Theaterstück zum Palast der Republik: Im Palast der Erinnerungen
Im Berliner Humboldt Forum wurde das Theaterspektakel „Bau auf! Bau ab!“ über den Palast der Republik uraufgeführt. Das Publikum spielte mit.
Das Programm „Hin und Weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ im Humboldt Forum widmet sich der politischen und gesellschaftlichen Bedeutung des repräsentativen Staats- und Kulturhauses der DDR, das 2008 abgerissen wurde, um das Berliner Schloss wiederaufzubauen. Eine Ausstellung wurde dafür konzipiert, Workshops finden zum Thema statt, und am vergangenen Freitag wurde das Theaterspektakel „Bau auf! Bau ab!“ uraufgeführt.
Ron Zimmering inszenierte das Stück als szenischen Spaziergang an verschiedene Orte im Humboldt Forum. Im Foyer, auf den Gängen und Treppen, auf dem Dach, Keller und im Großen Saal interpretieren Zeitzeug:innen, Schauspielende, Musiker:innen, Chöre und Tänzer:innen Palast-Geschichte – von damals bis heute. Mit Textauszügen von Heiner Müller und Brigitte Reimann, mit historischen Videoaufnahmen und Zeitdokumenten wie Reden und Berichterstattung, mit Erinnerungen und Gesprächen von Zeitzeug:innen, mit Liedern und Tanzchoreografien wird ein dichtes, fulminantes und vielstimmiges Stück entworfen. Zimmering verbindet kreativ und sinnvoll Dokumentarisches mit Musiktheater mit Elementen aus Intervention und Performance, Hörspiel und Konzert.
Der erste Akt, „Eröffnung“, beginnt mit einem Sprechchor, der von der Galerie des Foyers herab Texte aus festlichen Eröffnungsreden des Palastes der Republik und des Humboldt Forums rezitiert – politische Repräsentation damals und heute wird gegenübergestellt. Auf dem Medienturm im Foyer erscheinen historische Videoaufnahmen des Palastes. Im zweiten Akt wird das Publikum in kleinere Gruppen aufgeteilt, mit Bauhelmen versorgt und über die suggestive „Baustelle“ des Palasts geführt, kommentiert mit Pressestimmen aus der Zeit. Die Zuschauergruppen werden teils aufs Dach, teils in den Keller des Humboldt Forums geführt und erleben dort jeweils unterschiedliche Programme.
Publikumsbefragung oder Verhörsituation?
Eine Gruppe wird auf den Treppen in der Halle positioniert gegenüber den Rolltreppen, auf denen die Schauspielenden vor ihnen auf- und abfahren und aus Heiner Müllers „Der Bau“ rezitieren. Die harte Sprache Müllers und das Auf und Ab der Darstellenden auf den Rolltreppen wirkt hypnotisierend.
Die Romanfigur Franziska Linkerhand von Brigitte Reimann wird in der Mechanischen Arena im Foyer in einem intimeren Setting zum Sprechen gebracht und verwoben mit Gesprächen mit Zeitzeug:innen und aktuellen Fragen nach einer gerechteren, humanistischen Architektur. In diesem Akt wird die Baustelle als ideologischer und umstrittener Raum thematisiert, der Menschenleben formt und Hoffnungen zerstört.
Im dritten Akt, dem „Plenum“ im Großen Saal, kann sich das Publikum mittels Headset in neun verschiedene Gespräche zwischen Zeitzeug:innen einschalten. Das Format wird eröffnet wie eine Fernsehshow mit Publikumsbefragung, erinnert dann aber bald eher an eine Verhör- oder Abhörsituation. Durch die Publikumsbefragung erfahren wir, dass kaum jemand aus dem Publikum, die oder der noch selbst im Palast der Republik war, negative Assoziationen zu diesem Ort hat. Die Befragung gab auch Raum für Komik: „Glauben Sie, dass dieses Humboldt Forum länger bestehen wird, als Sie leben werden?“ Nicht alle stimmten zu.
Dem Aber folgten Erfahrungen
Auf den Wegen zwischen den drei Akten entsponnen sich Gespräche im Publikum über das Stück und die eigene Geschichte, Berlin, die DDR und vieles mehr. Und das schien ganz so angelegt, da das Publikum ja die ganze Zeit Teil der Inszenierung war, befragt und eingebunden wurde und gleichermaßen aus „Ossis“ und „Wessis“, aus Zeitzeug:innen und Nachgeborenen bestand wie die Mitwirkenden.
Das Ineinanderübergehen der Formate führte dazu, dass alles, was an dem Abend geschah, Theater war und das Theater wiederum an der Stadtgeschichte mitwirkte. Das Publikum war eine Gesellschaft, eine Öffentlichkeit. Da wurde mit- und übereinander geredet. „Der Müller-Text ist stark!“, sagte jemand, „Warum fing man bei dem Reimann-Text mit dem Ende an?“, fragte jemand. „Hat hier irgendjemand irgendetwas verstanden?“ Tränen flossen beim „Lied der unruhevollen Jugend“. Ein Spektakel war es wohl, das wenige ausgelassen und viele sichtlich berührt, manche zornig zurückließ.
Konkret nachgefragt war nie zu hören, das Stück sei nicht gut oder nicht kritisch genug gewesen. Aber oft hieß es: „Ja, aber!“ Nach dem Aber folgten Erfahrungen und Geschichten. Es zeigt sich ein starkes Bedürfnis, über das Geschehene zu reden. Das Stück war nur die Vorlage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen