Brandenburg zwischen zwei Wahlen: Bloß nicht vor der blauen Wand

Die rot-schwarz-grüne Regierung zieht in Potsdam nur 44 Stunden nach dem landesweitem AfD-Wahlerfolg eine positive Bilanz von fast 5 Jahren Koalition.

Das Foto zeigt die drei führenden Köpfe der rot-schwarz-grünen Regierunge in Brandenburg bei ihrer Bilanzpressekonferenz: Michael (Stübgen( CDU), Dietmar Woidke (SPD) und Ursula Nonnemacher (Grüne)

Bei der EU-Wahl am Sonntag bekamen die Parteien von Brandenburgs Kenia-Koalition nicht viel mehr als ein Drittel der Stimmen Foto: Michael Bahlo/dpa

POTSDAM taz | Chuzpe ist ein jiddischer Begriff für Dreistigkeit oder Unverfrorenheit, bei dem auch ein gewisser Respekt mitschwingt, sich etwas zu trauen. Dietmar Woidke, brandenburgischer Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzender, hat diese Fähigkeit sichtlich, als er am Dienstagmittag vor Journalisten steht. Sich so kurz nach der Schlappe bei der EU-Wahl hinzustellen, fünf Jahre rot-schwarz-grüner Landespolitik sehr positiv zu bilanzieren und sich optimistisch mit Blick auf die Landtagswahl im September zu geben, dafür braucht es schon Chuzpe.

Bloß 13,1 Prozent der Stimmen hat Woidkes SPD am Sonntag in Brandenburg bekommen. Das war nicht nur kaum halb so viel wie die AfD (27,5) und deutlich weniger als die CDU (18,4). Nein, auch das erstmals angetretene Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) schnitt besser ab. Ein Bündnis, das außer seiner ­Namensgeberin kein Gesicht und auch kein Programm für Brandenburg hat. Nur Platz vier also für jene Partei, die hier seit der Wende durchweg den Ministerpräsidenten stellt.

Für diesen Dienstag, nur 44 Stunden nach Schließung der Wahllokale, hat Woidke mit seinen Mitstreitern in der rot-schwarz-grünen Koalition zu einer Bilanz geladen. All dessen, was sie seit Herbst 2019 in ihrer sogenannten Kenia-Koalition für Brandenburg erreicht haben. Jene drei Parteien also, denen Brandenburgs Wählerschaft am Sonntag, wenn auch auf EU-Ebene, zusammen nur 37,5 Prozent der Stimmen gegeben hat.

Statt wie sonst im Pressefoyer, das wegen seiner Farbgestaltung den Beinamen „Blaue Wand“ hat, trifft man sich am Dienstag in Raum 150 der Potsdamer Staatskanzlei. Vor einer blauen Wand will gegenwärtig wohl kein Regierungsmitglied gern stehen – steht Blau doch für den flächendeckenden Erfolg der AfD, die auch bei den parallelen Kommunalwahlen in 13 von 14 brandenburgischen Landkreisen vorne lag.

Zweckehe statt Liebesheirat

Dietmar Woidke kommt von selbst nicht auf das Ergebnis vom Sonntag zu sprechen. Seine Bilanz ist durchweg positiv. Die Tesla-An­siedlung werde das Land „dauerhaft positiv verändern“. Zudem habe es in keiner ­Wahlperiode zuvor so viele Zukunftsprojekte gegeben. Mit Blick auf die Kenia-Koalition spricht er erneut davon, dass das keine ­Liebesheirat gewesen sei. „Aber es war doch eine sehr fruchtbare Zweckehe“, sagt Woidke – und antwortet mit „Klares Ja“ auf die Frage, ob er diese Koalition noch einmal eingehen würde.

Woher kommt dann die Unzufriedenheit der Wähler? Woidke verweist vage auf ein verändertes Medienverhalten, Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) beklagt „deep ­fakes“ und räumt eine vielleicht nicht ausreichende Wahrnehmung für die Stimmung ein. Innenminister Michael Stübgen (CDU) macht die Ampelkoalition in der Bundesregierung verantwortlich.

103 Tage sind es noch bis zur Landtagswahl am 22. September. Am Montag schon haben Woidke und seine SPD argumentiert, das sei eine ganz andere Wahl mit anderen Personen. „Wir müssen raus“, sagt er nun. „Wir müssen offensiver rausgehen und dafür werben, was in diesem Land entstanden ist.“

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