Coronavirus-Aufarbeitung in China: Vergeltung statt Wissenschaft
Seit er im Januar 2020 unerlaubt die Sequenz des Coronavirus publizierte, wächst der Druck auf den Virologen Zhang. Nun wurde er gefeuert.
Was nach einem verspäteten Aprilscherz klingt, ist seit dem Wochenende bittere Realität: Einer der mutigsten Wissenschaftler der Volksrepublik China wurde aus seinen Arbeitsräumen verwiesen. „Ich werde nicht aufgeben, ich verfolge die Wissenschaft und die Wahrheit!“, schrieb der 59-Jährige auf seinem persönlichen Weibo-Account am Montag, ehe die Zensoren das Posting löschten wurde.
Was genau vorgefallen ist, lässt sich bislang nicht unabhängig überprüfen. Denn nicht nur online haben die Behörden eine strikte Informationssperre verhängt, sondern auch das Forschungslabor des „Shanghai Public Health Clinical Center“ mit Sicherheitskräften umkreist. Als ein Reporter der US-Nachrichtenagentur AP Professor Zhang treffen wollte, wurde ihm der Weg versperrt. Nur am Telefon teilte er in kryptischen Worten mit, dass er derzeit schlecht reden könne, da die Leitung abgehört werde.
Laut seinem Arbeitgeber ist alles nur ein großes Missverständnis: Dem Virologen sei bereits ein alternativer Arbeitsplatz angeboten worden, doch die alten Labore mussten wegen Rennovierungsarbeiten geschlossen werden. Zhang hat dieser Darstellung entschieden widersprochen.
Sitzstreik als Protest gegen Entlassung
Sein aktueller Sitzstreik ist nicht nur der jüngste Beleg dafür, wie rigide der Einparteienstaat seine Akademiker kontrolliert; sondern auch, als wie sensibel weiterhin sämtliche Vorgänge rund um den Ursprung des Coronavirus gelten.
Denn Zhang hatte bereits im Januar 2020, als er die Genomsequenz des neuartigen Erregers eigenhändig publizierte, Besuch vom Sicherheitsapparat erhalten. Ob es damals darum ging, dass die Behörden Beweise vernichten oder zumindest unter Verschluss halten wollten, lässt sich zwar nicht beweisen. Die Indizien legen jedoch genau dies nahe.
Denn das chinesische Magazin Caixin hatte damals von einer Order der Nationalen Gesundheitskommission vom 3. Januar 2020 berichtet. Demnach wurden sämtliche Labore dazu angehalten, keine Information über die „Wuhan-Krankheit“ zu publizieren.
Eine solch investigative Berichterstattung chinesischer Medien war während der Wirren des Corona-Ausbruchs für wenige Wochen möglich. Dann jedoch schritten die Zensoren erneut ein, und künftige Leaks zum Ursprung des Coronavirus stammten von ausländischen Korrespondentenbüros.
Hilfe von ausländischen Wissenschaftlern
Es waren auch ausländische Forscher, die schließlich in Erfahrung bringen konnten, dass Virologe Zhang die Coronavirus-Sequenz bereits am 5. Januar entdeckt hatte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war er zu diesem Zeitpunkt mit seiner Erkenntnis nicht der einzige chinesische Wissenschaftler. Doch umgehend führten die Sicherheitsbehörden Razzien durch und verhängten ein kategorisches Publikationsverbot.
Erst als der öffentliche Druck aus dem Ausland stieg und niemand anderes die Sequenz veröffentlichte, tat Zhang dies auf eigenes Risiko – und ohne Erlaubnis der Regierung.
Doch während der chinesische Virologe internationale Preise erhielt, wurde er im eigenen Land schikaniert. Ein vertrauter Forscher, Edward Holmes von der Universität von Sydney, schilderte, dass Zhang von seinem Posten im chinesischen Zentrum für Seuchenkontrolle und -prävention abberufen wurde.
„Seit er sich den Behörden widersetzt hat, indem er die Genomsequenz des Virus, das COVID-19 verursacht, veröffentlicht hat, gibt es eine Kampagne gegen ihn“, sagte Holmes: „Er ist an diesem Prozess zerbrochen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Umgang mit Trauer
Deutschland, warum weinst du nicht?
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck