Rechte Empörung über Theaterstück: Glatt gelogen
Das rechte Online-Magazin „Nius“ skandalisiert das Stück „Unsere Elf“ am Staatstheater Hannover. Der Angriff ist ein Beispiel rechter Kulturagitation.
Für Rechtspopulisten mit nationalistischer Agenda hingegen ist das ein Anlass zum Empören und Pöbeln. Das „Nius“-Online-Magazin des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt wirbt um Leser mit der Überschrift „Die Bundesregierung feiert die EM mit einem Theaterstück über den Islamisten Mesut Özil“. Und zeigt damit, nicht an der Realität, sondern an Propaganda interessiert zu sein.
Richtig ist: Die Produktion bekommt Geld aus dem EM-Kulturprogramm-Fonds des Bundes. Thematisiert werden in Hannover unter anderem Aufstiegshoffnungen sowie Respekt- und Akzeptanz-Sehnsüchte, die gerade migrantisch geprägte Jugendliche mit Fußball verbinden.
Das aus O-Tönen ehemaliger und aktueller Nationalspieler:innen collagierte Stück ist aber keines über Mesut Özil. Lediglich in einer von 23 Szenen geht es um den ehemaligen deutschen Nationalspieler. Hilflos genervt wird er im Kartoffel-Kostüm dargestellt und müht sich zunehmend vergeblich, zwischen den Zuschreibungen als Türke oder Deutsch-Türke auch Deutscher sein zu wollen. Die Aufführung zeigt Özil als unsicheren, fremdbestimmten Menschen, der sich beim freien Artikulieren in deutscher Sprache soufflieren lassen muss.
„Unsere Elf“: wieder am 11. 9. und 17. 9., 19.30 Uhr, Staatstheater Hannover
Dann singt er die Nationalhymne nicht mit, woraufhin ihn das Ensemble wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Das Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan wird erwähnt und dass Özil mittels eines Tattoos neuerdings seine Solidarität mit den rechtsextremen Grauen Wölfen bekundet. Die Entwicklung vom deutschen Inklusionshelden zum internationalen Fußballstar zum ultranationalistischen Türken beschreibt die Aufführung bedauernd – als gescheiterte Integration. Und zitiert Özil: Wenn „wir gewinnen“, sei er Deutscher. Wenn „wir verlieren“, sei er Immigrant.
Für diese subjektive Erfahrung gibt es objektive Indizien wie rassistische Beleidigungen, denen Özil ausgesetzt war. Die Aufführung legt nahe, dass diese Enttäuschung über ein nicht nur vorbildlich weltoffenes Deutschland ein Grund sein könnte für die Radikalisierung des Kickers.
„Nius“ resümiert: „Die Bundesregierung investiert unsere Steuergelder, um Islamismus salonfähig zu machen.“ Was Unsinn ist, denn die Produktion beschreibt, empathisiert und kritisiert Özils Wandlung und gibt die Widersprüche der Auseinandersetzung wieder.
Solche Differenzierungen sind im Rechtsausleger-Journalismus nicht vorgesehen, da gibt es keine Mängel deutscher Migrations- und Integrationspolitik, nur „einen Islamisten, der unsere Werte verachtet“ – und die hanebüchene Lüge, dem Schauspielabend liege „Islamismus-Apologetik“ zugrunde. Es gibt nicht eine Szene, mit der sich die Inszenierung islamistische Haltungen zu eigen macht.
Die „Nius“-Autor:innen bringen den Begriff „Vaterland“ ins Spiel, um daraufhin anzumerken: „Auf den Trikots der Schauspieler ist nirgends Schwarz-Rot-Gold zu sehen, dafür prangt bei Zweien der Schriftzug,DDR' auf der Jacke.“ Auch dieser Vorwurf geht ins Leere. Denn es handelt sich nicht um eine anti-westdeutsche Aussage, sondern um den Hinweis, dass auch Vorwende-Kicker aus dem Osten Deutschlands für die Aufführung interviewt wurden.
Gegen den freien öffentlichen Diskurs
Ebenso falsch ist die Aussage, „die Deutschen“ werden „im Namen der Bundesregierung gleich zu Beginn des Stücks für ihren Nationalstolz beschämt“. Richtig ist: Wenn das Ensemble den Saal betritt, klatscht es erst mal rhythmisch, grölt dann „Deutschland!“, beginnt die Nationalhymne zu singen und bricht das ab mit der Frage: „Das geht nicht, oder?“ – als zu diskutierende These, ob schon zu viel Nationalismus, Chauvinismus in der Begeisterung für ein Länderteam mitschwingt.
Der Angriff auf die Theaterproduktion in Hannover ist ein typisches Beispiel rechter Kulturagitation, mit der eine „deutsche kulturelle Identität im traditionellen Sinn“ hochgehalten wird, die von der aktuellen Kulturpolitik „beseitigt werden“ soll. Das behauptete jedenfalls die AfD-Fraktion im Bundestag 2023 in einem Antrag zur Neuausrichtung der Kulturpolitik.
Ziel ist wohl, Kunstinstitutionen als freie Orte öffentlicher Diskurse abzuschaffen zugunsten von Lehranstalten, an denen „Deutsche Leitkultur statt ‚Multikulturalismus‘“ gepredigt wird, wie es etwa auf der AfD-Webseite heißt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin