Hans Lütjen-Wellner und Dieter Helmke stehen vor einem Gebäude.

Arbeiten bei der Wiedervernässung zusammen: Hans Lütjen-Wellner (links) und Dieter Helmke Foto: Anne-Kathrin Oestmann

Wiedervernässung des Teufelsmoors:Hans packt's an

Niedersachsens Moore sollen renaturiert werden, aber bislang blieb es bei Absichtsbekundungen. Ein Landwirt im Teufelsmoor will nicht länger warten.

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27.1.2024, 19:15  Uhr

Hans Lütjen-Wellner fährt mit seinem roten Kleinbus langsam durch einen Abschnitt des trockengelegten Teufelsmoors. In der Ferne laufen einige seiner Mastrinder durch das feuchte Gras. Seit 40 Jahren bewirtschaftet er die Moorwiesen an der Hamme. Lütjen-Wellner kommt ursprünglich aus dem Harz. Er übernahm 1984 den Hof seines kinderlosen Onkels im Teufelsmoor, einer rund 600 Quadratkilometer großen Niederung zwischen Bremen und Bremervörde, beiderseits der Ufer von Hamme und Oste.

Angefangen hat Lütjen-Wellner mit ein paar Milchkühen und ein bisschen Jungvieh, heute laufen etwa 400 Rinder über seine Weiden. Seit 2001 die Rinderseuche BSE grassierte, ist er Biobauer. Das Fleisch seiner Tiere geht über die Theken von Berliner Feinkostläden. Insgesamt bewirtschaftet der 60-Jährige circa 500 Hektar Land im Teufelsmoor, wobei ein großer Teil dieser Fläche vom Landkreis Osterholz gepachtete Naturschutzfläche ist. Dabei handelt es sich um flache, feuchte Wiesen: Ein bedeutsamer Lebensraum für Wiesenbrüter.

Ohne Entwässerungsgräben könnten keine Rinder auf Lütjen-Wellners Flächen weiden. Das viele Wasser ließe ihnen keine Chance. Das Problem ist: Wenn Moore nicht nass sind, zersetzt sich der Torf und der gespeicherte Kohlenstoff wird frei und zu Kohlenstoffdioxid. Darum sollen die Moorböden wieder verwässert werden.

Moore sind, Daten des Umweltbundesamtes folgend, für circa sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich – das ist zwanzigmal mehr als alle deutschen Inlandsflüge zusammen. Neben dem Abbau von Torf ist es vor allem die Landwirtschaft, die für diese Emissionen sorgt. Laut niedersächsischem Landwirtschaftsministerium werden rund 65 Prozent der Moorflächen im Land landwirtschaftlich genutzt.

Die Umwandlung der Moore kommt der Größenordnung des Kohleausstiegs nahe

Für Ackerbau und Weidewirtschaft werden Moore mittels Entwässerungsgräben trockengelegt. Der Naturschutzbund Niedersachsen (Nabu) geht davon aus, dass Niedersachsen seit den 1970er-Jahren, je nach Region, 20 bis 50 Prozent seiner Moorböden verloren hat – durch Infrastrukturprojekte, Torfabbau und intensive Landwirtschaft. Auch das Teufelsmoor ist heute in weiten Teilen eine trockengelegte Kulturlandschaft.

Bund und Länder formulierten bereits 2021 das Ziel, die Treibhausgasemissionen von Mooren bis 2030 von 53 auf 48 Millionen Tonnen pro Jahr zu reduzieren. Ein Drittel aller Moorböden, das sind bundesweit rund 1,8 Millionen Hektar, liegen in Niedersachsen. Das Bundesland hat sich mit der im Dezember beschlossenen Novelle des Klimagesetzes verpflichtet, bis 2040 klimaneutral zu werden. Die Emissionen aus Niedersachsens Mooren sollen bis 2030 um 1,65 Millionen Tonnen sinken.

Die von Bund und Ländern gesteckten Ziele kritisiert der Nabu als vollkommen unambitioniert. Um auf dem Weg zur Klimaneutralität etwas beizutragen, müsste viel schneller vorangegangen werden. Spricht man Landwirt Hans Lütjen-Wellner auf das Ziel an, bis 2030 bereits fünf Millionen Tonnen weniger Treibhausgase aus Mooren zu emittieren, sagt er nur: „Das ist ja schon bald. Dann müsste mal irgendwas passieren.“

Blick in das Teufelsmoor.

Hilft nur nass dem Klima: das Teufelsmoor Foto: dpa | Patrik Stollarz

Da aber bisher nichts passiert ist, hat Lütjen-Wellner einfach schon mal angefangen, sich an der Transformation der Moore zu beteiligen. Auch mit Hilfe von Dieter Helmke, der heute neben ihm auf dem Beifahrersitz des roten Kleinbusses sitzt. Helmke hat bis 2016 mit Milchkühen sein Geld verdient und arbeitet mittlerweile hauptamtlich beim Landvolk – Niedersachsens Bauernverband. Mit Landwirten wie Lütjen-Wellner probiert er alternative Bewirtschaftungsweisen auf Moorböden aus, um die Branche zukunftssicher zu machen.

Seit dem vergangenen Jahr vernässt Lütjen-Wellner 20 Hektar seiner Moorfläche. Freiwillig, um Erfahrungen zu sammeln, wie er sagt. In den Gräben, mit denen das Wasser sonst abgeleitet wird, wird es nun angestaut. Diese Wiedervernässung soll verhindern, dass klimaschädliche Gase in die Atmosphäre entweichen. Lütjen-Wellner ist motiviert. Genauso wie viele andere Akteure wartet aber auch er auf konkrete Entscheidungen aus der Politik.

Bisher mahlen die politischen Mühlen langsam. Niedersachsens Regierung, so erklärt es Niedersachsen Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte (Grüne) im Gespräch mit der taz, hat zunächst mal eine Potenzialstudie in Auftrag gegeben, die Anfang 2024 Ergebnisse liefern soll. Die Studie soll zeigen, wo Vernässungen überhaupt umsetzbar sind. In einigen Gebieten sei so tief gepflügt worden, dass eine Wiedervernässung gar nicht mehr machbar sei, so Staudte. Fraglich sei außerdem, ob überhaupt überall genügend Wasser für eine Wiedervernässung verfügbar sei.

Liegen die Ergebnisse der Potenzialstudie vor, sollen den Landwirten Angebote zum Flächentausch oder Verkauf von Land unterbreitet werden. Auf diese Weise sollen Flächen frei werden, um sie komplett zu vernässen oder um andere Naturschutzprojekte zu starten. Doch dafür braucht es Geld.

Der zentrale Baustein in der Finanzierung des Moorschutzes ergibt sich aus dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. Vier Milliarden Euro stellt der Bund bis 2026 zur Verfügung. Allerdings nicht nur für das Moor, sondern auch für andere Ökosysteme wie Flüsse oder Wälder. Laut Landwirtschaftsministerin Staudte bleiben für die Moore 1,2 Milliarden Euro übrig – für alle Moore in ganz Deutschland.

Mit dem Geld sollen laut Bundesumweltministerium in erster Linie Renaturierungsmaßnahmen umgesetzt werden. In der Landwirtschaft sollen zudem finanzielle Anreize für Bewirtschaftungsformen, die zum Natur- und Klimaschutz beitragen, gesetzt werden. Weil die Förderrichtlinien des Bundes noch in Arbeit sind, kann Staudte noch nicht sagen, wie viel von den 1,2 Milliarden Euro tatsächlich in Niedersachsen ankommen werden.

„Kuschelkurs“, so nennt Arno Krause die aktuelle Politik in Sachen Moor. Krause ist Geschäftsführer vom Grünlandzentrum, einer niedersächsischen Einrichtung, die sich auf die nachhaltige Förderung und Erforschung von Grünland als landwirtschaftlicher Nutzfläche spezialisiert hat. Zwar verlangt er von der Politik, weiterhin auf Kooperation und Einvernehmlichkeit mit der Landwirtschaft zu setzen. Dies dürfe aber kein Vorwand für eine Abwartestrategie sein. „Die Politik hat die Aufgabe, ein geordnetes Miteinander zu organisieren und nicht zuzugucken, wie nichts oder fast nichts umgesetzt wird“, sagt er.

1,2 Milliarden Euro für den Moorschutz in Deutschland bis 2030 hält Krause für zu wenig. Beim Grünlandzentrum hat man für die 14 moorreichen Landkreise an der Küste in Niedersachsen eigene Berechnungen angestellt. Für das Szenario der vollständigen Vernässungen aller Moore in diesen Landkreisen haben diese Berechnungen einen Wertschöpfungsverlust von einer Milliarde Euro pro Jahr ergeben. 54.000 Arbeitsplätze könnten demnach allein durch den Wegfall der Milchviehlandwirtschaft in diesen Kreisen verlorengehen. Zudem geht das Grünlandzentrum bei diesem Szenario von einmaligen Vermögensverlusten der Landwirte von insgesamt zwei bis drei Milliarden Euro aus.

Niedersachsen rot-grüne Landesregierung strebt aber gar nicht die vollständige Vernässung aller Moore an. Ministerin Staudte verweist auf die Potenzialstudie und zeigt sich Konzepten gegenüber offen, bei denen mit extensiver Tierhaltung auf teilvernässten Flächen weiter Landwirtschaft betrieben werden kann. Bei Teilvernässungen werden die Wasserstände zum Beispiel auf 20 Zentimeter unter der Oberfläche angehoben. So kann mit weniger Tieren pro Fläche und durch eine weniger intensive Fütterung mit Zusatzfuttermitteln weiterhin Viehwirtschaft betrieben werden.

Nebel zieht durchs Ahrensfelder Moor.

Stimmungsvoll: das Ahrensfelder Moor Foto: dpa | Sina Schuldt

Staudte sagt, dass sie es nicht für abwegig hält, dass das Generationenprojekt „Umwandlung der Moore“ den Größenordnungen des Kohleausstiegs nahekommt. Bis zu 40 Milliarden Euro stehen hier für den Strukturwandel bis 2038 zur Verfügung.

Auch der ehemalige Milchviehlandwirt Dieter Helmke zieht den Vergleich zum Kohleausstieg: Für den würden zig Milliarden aufgerufen, für die Moore stünden jetzt circa 1,2 Milliarden für ganz Deutschland zur Verfügung. „Das reicht hinten und vorne nicht“, so Helmke, der beim Landvolk Niedersachsen den Arbeitskreis „Aufwuchsverwertung im Teufelsmoor“ leitet. Er arbeitet daran, dass Landwirte künftig klimaneutral auf Mooren wirtschaften können und wirbt dabei vor allem für ein Verfahren: die Pyrolyse.

Mit der Pyrolyse wird der natürliche Prozess der Speicherung von Kohlenstoff imitiert. Dabei entsteht Pflanzenkohle. In natürlichen Mooren bildet sich aus abgestorbenen Pflanzenresten unter Wasser und unter Sauerstoffabschluss der Torf. Dieser Prozess läuft allerdings sehr langsam ab. „Die Pyrolyse ist da schneller“, erklärt Helmke.

Pflanzenkohle als Aufwertung für sandige Böden

Die Pflanzenkohle kann als Aufwertung für sandige Böden dienen. Auch könnten aus ihr gemeinsam mit Mist Torfersatzstoffe hergestellt werden. Torf wird heute immer noch in Blumenerde im Hobbybereich und im professionellen Gartenbau eingesetzt. Ein Nebenprodukt der Pyrolyse ist Wärme, die ins Wärmenetz eingespeist werden könnte. Aktuell ist dieses Konzept jedoch noch nicht wirtschaftlich. Helmke fordert daher Unterstützung von der Politik.

Letztlich geht es auch um die Frage, wie die Landwirte künftig wirtschaftlich über die Runden kommen und wie weitere Standbeine aussehen könnten. Helmke und Hans Lütjen-Wellner haben da schon einiges ausprobiert mit der Pflanzenkohle. Sie haben zum Beispiel Dämmstoffe oder Faserplatten für den Möbelbau hergestellt. Als die Bundesregierung im Jahr 2021 die EU-Richtline zum Verbot von Plastikgeschirr umsetzte, witterten sie eine Chance. „Wir haben Pommesschalen hergestellt, kompostierbare, aus unserem Heu“, erzählt Helmke, „aber selbst da kommen wir finanziell nicht auf einen grünen Zweig.“ Die Industrie habe bessere Möglichkeiten.

Helmke kann verstehen, dass die Landwirte jetzt noch nicht bereit sind, ihr privates Geld zu investieren. Lütjen-Wellner sagt: „Solange Dämmstoffe in Häusern aus Erdöl gemacht werden, können wir da preislich nicht konkurrieren.“ Aber ein erster Schritt ist gemacht.

Lütjen-Wellner bringt den Kleinbus am Ufer der Hamme zum Stehen. Draußen tröpfelt es ein wenig. Er witzelt: „Perfektes Moorwetter.“ Für den 60-Jährigen stimmen die Rahmenbedingungen derzeit einfach nicht. Zu viel Fördergeld werde seiner Ansicht nach für Forschungsprojekte ausgegeben. „Es ist doch klar, wenn das Moor zu trocken ist, kommt CO2 raus. Es muss doch jetzt mal eine Umsetzung kommen“, sagt er. „Es wird so viel geforscht. Wir haben das vor Ort hier fertig liegen“, pflichtet ihm Helmke bei: „Wir können morgen anfangen.“

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