort der Triennale, auf der Bühne im abgedunkelten Bauch ist drei Tage lang bis spät in die Nacht Programm. Für ein leises Quartett ist Chaimbeul mit Gitarrist Ismaily, der Sängerin Doraiswamy und der Violinstin yuniya edi kwon zusammengekommen, zuvor hat ein Bläser-Trio die schrillen Seite der Impro-Kultur ausgelotet. Ich habe Durst.
Über die Bar auf dem Oberdeck des Partyschiffs weht ein strammer Wind. Auf der Getränkekarte steht doch tatsächlich: „Alt nur in Düsseldorf“. Der Kellner grinst. Kein Problem, wir sind doch hier auf halbem Wege.
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