Juristin über Cum-Ex-Theater: „Ein besonderer Skandal“
Als die Banker dachten, sie stünden über dem Gesetz: In Hamburg kommt die Cum-Ex-Affäre auf die Bühne.
taz: Jule Martenson, werden wir Cum-Ex jemals wirklich verstehen können?
Jule Martenson: Es ist ehrlicher, davon auszugehen, dass man nicht alles verstehen kann, aber eben auch nicht muss. Das Interessante ist, dass der Öffentlichkeit vermittelt wird: Es lohnt sich gar nicht erst, es zu versuchen, weil es eh zu komplex ist. Ich traue allen Menschen zu, das Cum-Ex-Geschäftsmodell nachzuvollziehen.
Wie bekommt das Stück das hin?
Die drei Fäden, die wir darin verknüpfen, stehen beispielhaft für jahrzehntelange, strukturelle Probleme: Als Erstes erklären wir das Geschäftsmodell. Zweitens die juristische Aufarbeitung: Viele Jurist*innen haben Cum-Ex gedeckt und so das Unrechtsbewusstsein ausgeschaltet. Drittens die politische Aufklärung mit Schwerpunkt auf der Hamburger Warburg Bank und Olaf Scholz. Dieser Skandal ist durch seine vielen politischen Verschränkungen so besonders.
ist Volljuristin mit Schwerpunkt Rechtstheorie und -philosophie. Als Teil des „Kollektiv im Fenster“ hat sie „PubliCum Ex“ mitentwickelt und betreut das Stück als Dramaturgin.
Gab es Überraschungen bei den Recherchen?
In einer SMS fragt der eine Banker den anderen, wie diese Geschäfte funktionieren. Der antwortet: „We call it: Fuck the taxpayer system!“ Diese Menschen dachten, sie stünden über dem Gesetz und könnten die Staatskasse, und damit uns Menschen, einfach ausnehmen. Ich finde diese illoyale Attitüde so krass: wie man sich so unverbunden fühlen kann. So kriegt man das Gefühl, das ist eigentlich kein Skandal, sondern Struktur im Finanzwesen.
Komplizierter Jargon ist Teil des Systems.?
„PubliCum Ex. Prädikat: Rechtstreu“ von Daria Bayer, Jule Martenson und Leokadia Melchior: 6. 4., 19 Uhr; 7. 4., 17 Uhr, Kaisersaal des Hamburger Rathauses.
Am Anfang soll das Publikum diese Verwirrung noch nachfühlen. „OTC-Handel mit Leerverkäufen“ oder „Dividendenstripping am Ex-Tag“: Diese Begriffe vereinfachen sich im Laufe des Stückes. Ein bewusstes Stilmittel, sozusagen, um zu verstehen, dass die Begriffe nicht zufällig, sondern extra so verwirrend konstruiert wurden.
Wieso wird das Stück im Hamburger Rathaus gespielt?
Als die Projektleiterin Leokardia Melchor für die Linksfraktion im Untersuchungsausschuss gearbeitet hat, meinte sie immer scherzhaft: Das sei alles wie eine Performance, niemand sei authentisch oder ehrlich. Jetzt sitzen wir mit dem Stück nur eine Tür vom Untersuchungsausschuss entfernt. Das Tolle an Theater ist, dass wir diese Nähe schaffen können; die Möglichkeit, so nah an einem „Tatort“ dran zu sein und das Gefühl zu haben: Ich sitze da, wo die saßen – und kann mir das dadurch viel besser vorstellen.
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