Ein Vorbild – gerade heute

Vor fünf Jahren wurde Walter Lübcke erschossen. Seine Familie verurteilt neuen Hass auf Politiker

Von Konrad Litschko

Erst vor wenigen Tagen meldete sich die Familie von Walter Lübcke zu Wort. „Mit Entsetzen“ schaue sie auf die aktuellen Angriffe auf PolitikerInnen, teilte ihr Sprecher mit. Es müsse „deutlich mehr“ für den Schutz der politisch Engagierten getan werden, der Rechtsstaat „mit der notwendigen Härte gegen die Täter vorgehen“, appellierte die Familie und richtete sich auch an die Bedrohten: Sie sollten sich nicht einschüchtern lassen: „Sie sind nicht allein.“

Am Sonntag nun saß die Familie Lübckes – seine Witwe Irmgard Braun-­Lübcke, seine beiden Söhne Christoph und Jan-­Hendrik – in der Martinskirche in Kassel zur Feier des Gedenkens an ihren Vater und den Mord vor fünf Jahren in der Nacht zum 2. Juni 2019. Der Rechtsextremist Stephan Ernst hatte Lübcke auf der Terrasse dessen Wohnhauses in Istha bei Kassel erschossen, womöglich mit einem Komplizen. Er handelte aus aufgestautem Hass, nachdem sich der CDU-Politiker als Kasseler Regierungspräsident für Geflüchtete eingesetzt hatte.

Der Jahrestag fällt in eine Zeit, in der wieder Wahlkämpfende angegriffen werden. Daran erinnerte in der Martinskirche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Lübcke habe in einer aufgeheizten Stimmung die Mitmenschlichkeit und Grundwerte verteidigt, er würde es auch heute tun, erklärte Steinmeier: „Nehmen wir ihn uns zum Vorbild.“ Der Mord an Lübcke sei Terror gewesen. Ob er hätte verhindert werden können, wisse man nicht. Aber der Staat habe „nicht genug getan, um die Gefahr abzuwenden“, räumte Steinmeier ein. Es sei ein „Versäumnis des Staats, die furchtbare Gefahr des Rechtsterrorismus in ihrer ganzen Dimension zu erkennen“.

Steinmeier appellierte, auch heute brauche es „Geschlossenheit im Kampf gegen den rechten Terror“ und Widerspruch im Alltag. Rechtsextremismus sei „salonfähig, ja partyfähig geworden“, er reiche bis in die Parlamente. Die Bedrohten verdienten „jeden Schutz“. Auch brauche es politische Bildung, einen „reak­tions­schnellen“ Rechtsstaat und Zusammenhalt der Gesellschaft.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, der Mord an Lübcke erschüttere ihn bis heute. Und auch er mahnte angesichts der jüngst vom Bundeskriminalamt gezählten gut 60.000 politischen Straftaten im Jahr 2023, dass solche Taten konsequent verfolgt und „überall auf Widerspruch stoßen“ müssten. Die Mehrheit der Anständigen müsse „unüberhörbar“ sein.

Aus der Familie von Walter Lübcke sprach in der Martinskirche niemand, sie hatte ihr Botschaft vorher veröffentlicht. Es gebe keinen Tag, an dem die Gedanken der Familie nicht bei Walter Lübcke seien. Doch das Leben gehe weiter, es gebe inzwischen fünf Enkel. Die Familie lebe weiter im Haus in Istha, weil sie sich in der Dorfgemeinschaft geborgen fühle.

Und auch das Vermächtnis von Walter Lübcke wirkt weiter. Nach der Gedenkfeier wurde vor der Martinskirche ein Demokratiefest gefeiert, 500 bunte Luftballons stiegen in den Himmel. In der Kirche sprachen zuvor auch Schü­ler*in­nen der nach Walter Lübcke benannten Schule in Wolfhagen. Und in dieser Stadt, zu der der Ortsteil Istha gehört, wird demnächst ein Theaterstück aufgeführt zu Walter Lübcke. Der Titel: „Man muss für seine Werte eintreten“.