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Nach dem Skandal-Video von SyltDer Norden grölt rassistisch

Aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern werden weitere Fälle rassistischer Gesänge auf Partys bekannt.

Hat ein Sylt-Problem bekommen: Schlagermove 2024 in Hamburg Foto: Georg Wendt/dpa

Hamburg taz | Nach dem als „Sylt-Video“ verbreiteten Mitschnitt einer Party im „Pony-Club“ in Kampen, bei der Feiernde rassistische Parolen grölten, sind nun zahlreiche ähnliche Vorfälle in Norddeutschland bekannt geworden.

Bereits am Freitag war ein ähnlicher Fall bei einem Schützenfest im Löningen im Kreis Cloppenburg bekannt geworden. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie Be­su­che­r*in­nen des Schützenfestes bei ausgelassener Stimmung die Zeilen „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ mitgrölen. Dies ereignete sich bereits am Pfingstmontag, also vor Veröffentlichung des Sylt-Videos.

Unter Rechten ist der Song „L'amour tojours“ von Gigi D'Agostino mit rassistisch umgedichtetem Text seit Monaten eine Chiffre für ihre Ideologie. Online ist es zu einem Trend geworden, den Song in verschiedenen Varianten hochzuladen. Meist ohne die rassistischen Parolen, sondern in der Originalversion. Dafür platzieren die Use­r*in­nen Hinweise, etwa im Hintergrund des vom Nutzer „Aryan Classic“ hochgeladenen Videos, eine römische Statue. Entsprechende Videos werden im Netz hunderttausendmal geklickt. Darunter listen sich Kommentare wie „Zu dieser Musik marschierte Mussolini nach Rom“ oder „Haltet die Gene sauber und den Traum hoch“.

Auf Partys wird der Song seit Längerem in seiner abgewandelten Form mitgesungen. Das Magazin Katapult-MV entdeckte den mutmaßlich ersten Fall im Oktober 2023 in Mecklenburg-Vorpommern. Videos, die im Netz kursieren, dokumentieren weitere Fälle im Januar 2024 in Pahlem (Kreis Dithmarschen) und in Schenefeld (Kreis Steinburg) in Schleswig-Holstein. Laut der Staatsanwaltschaft Itzehoe laufen die Ermittlungen.

Schü­le­r*in­nen im Privatinternat feiern den Song

Seit dem Wochenende häufen sich nun die Fälle. Feiernde sangen die rassistischen Parolen auf einer Party im ostfriesischen Emden sowie auf einem Schützenfest bei Wolfsburg – die Liste ist lang. Auf einer Party des Privatinternats Louisenlund im Kreis Rendsburg-Eckernförde sollen Schü­le­r*in­nen am Donnerstagabend den Text gebrüllt haben. 40 Schü­le­r*in­nen waren auf der Party, acht sollen beteiligt gewesen sein. Die Feier sei daraufhin von einer Pädagogin beendet worden.

Die Schü­le­r*in­nen sollen nun ihr Verhalten reflektieren und sich ehrenamtlich betätigen, zudem soll der Vorfall im Unterricht aufgearbeitet und die Demokratieerziehung ausgeweitet werden. So steht es in einer Stellungnahme des Leiters der Stiftung Louisenlund.

Auch der Hamburger Schlagermove kam nicht ohne Gigi D'Agostinos umgedichteten ­Partyhit aus. Während die 400.000 Be­su­che­r*in­nen mit bunten Blumenoutfits auf St. Pauli feierten und in die Büsche kotzten, soll eine Gruppe von Menschen die rassistischen Parolen skandiert und den Hitlergruß gezeigt haben. Der Veranstalter distanziert sich von dem Vorfall. „Mit dem Verhalten ­wurden die Grundwerte des Schlagermoves, der für ­Offenheit und Toleranz steht, mit Füßen getreten“, heißt es in dem Statement des Veranstalters. Die Polizei ermittelt und sucht nach Zeu­g*in­nen und Video- oder Tonaufnahmen.

Während das Sylt-Video bundesweit Empörung hervorrief, ist Çağan Varol, Rassismusforscher an der Uni Kassel, nicht überrascht von den Vorfällen. „Ich denke nicht, dass sich diese Vorfälle jetzt besonders häufen, sie waren immer schon weit verbreitet“, sagt er der taz. Seit Veröffentlichung des Videos habe sich aber die öffentliche Wahrnehmung verändert. „Da sich die mediale Aufmerksamkeit gerade darauf richtet, fallen uns diese Vorfälle vermehrt auf“, sagt Varol.

Ras­sis­t*in­nen fühlen sich sicher

Was das Video aber laut dem Wissenschaftler auf besorgniserregende Weise zeige, sei ein „Gefühl der Sicherheit“ bei der rassistischen Gruppe. Varol kritisiert auch das fehlende Eingreifen der anderen Partygäst*innen. Das Erstaunen über den Rassismus der gut Betuchten verstehe er hingegen nicht. „Oft wird davon ausgegangen, dass die einkommensschwachen Klassen oder Menschen ohne Studienabschluss rassistisch sind. Sylt zeigt das genaue Gegenteil und die Verbreitung rassistischen Gedankenguts in allen Schichten.“

Enttäuschend sei für ihn, dass sich seit den großen Demon­strationenen gegen rechte Hetze Anfang des Jahres offenbar wenig verändert habe. Mit Besorgnis blicke Varol zudem auf ein anstehendes Großevent, bei denen auch nationalistische Gefühle hochkochen könnten: „Auch während der Fußball-EM der Männer werden wir sicherlich sehr oft rassistisches Verhalten von Mittelschichten beobachten können“, sagt er.

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4 Kommentare

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  • Nachdem "der Osten" geframt ist, Bayern sowieso Redneck Land ist, kommt jetzt "der Norden". Vielleicht erklärt jetzt noch jemand Sylt zur No Go Area und warnt vor Urlaub im Schleswig-Holstein.



    Nazis und Rassisten gibts überall. Und wenn man danach sucht, findet man die auch. Pauschale Vereinfachungen wie diese hier erwarte ich im Boulevard aber nicht in der taz. Kommt mal wieder klar!

  • Der Norden ist doch nicht allein betroffen. Dieser "Trend" ist schon vor Monaten in NRW angekommen. Ich glaube zum Jahreswechsel habe ich ihn erstmals vernommen und zwar im Oberbergischen.

  • Was für eine tendenziöse Überschrift. Nimmt man die letzte Bundestagswahl als Maßstab (weil die Ergebnisse durch die Gleichzeitigkeit besser vergleichbar sind als Landtagswahlen), dann ist der (west)deutsche Norden die letzte Bastion gegen die Rechten. In keinem Flächenland und keinem Stadtstaat bekam die AfD weniger Stimmen als in Schleswig-Holstein und Hamburg. Das ist harte Evidenz. Der Artikel pauschalisiert dagegen auf Basis von anekdotischer Evidenz: "Der Norden grölt rassistisch".

    Die Leute, die auf Sylt gefeiert haben, kamen doch überwiegend gar nicht aus dem Norden. Wenn die ihre nächste Champagner-Party auf Malle feiern, dann ist auch Malle rassistisch?

  • Ich fürchte die Überschrift täuscht über die Realität hinweg, dass das ein deutschlandweites Phänomen ist. Es mag sein, dass es gerade Fälle im Norden sind, die bekannt werden. Wenn es die Faschos aber geschafft haben, diese Verballhornung eines eigentlich harmlosen Liedes über die sozialen Medien breitzutreten wird es auch schon Fälle in Ost-, West- und Süddeutschland gegeben haben.