Die Kunst der Woche: Hagebuttentee und eingekochte Äpfel

Pegasus Product fühlen sich bei Georg Nothelfer in Vögel ein. Silke Schatz spürt bei Meyer Riegger einem verschwindenden Dorf nach.

Links im Bild ist ein Vogelkäfig zu sehen, der aus den alten Drähten eines Wäscheständers zusammengebogen ist. Rechts im Bild hängen zwei Collagen an der Wand. Sie zeigen schwarz-weiße Szenen, die nachträglich koloriert sind. Auf dem Linken Bild schauen zwei Menschen in ein Mikroscop. Auf dem rechten Bild trägt eine Person einen Fahrradhelm. Sie trägt eine große Kugel aus Gittern über dem Kopf. Auf beiden Bildern sind kleine ausgeschnittene Bilder von roten Hagebutten verteilt.

Blick in die Ausstellung „Birdcage“ von Pegasus Product Foto: Courtesy Galerie Georg Nothelfer

Hagebuttentee hat nicht den besten Ruf. Man kennt ihn als die lauwarme Plörre vom Abendbrottisch im Schullandheim, als süßlich-muffiges Gesöff aus angeschlagenen Henkeltassen. Ein „Re-Branding“, wie es ihm das Kollektiv Pegasus Product bestehend aus den Künstlern Dargelos Kersten, Anton Peitersen und Gernot Seeliger verpasst haben, kann er nur zu gut gebrauchen.

Nicht zu übersehen sind die Rosenfrüchte in deren Ausstellung im Showroom der Galerie Georg Nothelfer. Als Motiv wie als Objekt. In einem hübsch designten Booklet etwa, das von einer jener angesagten Naturkosmetikfirmen stammen könnte, wird für sie geworben, samt Heilsversprechen und überinszenierter Fotos. Von einem bespoke Hagebuttentee der pseudofranzösischen Marke „Cage d’Oiseaux“, „wild-gewachsen und hand-gepflückt“, voller „Sphäroider Stammzellen Vitamine“ ist da die Rede.

Einige Elemente des irrwitzigen Narrativs, das Pegasus Product sich ersponnen haben, sind damit bereits erwähnt. Um die wahre Bedeutung der Längen- und Breitengrade, die vogelkäfigartig den Globus umspannen, geht es, um kugelförmige Aliens, Genmanipulation, Vögel, Rotationsachsen von Planeten, das Klima. Im Grunde um alles. Eine hanebüchene Story ist es, die spaßig wirkt, aber auch gruselig. Echte Verschwörungstheorien funktionieren schließlich ähnlich.

„Cage d’Oiseaux“, also „Vogelkäfig“ heißt die Schau und in einem eben solchen, nur in größerer Dimension, könnte man sich dort wähnen: Der Fußboden ist übersät mit Sonnenblumenkernschalen, Zeitungspapier liegt herum, Fußringe in Menschengröße gibt es, Meisenknödelartiges, Sitzgelegenheiten für die passende Haltung, Gitter aus alten Wäscheständern und durch eine durchbrochene Wand ragt eine Stange für Flugversuche.

Pegasus Product: Vogelkäfig (Birdcage), Showroom Galerie Georg Nothelfer, bis 17. Februar, Do. + Fr. 12–19, Sa. 12–18 Uhr, Grolmannstr. 28

Silke Schatz: Vanishing point, Meyer Riegger, bis 2. März, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Schaperstr. 14

Lange schon arbeiten Pegasus Product mit dem, was sie auf der Straße so finden. Aus kaputten Möbeln aus Pressspan und billigem Plastik zimmern sie Objekte zusammen, oft zu frankensteinartigen Verwandten von Designklassikern, zum „Unbequeames Chair“ etwa. Auch esoterisches Geschwurbel und dessen Kapitalisierung treibt Pegasus Product schon länger um. In ihrem Vogelkäfig treiben sie beides erneut auf die Spitze. Nach dem Ausstellungsbesuch braucht man definitiv einen Becher Hagebuttentee. Bespoke oder nicht.

Den Forst erforschen

Keine Hagebutten, dafür aber Äpfel in Einmachgläsern gibt es bei Meyer Riegger zeitgleich zu sehen. Die Früchte stammen aus dem Dorf Manheim, das sich nahe des Hambacher Braunkohletagebaus befindet, eine 1000 Jahre alte Ortschaft, die demnächst weichen muss. Die Bagger werden die Reste dieses Jahr platt machen, über zehn Jahren dauert die Umsiedelung schon an. Die Kölner Künstlerin Silke Schatz hat die Äpfel auf verwilderten Streuobstwiesen in dem fast schon verschwundenen Ort geerntet und eingekocht.

Eingesammelt hat sie dort im Rahmen ihres Langzeitprojektes „Manheim calling“ noch einiges mehr. Sie hat Baumstämme mit Ton abgeformt, so dass sich innen die Rinde, außen die Abdrücke ihrer formenden Finger abzeichnen. Scherben von Alltagsgeschirr hat sie aufgelesen und für die Ausstellung „Vanishing point“ in einer Vitrine verteilt, als handle es sich um historische Fundstücke. Eine ganze Bushaltestelle hat sie nachgebaut.

Gelb eingefährbte ragen in den Bildraum. Im verschwommenen Hintergrund sind Cyantopien an der Wand zu sehen.

Silke Schatz, „Vanishing point“, 2023, Installationsansicht Foto: Oliver Roura

Was für ein Bild: ein künstliches Wartehäuschen, an dem nie irgendein Verkehrsmittel halten, von wo es nie irgendwo hingehen wird. In Originalgröße steht die Haltestelle in der Galerie, wird dort zur Hängefläche für einen Teil ihrer Cyanotypen. Mit jenem fotografischen Druckverfahren hat sie vor allem Pflanzen abgebildet, die in Manheim wuchern. Denn nicht nur das menschliche Leben, das in Manheim immer weniger vorzufinden ist, sondern vor allem auch die Vegetation, die Natur, die sich den Boden zurückerobert hat, ist es, woran sich die Künstlerin annähert.

Zart, fast malerisch wirken die in unterschiedlich intensiven Blautönen gehaltenen Cyanotypen, beinahe wie Skulpturen wiederum riesige Disteln, die Schatz mit Farbe angesprüht hat. Momentaufnahmen sind die Exponate allesamt, Anfang und Ende haben sich in sie bereits eingeschrieben. Der politische Konflikt, die Auseinandersetzung um den Kohleausstieg, er schwingt zweifellos mit, subtil und poetisch erzählt die Künstlerin aber auch vom Wandel und der Vergänglichkeit des Lebens an sich.

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Redakteurin für Berlin Kultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Für die taz schreibt sie vor allem über zeitgenössische Kunst, Musik und Mode. Für den taz Plan beobachtet sie als Kunstkolumnistin das Geschehen in den Berliner Galerien und Projekträumen.

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