„Bottom Girls“: Manipulierte Täterinnen
„Bottom Girl“ werden Frauen wie Ghislaine Maxwell genannt, die Täter von Missbrauch unterstützen. Für Prominente rekrutieren und manipulieren sie.
Ghislaine Maxwell, Georgiana Naghel, Luana Radu und Alena Makeeva – vier Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch eine Sache haben sie gemein: Sie sind in Fälle von Machtmissbrauch verstrickt.
Während Ghislaine Maxwell, die Unterstützerin von Jeffrey Eppstein, von einem US-Gericht bereits zu 20 Jahren Haft wegen Menschenhandels mit Minderjährigen zu Missbrauchszwecken verurteilt wurde, steht das Urteil gegen die Models Georgiana Naghel und Luana Radu, die den Brüdern Andrew und Tristan Tate dabei geholfen haben sollen, andere Frauen zu Sexarbeit zu zwingen, noch aus.
Das Verfahren gegen die selbsternannte Casting-Direktorin Alena Makeeva, die junge Frauen für die After-Show-Partys des Rammstein-Sängers Till Lindemann rekrutiert haben soll, wurde wie auch das gegen Lindemann selbst, im vergangenen August eingestellt.
Alle Beispiele spiegeln ein System wieder, in dem auffälligerweise immer eine Frau eine Schlüsselrolle innerhalb der Organisation des Missbrauchs eingenommen haben soll. Als enge Vertraute, als Vermittlerin, Organisatorin und Rekrutin. Im US-Amerikanischen gibt es für diese Position einen gebräuchlichen Begriff: den des Bottom Girl oder der „Bottom Bitch“. Er steht in engem Zusammenhang mit der sogenannten Loverboy-Masche, bei der Männer meist jungen Frauen Liebe vorgaukeln, um sie schließlich durch psychischen oder physischen Druck zur Sexarbeit zu zwingen.
Falsche Versprechen
Als Bottom Girl werden in diesem Zusammenhang – in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich – Frauen bezeichnet, die für ihren Pimp weitere potenzielle Sexarbeiterinnen rekrutieren. Und das nicht selten mittels manipulativer Taktiken. Sie bauen Freundschaften auf, versprechen die Betroffenen in eine Welt einzuführen, die ihnen sonst verschlossen bleiben würde: mit privaten After-Show-Partys, luxuriösen Urlaubstrips oder Kontakten zu Stars.
Diese Aspekte sollen laut der Aussage von Betroffenen auch in den Fällen von Epstein, Lindemann und den Tate-Brüdern eine Rolle gespielt haben. Auch wenn nicht immer eine Liebesbeziehung zwischen den Männern, denen die Taten vorgeworfen werden, und ihren möglichen Helferinnen bestand, gibt es deutliche Überschneidungen zwischen der Darstellung mutmaßlicher Betroffener und dem Bottom-Girl-Prinzip.
So berichteten mehrere Frauen, unter anderem die deutsche YouTuberin Kayla Shynx, davon, dass Alena Makeeva sie vor Rammstein-Konzerten zuerst in die Row Zero und dann zu privaten After-Show-Partys eingeladen haben soll. In einigen Fällen soll es dort zu Sex mit Till Lindemann gekommen sein.
Ghislaine Maxwell soll Mädchen aus allen Teilen der Welt zu den Eppstein-Anwesen geflogen haben. Und Georgiana Naghel und Luana Radu wird vorgeworfen, zwar nicht die Rekrutierung, später aber die Organisation der erzwungenen Sexarbeit für die Tate-Brüder übernommen zu haben. Unter anderem soll Naghel dabei geholfen haben, den betroffenen Frauen durch gestagte Videounterhaltungen ihr Misstrauen zu nehmen und die SexCam-Arbeit Betroffener auf der Plattform OnlyFans überwacht zu haben.
Männer an der Spitze
Laut Shannon von Scheele vom Präventionsprogramm Liebe ohne Zwang, das sich für Aufklärung über die Loverboy-Masche einsetzt, ist Überwachung eine der üblichen Aufgabe der Bottom Girls innerhalb eines Loverboy-Systems: „Es kommt häufig vor, dass sie die anderen Frauen nicht nur überwachen, sondern dann auch bei Fehltritten an den Loverboy verraten. Sie sind sozusagen sein wachsames Auge.“
Die Bottom Girls übernehmen die konkrete Arbeit on the ground, während die Männer an der Spitze vom System profitieren. Auch wenn es zunächst einmal so scheinen mag, dass auch die Vermittlerinnen durch ihre Position einige Vorteile haben – Macht, Geld oder Fame – ist der Platz der Auserwählten in vielen Fällen ein zerbrechliches Privileg.
Wie Von Scheele erklärt, kann der jeweilige Täter in letzter Instanz ganz geschickt die Verantwortung auf die Bottom Girls abwälzen: „Wenn es später zu einem Prozess kommen sollte, kann er die Schuld auf sie schieben und sagen, sie sei dafür verantwortlich. Und auch die anderen Betroffenen können sagen: Nein, sie war die treibende Kraft – nicht er.“
Blitzableiter für die Täter
Bottom Girls befinden sich in einer Position, in der Schuld und Unschuld nicht immer leicht zu trennen sind, gerade deshalb bieten sie sich als eine Art Blitzableiter an, wenn Taten bekannt werden. Auch sie sind Teil eines hierarchischen Systems, in das man nur allzu leicht hineingeraten kann. Auch sie stehen nicht selten unter der Manipulation der Täter an der Spitze.
Dagegen wirken kann in erster Linie Prävention in Form von Aufklärung. Von Scheele erklärt, dass es wichtig sei, in Präventionsprogrammen verschiedene Aspekte zu behandeln: „Zum Beispiel auch die Reflexion darüber, was eine gesunde sexuelle Beziehung ist und wie man sich eigentlich eine Liebesbeziehung vorstellt. Es ist wichtig sich zu fragen: Wo sind meine persönlichen Grenzen? Was sind No-Gos?“
Wichtig ist außerdem die Kenntnis darüber, dass es kein Zufall ist, dass bei Machtmissbrauch häufig eine Frau als Helferin genannt wird: Es hat Prinzip. Die Kenntnis darüber könnte auch in der öffentlichen Aufarbeitung bekannter Fälle von Machtmissbrauch helfen. Nicht unbedingt um die Schuldfrage zu klären – das müssen Gerichte entscheiden, und im Fall von Maxwell und Makeeva taten sie es ja bereits – sondern vielmehr, um zukünftig junge Frauen zu schützen. Systeme von Machtmissbrauch entsprechen selten dem Klischee. Nicht immer ist es ein Mann, der junge Frauen anspricht. Und nicht immer agieren die Täter allein.
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