Einweihung des Ram-Tempels in Indien: Mit Safran beschmiert
Wo einst eine Moschee abgerissen wurde, steht nun ein Hindu-Tempel. Auf Mumbais Straßen feiert man den Hindu-Nationalismus. Ohne moralischen Kompass.
A ls ich am 21. Januar an meinem faulen Sonntagmorgen mit Zeitung am Kaffee nippte, wurde ich von einem Leitartikel mit der Überschrift „Der Anbruch einer neuen Ära in Ayodhya“ begrüßt. Als wäre die Überschrift nicht schon verdächtig genug, verriet mir der Name des Autors den Tod des indischen Journalismus.
Der Text stammte aus der Feder von Yogi Adityanath, dem Ministerpräsidenten des nordindischen Bundesstaates Uttar Pradesh, wo der umstrittene, dem Hindu-Gott Ram gewidmete Tempel endlich eingeweiht werden sollte. Auf eben diesen Tempel – errichtet auf dem Gelände, auf dem einst die Babri-Moschee stand, die 1992 abgerissen wurde und damit eine neue, mit dem Safran der Hindutva-Politik beschmierte Vorstellung von Indien auslöste – bezog er sich.
Mehrere, wenn nicht sogar die meisten englischen Tageszeitungen in Indien hatten denselben Meinungsartikel mit derselben Schlagzeile veröffentlicht. Es zeigte, wie sich der Journalismus vor der Safran-Brigade verbeugt und die alltäglichen Ungerechtigkeiten vergisst, die mit dem Triumph eines Tempels über eine Moschee ihren Höhepunkt erreicht haben.
Am nächsten Tag, dem Tag der Einweihung, übertrugen alle Nachrichtensender live aus Ayodhya, wie Indiens Premierminister Narendra Modi eine Rede hielt, die seine Vorstellung von einem rein hinduistischen Indien nicht einmal verbarg. Der Säkularismus, einer der Grundpfeiler des indischen Kaleidoskops, kam nicht vor. Der Montag wurde zum nationalen Feiertag erklärt. Ein Foto in den sozialen Medien zeigte, wie leitende Ärzte des wichtigsten öffentlichen Krankenhauses Indiens mit safranfarbenen Schals die Live-Übertragung verfolgten. Mussten sie sich nicht um medizinische Notfälle kümmern, in einem Land, in dem die Krankenhäuser immer ausgelastet sind?
ist preisgekrönte Journalistin. Sie schreibt für die taz über Indien.
Hindu-Triumph mit safranfarbenen Fahnen
Die Straßen in Mumbai waren leer. Während ich lange auf den Bus wartete – die Busflotte war in den letzten Monaten reduziert worden – sah ich eine Kolonne von Männern auf Motorrädern: ohne Helme, aber mit safranfarbenen Fahnen, die „Jai Shri Ram“ riefen. Das Fehlen von Arbeitsplätzen für die Jugend im zweitbevölkerungsreichsten Land der Welt führte dazu, dass diese mit Vaterlandsliebe gefüttert wurden; dazu ermutigt, einen hinduistischen Gott über eine muslimische Moschee zu stellen, so die Idee der Hindutva.
In einem anderen Stadtteil gab es eine weitere Kolonne. Diesmal größer und reicher: Männer in schicken Cabriolets schwenkten die gleichen Fahnen. Am Abend ertönten in der ganzen Stadt – in der einst die Wirtschaft tagtäglich über kommunale Unterschiede triumphierte, auch wenn Muslime nach wie vor auf vielfältige Weise diskriminiert wurden – Techno-Remixe von Hindu-Gesängen. Das war Hindutva auf Steroiden.
In meinem Social-Media-Feed gab es an dem Tag zwei Arten von Posts: die einen feierten den „Hindu-Triumph“, die anderen posteten die Präambel der indischen Verfassung. In der wurde 1949 erklärt, das indische Volk habe „feierlich beschlossen, Indien zu einer souveränen sozialistischen, säkularen und demokratischen Republik zu machen“, um Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu sichern. Ich habe sie auch gepostet; es war mein stiller Schrei, damit Indiens Grundlage als säkulare Gesellschaft nicht vergessen wird.
Ich dachte an die Filme über den Nationalsozialismus, in denen die dunkle Zeit des 20. Jahrhunderts in Deutschland auf der Leinwand mit einer Flut von Hakenkreuzfahnen dargestellt wird und die die Auswirkungen der Gehirnwäsche auf die Menschen zeigen. Es ist nun derselbe Moment in Indien.Ich kann ihn nur mit Worten beschreiben, die das Ausmaß des Faschismus, den wir an diesem Tag auf den Straßen sahen, nicht vollständig erklären können.
Aus dem Englischen übersetzt mit Unterstützung von DeepL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Jeff Bezos und die Pressefreiheit
Für eine Zwangsabgabe an Qualitätszeitungen!
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“
Krieg in Nordgaza
Die Hungersnot wächst