piwik no script img

Tödliche Polizeischüsse in NienburgWegen rechter Posts außer Dienst

taz-Recherchen führen zu dienstrechtlicher Ermittlung gegen einen Diensthundeführer der Polizei, der am tödlichen Einsatz in Nienburg beteiligt war.

Hier fielen die tödlichen Schüsse: Warum der Einsatz so eskalierte, ist immer noch unklar Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Hannover taz | Die Polizeidirektion Göttingen hat einem Beamten aus Nienburg das Führen der Dienstgeschäfte vorläufig untersagt. Der Diensthundeführer war an dem tödlichen Polizeieinsatz vom Karsamstag in Nienburg beteiligt, bei dem der 46-Jährige Gambier Lamin Touray von acht Schüssen getroffen und getötet wurde. Eine Polizistin wurde dabei ebenfalls von Polizeikugeln getroffen und schwer verletzt.

Recherchen der taz hatten enthüllt, dass der Hundeführer unverhohlen rechte und verschwörungsideologische Inhalte in sozialen Netzwerken teilte und kommentierte. Am Donnerstagabend gab die Polizeidirektion Göttingen nun bekannt, deshalb dienstrechtliche Ermittlungen aufgenommen zu haben.

Das „außer Dienst stellen“ ist dabei der übliche erste Schritt. Er dient dazu, die Vorwürfe zu prüfen und Beweismittel zu sichern. Innerhalb von drei Monaten muss dann ein Disziplinarverfahren eröffnet werden oder der Beamte kehrt in den Dienst zurück.

Dieses dienstrechtliche Verfahren läuft unabhängig von dem Ermittlungsverfahren rund um den tödlichen Einsatz, betont die Polizei Göttingen in ihrer Pressemitteilung. Diese Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft Verden geführt.

Widersprüchliche Darstellungen des Einsatzes

An dem Einsatz vom Karsamstag hatte es früh Kritik gegeben, weil es Widersprüche zwischen der Darstellung der Polizei und der von Angehörigen und Freunden gab.

Während es in den ersten Polizeimeldungen zum Vorfall hieß, Lamin Touray habe seine Freundin mit einem Messer bedroht, gab diese später an, sie sei gar nicht bedroht worden, sondern habe mehrfach versucht, Hilfe für ihren Freund zu bekommen.

Der soll sich schon seit Tagen in einem sich verschlimmernden psychischen Ausnahmezustand befunden haben. Sie habe deshalb befürchtet, er könnte sich mit dem Messer selbst etwas antun.

Die Polizei war mit einem massiven Kräfteaufgebot von 14 Polizeibeamten vor Ort. Videos zeigen wie der mit einem Messer bewaffnete Lamin Touray auf der Terrasse des von ihm bewohnten Mehrfamilienhauses steht und von ihnen fast umringt ist.

Dabei sollen auch mindestens ein, möglicherweise zwei Diensthunde eingesetzt worden sein. Zu dem großen Aufgebot kam es nach Angaben der Polizei auch deshalb, weil der Mann schon Tage zuvor bei einer Fahrkartenkontrolle auffällig geworden war und sich gewaltsam gegen die Festnahme durch Bundespolizisten gewehrt haben soll.

Ermittlungen dauern an

Fest steht: Es gelang der Polizei nicht, die Lage zu deeskalieren. Anwesende Zeugen, die Touray nahe standen, kritisierten später, man habe das auch nicht ernsthaft versucht, und zum Beispiel die Freundin nicht mit ihm sprechen lassen.

Die zunächst relativ statische Lage eskalierte als Touray nach einem der Hunde stach, unklar ist, ob dieser zuvor auf ihn gehetzt wurde. Es kam zu einer massiven, unkoordinierten Schussabgabe durch mehrere Beamte, bei der auch die Polizistin verletzt wurde.

Den genauen Hergang und ob dabei Fehler gemacht wurden, muss nun das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft klären, bei dem auch die Bodycam-Aufnahmen der eingesetzten Beamten ausgewertet werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Die Polizei droht diesen Menschen in diesen Situationen mit Gewalt, um das staatliche Gewaltmonopol sicherzustellen.



    Das ist die Parallele zur Erschießung von Mohamed Idrissi in Bremen 2021 und das ist der Fehler.



    Es handelt sich ja nicht um einen Terrorist, um einen motivierten Angreifer, Geiselnehmer etc.



    Also gilt es: warten, Geduld, Kommunikation. Musik?



    Mit Überwältigung drohen unterstellt eine Rationalität, die Menschen in dieser Lage (vielleicht Borderline, vielleicht Verlorenheitsgefühle?) nicht haben.



    Wer Verfolgungswahn hat, verteidigt sich mit einer Waffe, einem Messer.

  • Vielleicht bin ich ja naiv und doof - aber kann man nicht, solange es sich nicht um einen stadtbekannten Gangster handelt, versuchen, nach gescheiterter Deeskalation, so jemanden mit einem Schuss aus einem Betäubungsgewehr oder mit Betäubungsgas zu Boden und unter erste Kontrolle zu bringen ? Gibt es keine andere praktikable Möglichkeit, als jeden gleich zu erschießen ?