US-Debatte über Trump und Faschismus: Der Verstärker
Ist Ex-Präsident Donald Trump ein Faschist? Die USA diskutieren vor seiner möglichen Rückkehr über eine Anthologie namens „Did it happen here?“.
Bei der Verwendung des Faschismus-Begriffs in der politischen Debatte, das weiß wohl kaum jemand besser als wir Deutschen, ist äußerste Vorsicht geboten. Zu gut sind uns noch die 1960er und -70er Jahre in Erinnerung, als sich die Linke dabei lächerlich machte, jeden politischen Gegner mit dem F-Wort zu belegen und damit den Begriff bis zur Bedeutungslosigkeit auszuleiern.
Und auch heute gerät wieder so manch eine in die Bredouille, wenn sie zu leichtfertig mit dem Wort umgeht, das bisweilen als Bezeichnung für Positionen an den entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums benutzt wird.
Spätestens seit Donald Trump zum ersten und hoffentlich letzten Mal ins Amt gewählt wurde, haben die USA nun ein ähnliches Problem. Noch bevor Trump im Jahr 2017 seinen Fuß über die Schwelle des Weißen Hauses setzte, hagelte es in den amerikanischen Debatten Vergleiche mit der Machtübernahme Hitlers 1933.
Michiko Kakutani prophezeite in der New York Times einen bevorstehenden amerikanischen Reichstagsbrand. Timothy Snyder wurde mit seinem Buch „On Tyranny“ der liebste Zitatgeber der Alarmisten. Der Star der US-Linken, Alexandria Ocasio Cortez, nannte Trumps Internierungslager an der mexikanischen Grenze Konzentrationslager und selbst Joe Biden schreckte zuletzt nicht davor zurück, Trump einen „Semi-Faschisten“ zu nennen.
Status Quo vor Trump
Nach der Abwahl Trumps im Jahr 2020 konnten die USA für einen Moment durchatmen, man hatte das Gefühl, zu einer gewissen demokratischen Normalität zurückzukehren oder besser, zu einem Status Quo Ante Trump, den man als Demokratie hinzunehmen gelernt hatte. Doch mit seiner möglichen Wiederwahl kehrt die Diskussion nun zurück.
Was haben die USA zu erwarten, fragt man sich dort, wie auch anderswo, wenn Trump ins Weiße Haus zurückkehrt? Wird er mit der Erfahrung einer ersten Amtszeit und einer besseren Einsicht in die Mechanismen der Macht tatsächlich endgültig die amerikanische Demokratie aushebeln und ein wie auch immer geartetes autokratisches Regime errichten?
Um eine Ahnung davon zu bekommen, was die USA und die Welt erwartet, blickt eine neue Aufsatzsammlung in die jüngste Vergangenheit und stellt provokativ die Frage „Did it happen here?“ Wie weit, möchte der Herausgeber Daniel Steinmetz Jenkins einkreisen, waren die USA in der ersten Amtszeit Trump oder gar schon vorher in den Faschismus abgerutscht und vor allem: taugt die Analogie zu den italienischen, spanischen und deutschen Regimen im 20. Jahrhundert dazu, das zu beschreiben, was der Welt möglicherweise bei einer Wiederwahl Trumps bevorsteht?
Entwarnung und Pessimismus
Wie bei einer akademischen Anthologie nicht anders zu erwarten, finden sich fundierte Argumente quer über das Spektrum zwischen entwarnenden und pessimistischen Behauptungen. So eröffnet das Buch mit einem Aufsatz des Princetoner Politologen Jan-Werner Müller, der sich dezidiert gegen die Verwendung des Faschismus-Begriffs für den amerikanischen Kontext stellt.
Entscheidende Elemente der Faschismen des 20. Jahrhunderts fehlten in den USA, Trump sei kein Kriegstreiber per se, er habe die freie Presse zwar ständig attackiert, aber niemals ernsthaft versucht, sie auszuschalten, und bei aller rassistischen und xenophoben Rhetorik gebe es keine massenhafte staatliche Verfolgung von Minderheiten.
Auf Müllers Text folgt ein Aufsatz des Politologen Robert Paxton, der sich lange gegen den Begriff gesträubt hatte, jedoch angesichts des Sturms auf das Kapitol am 6. Januar 2021 seine Meinung geändert hat. Trumps offene Anstiftung zu politischer Gewalt, so Paxton, mache trotz aller historischen Unterschiede zum Europa der 1930er-Jahre das Label Faschismus zwingend.
Daniel Steinmetz-Jenkins: „Did it happen here? Perspectives on Facism and America“. WW Norton & Co., New York 2024, 364 Seiten, 24,99 Euro
Je mehr man sich in diese Begriffsdiskussion vertieft, desto klarer wird jedoch, wie bedeutungslos sie für die Praxis ist. Denn auch Müller, der den Begriff Rechtspopulismus vorzieht, möchte unter keinen Umständen Trump verharmlosen. Zugleich sind sich fast alle Kommentatoren einig, dass, welche Form auch immer eine mögliche erneute Trump-Regierung annehmen wird, sie nicht so aussehen wird wie Deutschland im Jahr 1933.
Trumps Anhänger glauben ihm alles
Ebenso einig ist man sich jedoch, dass es zahlreiche signifikante Parallelen gibt: Das Aufpeitschen einer Wählerschaft, die sich missachtet und zurückgelassen fühlt, die rhetorische Entmenschlichung einer Bevölkerungsgruppe – in Trumps Fall vor allem Einwanderer – und vor allem die Art und Weise, wie er, im Sinn von Hannah Arendt, jegliche Informationsquelle außer sich selbst diskreditiert und somit eine Anhängerschaft geschaffen hat, die ihm, losgelöst von allen Fakten, alles glaubt.
Was also hätte die Welt von einer zweiten Trump-Amtszeit zu befürchten? Wenn es eine Quintessenz aus den verschiedenen Stimmen der Anthologie gibt, dann vielleicht die: Es werden keine Braunhemden mit Fackeln durch die Straßen von New York und Washington marschieren und Trump wird es vermutlich schwer haben, alle demokratischen Institutionen gleichzuschalten, inklusive seiner eigenen Partei.
Gleichzeitig wird er weiterhin rassistische und xenophobe Ressentiments aufpeitschen, Einwanderern das Leben schwer machen, versuchen, errungene Rechte wie jene auf Abtreibung zurückzufahren, den Polizeistaat stärken und antidemokratischen sowie antipluralistischen Tendenzen in den USA Rückenwind verschaffen.
Und das scheint am Ende die größte berechtigte Sorge zu sein. Sarah Churchwell legt in ihrem aufschlussreichen Aufsatz dar, dass die amerikanische Gesellschaft faschistische Tendenzen hat, die tief durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts laufen. Trump ist weder deren Kulminations- noch deren Endpunkt. Aber er ist ein Katalysator, der sie um ein Vielfaches verstärkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut