Klimawandel und Meeresschutz: Dem Mittelmeer geht's mittelgut
Das Mittelmeer leidet unter Hitzestress – mit fatalen Folgen für Tiere und Pflanzen. Wie kann die Natur dem Klimawandel widerstehen?
Joaquim Garrabou sagt: „Wenn die Menschen sehen könnten, was im Meer los ist – sie würden schreien.“ Der Meeresökologe vom spanischen Institut für Meereswissenschaften (ICM) kennt das Leben im Mittelmeer wie kaum ein anderer. Er begann vor 30 Jahren, einen der vielfältigsten Lebensräume zu untersuchen: Korallenbänke.
Im Sommer 1999 beobachtete der Forscher das erste große Massensterben entlang der französischen und italienischen Mittelmeerküste. In jenem Sommer stiegen die Wassertemperaturen in noch nie dagewesene Extreme. Garrabous Forschungsobjekte, die Korallen, starben massenhaft ab. Seitdem beschäftigt er sich mit der Frage, wie sich der Klimawandel auf die marinen Ökosysteme des Mittelmeers auswirkt.
Nach der ersten tödlichen Welle 1999 kam es vier Jahre später erneut zu einem Massensterben im nordwestlichen Mittelmeer. Über Tausende von Küstenkilometern starben vor allem wirbellose Tiere, darunter Rote Korallen, die Korallenart Farbwechselnde Gorgonie und Feigenschwämme. Inzwischen sind solche Ereignisse aber nicht mehr die Ausnahme, sondern Normalität.
Massensterben sind wie Waldbrände im Meer
Dass Hitzewellen im Mittelmeer aufgrund des Klimawandels häufiger und intensiver werden und dass es in Folge häufiger zu Massensterben kommen wird, belegt auch eine Studie im Fachmagazin Global Change Biology.
Man muss es sich so vorstellen: An heißen Sommertagen ohne Wolken am Himmel heizen sich die oberen 30 bis 40 Meter des Meerwassers besonders stark auf. Das warme Oberflächenwasser verliert dadurch an Dichte und liegt auf der schweren, kühlen Schicht in der Tiefe. Zudem weht kaum Wind, der die Wasserschichten durchmischen könnte. Die Nährstoffe bleiben in der Tiefe hängen, die obere Schicht wird immer heißer. In der Fachsprache spricht man von marinen Hitzewellen.
„Wenn die Temperaturen auf extreme Werte ansteigen, halten einige Arten die Hitze nicht mehr aus“, so Garrabou. Besonders betroffen sind Korallen, Muscheln, Schwämme und Seegräser, da sie auf Felsen oder am Meeresboden festkleben und nicht in kühlere Regionen flüchten können. Sie beginnen zu schmelzen, ihr Gewebe löst sich ab, zurück bleiben tote Skelette.
Um sich das Massensterben im Meer besser vorstellen zu können, vergleicht Garrabou es mit Waldbränden an Land: „Nach einem Brand bleiben von den Bäumen mit ihren grünen Blättern lediglich schwarze Stümpfe übrig. So ähnlich sieht es im Meer nach einem Massensterben aus.“ In Wäldern brüten, jagen, fressen und leben unzählige Arten. Brennen die Bäume ab, verschwindet mit ihnen weiteres Leben im Wald. In der Wissenschaft spricht man von einem Kaskadeneffekt.
Das Gleiche passiert im Meer, wenn Korallen, Schwämme und Seegräser sterben. Darin verstecken sich Einsiedlerkrebse, Fische laichen und ziehen ihre Kinder groß und Rochen kommen aus der Tiefsee, um nach Fressen zu suchen. Garrabou sagt: „Wenn man eine dichte Population, zum Beispiel von Gorgonien hat, dann ist es da bunt, voller Leben. Nach dem Massensterben bleiben nur noch tote Skelette mit wenig Leben übrig.“
Konkurrenz von tropischen Arten
Die steigenden Temperaturen locken zudem neue, fremde Arten ins Mittelmeer. Rotfeuerfische, Nomadenquallen und Hasenkopf-Kugelfische wandern aus dem Roten Meer über den Suezkanal ein oder werden von Frachtschiffen eingeschleppt. Die tropischen Arten verdrängen die heimische Flora und Fauna. Weil: Sie kommen mit den steigenden Temperaturen besser zurecht.
Im Nationalpark Port-Cros vor der französischen Côte d’Azur konnten die Forscher das in den letzten Jahren beobachten. Gilles Martin ist der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, er berät die Verwaltung des Nationalparks. Der Umweltjurist Martin erzählt von der Edlen Steckmuschel, die anmutig wie ein Keil im Meeresboden steckt und bis zu 1,20 Meter groß und 50 Jahre alt werden kann. Sie ist eine endemische Art, das heißt, sie kommt nur im Mittelmeer vor.
Vor sieben Jahren wurde die Muschel von einem Parasiten befallen, der, so vermuten es die Forscher des Nationalparks, mit dem Ballastwasser von Frachtschiffen ins Mittelmeer gelang. Der Parasit fühlte sich wohl und breitete sich immer weiter aus. Bevor er in Port-Cros ankam, lebten Schätzungen des Nationalparks zufolge 12.500 bis 19.500 Edle Steckmuscheln in dem Schutzgebiet. Nach dem Massensterben war die Muschel aus dem Nationalpark verschwunden.
Das Massensterben und die Konkurrenz durch neue Arten führen dazu, dass die Ökosysteme immer mehr an Vielfalt verlieren. Statt hundert Jahre alter Korallen und Gorgonien breiten sich nun kurzlebige, schnell wachsende Algen im Mittelmeer aus. Garrabou sagt: „Die marinen Ökosysteme werden banalisiert.“
Schutzzonen für das Meer
Bleibt die Frage, was man dagegen tun kann – oder ob man überhaupt etwas tun kann. „Natürlich werden wir keine Eiswürfel ins Meer werfen. Aber wir müssen der Natur auf jeden Fall mehr Raum und Zeit geben, sich zu erholen“, so Garrabou. Für ihn ist das Meeresschutzabkommen der Vereinten Nationen der richtige Weg – es müsse nur wirklich umgesetzt werden, und zwar so schnell wie möglich. Im März dieses Jahres einigten sich die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen nach jahrelangen Verhandlungen darauf, 30 Prozent der weltweiten Meeresfläche unter Schutz zu stellen.
Für viele Tiere und Pflanzen gebe es einen gewissen Spielraum, sich den neuen klimatischen Bedingungen anzupassen, erklärt Garrabou. Die bisher gesammelten Daten deuten zwar darauf hin, dass der enorme Temperaturanstieg die Anpassungsfähigkeit vieler Arten übersteigen wird. Aber die Natur sei voller Überraschungen, so Garrabou. Deswegen brauche es geschützte Zonen, in denen sie sich erholen kann. Mit weniger Motorbooten, geregelter Fischerei und begrenzten Tauchzonen.
So wie im Port-Cros-Nationalpark. Nachdem die Population der Edlen Steckmuschel vollständig verschwunden war, entdeckten Forscher vor drei Jahren auf einem Tauchgang acht jugendliche Steckmuscheln, die sich wieder angesiedelt hatten. Die Forscher hoffen, dass diese Muscheln ein neues genetisches Erbe entwickelt haben, um dem tödlichen Parasiten widerstehen zu können. Mit Sicherheit könne man das noch nicht sagen, so Gilles Martin, der Vorsitzende des Wissenschaftsrats: „Aber die wenigen Muscheln, die wir lebend gesehen haben, haben wir geortet und schützen sie, zum Beispiel dürfen dort keine Boote mehr ankern. Wir beobachten nun, wie sie sich entwickeln.“
Dieser Text entstand im Rahmen eines Recherchestipendiums der Okeanos Stiftung für das Meer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos