: Goldstandard ohne Glanz
Das Prostatakarzinom ist die in Deutschland häufigste Krebserkrankung bei Männern. Aktuelle Studien besagen, dass die Früherkennung optimiert werden muss
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Von Cordula Rode
Pro Jahr werden nach Angaben des Robert Koch-Instituts bundesweit etwa 62.000 Neuerkrankungen diagnostiziert. Damit ist der Prostatakrebs bei Männern die häufigste Krebsart in Deutschland. Mit einem Anteil von rund 12 Prozent steht das Prostatakarzinom nach Lungenkrebs bei Männern an zweiter Stelle der zum Tode führenden Krebserkrankungen.
Neuartige Behandlungsmethoden sollen die Heilungschancen des Prostatakarzinoms verbessern. So sehen Forscher:innen der Universität Freiburg ein hohes Potenzial in einem neu entwickelten Hemmstoff. Das spezielle Enzym, eine sogenannte Methyltransferase, zeigte in Studien eine hohe Erfolgsrate in der Bekämpfung von Krebszellen, die gegen herkömmliche Therapien resistent waren, und bewies seine hohe Wirksamkeit auch bei Karzinomen der Blase.
Dennoch sind sich die Fachleute einig – der wichtigste Baustein im Kampf gegen Prostatakrebs ist und bleibt die Früherkennung. In Deutschland können Männer ab 45 Jahren einmal im Jahr die Leistungen des gesetzlichen Früherkennungsprogramms in Anspruch nehmen. Dazu gehören ein Arztgespräch und die sogenannte digital-rektale Untersuchung, bei der der Arzt oder die Ärztin die Prostata vom Enddarm aus mit dem Finger abtastet. Nicht zum Leistungskatalog der Krankenkassen gehört der PSA-Test, der als Eigenleistung circa 25 Euro kostet und ein spezielles Eiweiß im Blut nachweist, das bei erhöhten Werten auf das Vorliegen eines Karzinoms hinweisen kann. Sind die Werte signifikant erhöht, raten die meisten Mediziner:innen zu einer Biopsie der Prostata.
Ernst-Günther Carl, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands Prostatakrebs Selbsthilfe e. V., hält diesen heutigen „Goldstandard“ für völlig überholt. Als Vorsitzender der Europa Uomo, der europäischen Interessenvertretung für Männer mit Prostatakrebs, schaut er auch über den deutschen Tellerrand: „Eine europaweite Studie, die vor mehr als 12 Jahren ins Leben gerufen wurde, hat sich die Identifizierung von Risikogruppen in der Bevölkerung zum Ziel gesetzt, um die Früherkennung zielgenauer zu machen.“
Dies sei nicht nur entscheidend für eine frühe Diagnose, sondern diene ebenfalls der Vermeidung von Überdiagnose und Überbehandlung, die in der momentanen Situation nicht selten seien. „Viele Urolog:innen klären die Patienten nicht ausreichend auf und raten nach erhöhten PSA-Werten oft blitzartig zu einer Biopsie.“ Diese sei häufig nicht nur unnötig, sondern liefere auch nicht in jedem Fall verlässliche Ergebnisse. Sehr viel sinnvoller sei ein spezielles MRT, das Tumore sehr viel zuverlässiger finden könne und eine gezielte Biopsie ermögliche.
Auf der Basis dieser Studie, der European Randomized Study of Screening for Prostata Cancer, baut die deutsche Studie Probase auf, die vor 10 Jahren gestartete weltweit erste Studie zu risikoangepasstem Screening. Studienleiter Peter Albers, Abteilungsleiter am Deutschen Krebsforschungszentrum und Leiter der Urologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, erläutert das Ziel: „Mit Probase wollen wir vor allem herausfinden, welches das optimale Alter für die Bestimmung des PSA-Basiswerts ist – 45 oder 50 Jahre. Außerdem soll die Studie zeigen, ob der verzögerte Beginn des Screenings die Rate an unnötiger Diagnostik und Therapie zukünftig spürbar reduzieren kann.“
Das Screening soll auf der Basis der PSA-Werte das persönliche Risiko jedes Patienten abschätzen, das von Faktoren wie Alter und genetischer Vorbelastung bestimmt wird. Werde das Risiko als hoch eingeschätzt, soll ein MRT Klarheit verschaffen. Die immer noch gängige Tastuntersuchung lehnt Albers, wie die meisten seiner Kollegen, ab: „Auch in Probase hat sich gezeigt, dass diese für den Patienten ohnehin unangenehme Untersuchung als Diagnosekriterium völlig sinnlos ist, da die meisten Karzinome nur im fortgeschrittenen Stadium tastbar sind.“
Darüber hinaus müsse nicht jedes in einer MRT-gestützten Biopsie gefundenes Karzinom zwangsläufig zu einer Therapie führen. Basierend auf den individuellen Tumorcharakteristika jedes Mannes und den persönlichen, zum Beispiel familiären Risikofaktoren könne auch durchaus eine langfristige Überwachung genügen: „Damit wird die zurzeit noch sehr häufige Überbehandlung vermieden, die viele Männer durch nicht notwendige Nebenwirkungen der Behandlung belastet.“
Zudem sieht der Studienleiter große Vorteile darin, statt der bisher ärztlichen Früherkennungsuntersuchung ein Screening zu etablieren. Durch die Auslagerung in Screening-Zentren könne man die Untersuchungen nicht nur sinnvoll bündeln, sondern Termine erleichtern und die Hemmschwelle senken. „Männer sind sehr schwer zur Vorsorge zu bewegen“, weiß der Mediziner.
In Skandinavien könne man sehen, dass ein Screening-Angebot sehr gut angenommen werde. Es sei Aufgabe der Politik, die Neuaufstellung der Früherkennung in Angriff zu nehmen. Die zu Beginn entstehenden Mehrkosten werden sich nach Albers’Ansicht sehr schnell relativieren, da durch ein Screening die extrem hohen Kosten der Therapie nicht frühzeitig erkannter Karzinome eingespart werden könnten. Zudem bräuchten längerfristig bei einem organisierten Screening-Programm auf Basis der in der Probase-Studie ermittelten Erfahrungen nur bestimmte Gruppen wiederholt zum Screening eingeladen werden.
Wichtig ist und bleibt es, das Thema Prostatakrebs zu enttabuisieren und die Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur Früherkennung zu schärfen.
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