Glutamat mit Imageproblemen: Ist Glutamat ungesund?
Es erregt Geschmacksrezeptoren wie Gemüter. Doch was ist eigentlich Glutamat? Und was ist dran an seinem miesen Ruf?
„Raketenpulver“ oder „Maria hilf’“: So wird Glutamat unter Köch:innen auch genannt. Wenn die Suppe nach nichts schmeckt, dann sorgt Maria mit einem Wunder für Abhilfe. Und wenn es schnell gehen muss, dann fliegen die Gäste mit Hilfe von Raketenpulver ins Geschmacksuniversum.
Glutamat erregt die Umami-Geschmacksrezeptoren auf der Zunge. Es verleiht Lebensmitteln, in denen es natürlich vorkommt, ihren herzhaften Geschmack, zum Beispiel Pilzen, Parmesankäse und Tomaten. Glutamat erregt aber auch die Gemüter, denn es lässt sich synthetisch herstellen und wird dann als Zusatzstoff in der asiatischen Küche und in der westlichen Welt in verarbeiteten Lebensmitteln wie Tiefkühlkost, Gewürzmischungen oder Dosensuppen verwendet.
Dieses synthetische Glutamat kommt aus dem Labor und ist ein weißes Pulver. Das klingt nach Chemie. Und hin und wieder sieht man sogar „Wir verwenden kein Glutamat“-Aufkleber an den Fensterscheiben asiatischer Restaurants. Obwohl die chemischen Bausteine den natürlichen nachempfunden sind, hat das als Geschmacksverstärker zugesetzte Glutamat einen zweifelhaften Ruf. Warum ist das so? Und wie ungesund ist der Zusatzstoff wirklich?
Eine Säure, die in allen Lebewesen vorkommt
Chemisch gesehen sind Glutamate die Salze der Glutaminsäure, die als nicht essenzielle Aminosäure in allen Lebewesen vorkommt. Wenn Menschen, Tiere oder Pflanzen Glutaminsäure selbst herstellen, spricht man von endogenem Glutamat. Wird es einem Organismus von außen zugeführt, von exogenem Glutamat.
Die Geschichte von exogenem Glutamat beginnt zunächst harmlos: 1907 fällt dem Japaner Kikunae Ikeda beim Abendessen mit seiner Familie auf, dass die Suppe herzhafter schmeckt als sonst, und er vermutet, dass die in der japanischen Küche weit verbreitete Alge Kombu dafür sorgte. Also nimmt der Chemiker sie mit an seinen Labortisch und zerlegt sie dort in ihre molekularen Bestandteile. Dabei entdeckt er Glutamat, das er kurz darauf als Mononatriumglutamat, kurz MNG, chemisch stabilisiert.
1909 beginnen der Chemiker Ikeda und der Unternehmer Saburosuke Suzuki dann mit der industriellen Produktion von MNG. Zunächst behandeln sie pflanzliche Proteine in einem Extraktionsverfahren mit Salzsäure, doch der Ertrag dieser Methode ist begrenzt. Erst in den fünfziger Jahren erobert MNG den Weltmarkt, mittlerweile wird es mit Hilfe einer effektiveren Fermentationstechnik hergestellt.
Kleiner Exkurs: Glutamat kommt in Lebensmitteln entweder an Proteine gebunden oder frei vor, nur das freie Glutamat sorgt für den intensiven Geschmack. Durch Fermentation und Reifung steigt der Anteil an freiem Glutamat. Das ist einer der Gründe, warum 18 Monate gereifter Gouda kräftiger schmeckt als junger Gouda.
Ein verhängnisvoller Restaurantbesuch
Dann, im Jahr 1968, besucht der Arzt Robert Ho Man Kwok ein chinesisches Restaurant in den USA und klagt danach über Unwohlsein. Er verspüre Herzklopfen und ein Taubheitsgefühl im Rücken und Nacken, fühle sich schwach, so beschreibt er die Symptome in einem Leserbrief in der medizinischen Fachzeitschrift The New England Journal of Medicine.
Leser:innen des Beitrags erinnern sich an ähnliche Erfahrungen, die New York Times greift das Thema auf, darauf werden in den USA erste wissenschaftliche Untersuchungen eingeleitet. Menschen, die Glutamat zu sich genommen hatten, werden nach ihren Symptomen befragt, und Versuchsmäusen werden extrem hohe Dosen injiziert. Die Tiere erleiden daraufhin Hirnschäden.
Die Methoden der frühen klinischen Studien wurden später wissenschaftlich kritisiert, etwa weil die gespritzten Dosen weit über dem täglichen Konsum lagen. Außerdem waren die Studien nicht korrekt verblindet – das bedeutet, Ärzt:innen und Patient:innen wussten, wer eine echte Behandlung bekam und wer nur zur Kontrollgruppe gehörte, was die Ergebnisse beeinflussen kann.
Ein Feindbild des Kalten Kriegs
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Tatsächlich ist bis heute nicht einmal geklärt, ob es den Arzt Robert Ho Man Kwok wirklich gegeben hat. Unklar ist auch, inwieweit politische Spannungen zu Vorurteilen gegenüber der chinesischen Küche und damit gegenüber Glutamat geführt haben: In der Atmosphäre des Kalten Krieges war auch das kommunistische China in den Vereinigten Staaten ein Feindbild. Der Begriff „China-Restaurant-Syndrom“ machte damals die Runde und führt bis heute zu den „Kein Glutamat“-Aufklebern an Fensterscheiben asiatischer Restaurants.
Dabei gilt für Glutamat dasselbe wie für Zucker und Salz: Die Dosis macht das Gift. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) veröffentlichte 2023 eine Einschätzung zur Verwendung von Glutamaten als Lebensmittelzusatzstoffe, also der E-Nummern 620 bis 625. Das BfR orientiert sich dabei an der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die die unbedenkliche tägliche Aufnahmemenge für solch exogenes Glutamat festlegt.
Diese liegt seit 2017 bei 30 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag. Um diese Menge zu überschreiten, müsste ein 60 Kilo schwerer Mensch täglich mehr als 1,8 Gramm Glutamat als Geschmacksverstärker zu sich nehmen. Das wäre fast das Fünffache des durchschnittlichen Konsums in Mitteleuropa.
Bei empfindlichen Menschen treten bei etwas mehr als 40 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag Symptome des sogenannten MSG-Symptomkomplexes auf: ein brennendes Gefühl im Nacken, Brustschmerzen, Übelkeit, Herzklopfen und Schwäche. Sehr hohe tägliche Aufnahmemengen korrelieren mit Kopfschmerzen, Insulinanstieg und erhöhten Blutdruck. Die EFSA betont außerdem, dass weitere Untersuchungen notwendig seien, um etwa zu hohe Aufnahmemengen für Säuglinge besser einschätzen zu können.
Eine verpönte Küchenhilfe
Unter gelernten Köchen ist Glutamat indes verpönt, allerdings aus anderen Gründen: „Es gibt viele Köche, die Glutamat für Mist halten, weil man das Gleiche auch übers Kochen erreichen kann“, sagt Konrad Lenck, stellvertretender Küchenchef in der taz-Kantine in Berlin. Wer in der Branche etwas auf sich halte, erschaffe den Umami-Geschmack mit Austernpilzen, Tomaten oder hausgemachter Brühe.
„Doch am Ende entscheidet in vielen Betrieben der Zeitfaktor“, sagt Lenck, und viele Imbisse hätten nicht die Zeit, ihre Saucen so lange einzukochen, bis sie cremiger und intensiver schmecken. Im Zweifel werde schnell Brühpulver in die Sauce gegeben, mit dem gleichen Ergebnis. Er selbst habe während seiner Ausbildung in einem Zwei-Sterne-Restaurant gelernt, wo in einigen Gerichten Glutamat verwendet wurde, so Lenck.
Der Koch kennt die Diskussionen rund um das China-Restaurant-Syndrom. Er glaubt, dass viele asiatische Restaurants aus Angst vor Vorurteilen „Kein Glutamat“-Aufkleber an der Tür haben. Ob ein Gericht tatsächlich mit Glutamat gekocht wurde, merkt er dagegen schon beim ersten Bissen. „Man hat einen Speichelfluss im Mund, der sonst nicht da ist.“ Wer das selbst testen will, sollte sein Essen einfach mal vor dem Würzen mit einer glutamathaltigen Fertiggsoße probieren – und dann danach. Guten Appetit!
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