In die Hände der Taliban

Der Bundeskanzler kündigt an, islamistische Gewalttäter und deren Anhänger nach Afghanistan und Syrien abzuschieben. Grüne warnen vor Kooperation mit Taliban

Bedrohungen die Stirn bieten: Scholz im Bundestag Foto: Kay Nietfeld/dpa

Aus Berlin Anna Lehmann
und Dinah Riese

Der Tod des Polizisten Rouven L. hat Folgen für die Abschiebepraxis der Bundesregierung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Donnerstag an, Straftäter und Gefährder künftig auch nach Afghanistan und Syrien abschieben zu wollen. „Es empört mich, wenn jemand schwerste Straftaten begeht, der hier bei uns Schutz gesucht hat“, so Scholz in seiner Regierungserklärung zur Sicherheitslage im Bundestag. „Solche Straftäter gehören abgeschoben – auch wenn sie aus Syrien oder Afghanistan stammen.“

Aber auch Menschen, die Terror verherrlichen, will man wieder loswerden. Scholz gab sich entschlossen: „Wer Terrorismus verherrlicht, wendet sich gegen alle unsere Werte – und gehört abgeschoben.“ Gleichzeitig nannte er es „abwegig“, die 20 Millionen Bür­ge­r:in­nen mit Einwanderungsgeschichte, die in Deutschland leben, „unter Generalverdacht“ zu stellen. Auch sie seien entsetzt über die Bluttat von Mannheim und würden nicht selten Opfer von Hetze und Gewalt.

Der Polizist L. war am Wochenende nach einem Einsatz in Mannheim gestorben. Der mutmaßliche Täter Sulaiman A. hatte erst einen Anti-Islam-Aktivisten mit einem Messer attackiert, sich dann, wie in Videos zu sehen, auf Rouven L. gestürzt und ihm das Messer mehrmals in den Hals gerammt. A. war 2014 als Minderjähriger ohne Eltern aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Sein Asylantrag war zunächst abgelehnt worden, er erhielt aber einen befristeten Aufenthaltsstatus, der immer wieder verlängert wurde. Er ist mit einer Deutschen verheiratet, hat zwei Kinder und ist nicht vorbestraft

Abschiebungen nach Afghanistan hatte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2021 gestoppt, als die Taliban vorrückten. Auch nach Syrien wird bislang niemand abgeschoben. Grund ist die schlechte Sicherheitslage in beiden Ländern und fehlende Kontakte und Abkommen mit den Regimen von Baschar al-Assad und den Taliban. Scholz sagte daher, man prüfe eine Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten.

Oppositionsführer und CDU-Fraktionschef Friedrich Merz drängte die Bundesregierung, Abschiebungen nach Afghanistan zügig zu ermöglichen. Dafür müssten „technische Kontakte“ genutzt werden. Was wohl nichts anderes heißt, als dass die Bundesregierung in diesem Punkt eben doch mit den Taliban kooperieren soll.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, zeigte sich ebenfalls offen für die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern – nachdem diese ihre Strafe verbüßt hätten: „Islamismus ist der Feind der Demokratie, er muss entschieden bekämpft werden.“ Allerdings meldete sie Zweifel an, ob es überhaupt möglich sei, Menschen nach Syrien und Afghanistan auszuweisen. Wie sollten Gespräche mit terroristischen Regimen laufen, welche Drittländer sollten sich bereit erklären, abgeschobene Gewalttäter aus Deutschland aufzunehmen?, fragte Haßelmann.

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), warnt vor einer Zusammenarbeit mit den Taliban. „Die Taliban haben in Afghanistan seit 2021 ein menschenverachtendes Regime errichtet, unter dem besonders Frauen und Kinder leiden“, so Amtsberg zur taz. Es gebe keine Rechtsstaatlichkeit, die humanitäre Lage bleibe prekär. „Jede Ausweisung und jede Abschiebung nach Afghanistan erfordert eine Zusammenarbeit mit diesem islamistischen Terrorregime und damit quasi eine Anerkennung der Taliban. Die wäre aus meiner Sicht ein großer Fehler.“

Der Grüne Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke bezeichnete Scholz’Vorstoß als „realitätsfremd“ und juristisch nicht umsetzbar. Seehofer habe Abschiebungen nach Afghanistan mit der Begründung ausgesetzt, es sei dort weder für die Abzuschiebenden noch für die begleitende Bundespolizei sicher. „Das hat er nicht aus Humanismus gemacht, sondern weil Gerichte die Abschiebungen gekippt hätten“, so Pahlke zur taz. „So würde es jetzt wieder kommen.“ Der Umweg über Pakistan mache rechtlich keinen Unterschied, da es sich um eine Kettenabschiebung handle. „Es ist äußerst zweifelhaft, ob das nach deutschem Recht zulässig wäre.“ Pahlke sieht in den Abschiebeplänen vor allem eins: Wahlkampf.