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Religion in RusslandHatz auf Geistlichen

Ein Vertreter der alternativen orthodoxen Kirche soll Russlands Krieg gegen die Ukraine öffentlich kritisiert haben. Nun wird gegen ihn ermittelt.

Sankt Petersburg, 27.12.2023: Ein Plakat bewirbt die russische Armee Foto: Anatoly Maltsev/epa

Berlin taz | Bei ihrem Rachefeldzug gegen Kri­ti­ke­r*in­nen im eigenen Land machen russische Behörden auch vor Geistlichen keinen Halt. Zum wiederholten Mal erwischte es jetzt Wiktor Piwowarow, seines Zeichens Bischof der Stadt Slawjansk-na-Kubani in der südrussischen Region Krasnodar.

Gegen den 86-Jährigen wurde ein Strafverfahren wegen wiederholter „Diskreditierung der russischen Armee“ eingeleitet. Stein des Anstoßes ist ein Artikel mit dem Titel „Antwort auf die Frage, die heute alle umtreibt: Was ist das für ein Krieg?“, in dem Piwowarow Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine scharf verurteilt.

Während der Ermittlungen habe er direkt und offen gesagt, dass die derzeitige Staatsmacht gesetzlos und eine Erbin der Bolschewiki und ihres Umsturzes im Jahr 1917 sei. Deren teuflisches Werk setze die heutige Staatsmacht fort, zitiert das russische oppositionelle Medium Novaja Gazeta Europe Piwowarow. Seinen Angaben zufolge habe er derzeit keinen Rechtsbeistand. Der ihm zugeteilte Pflichtverteidiger habe während der Verhöre geschwiegen. Die Gerichtsverhandlung soll in einigen Wochen anlaufen.

Angaben des Nachrichtenportals Kawkazki Uzel hätten bereits im vergangenen Oktober sowohl in Piwowarows Heiliger Fürbitte-Tichon-Kirche als auch in seinen Privaträumen Hausdurchsuchungen stattgefunden. Dabei seien einige Geräte beschlagnahmt worden.

Rache an den Bolschewiki

Piwowarow wurde 1937 in der russischen Teilrepublik Altai geboren. Nach dem Tod des Vaters, ebenfalls ein Priester, zog die Mutter ihn und seine drei Geschwister alleine auf. „Seit meiner Kindheit habe ich den Bolschewismus gehasst. Ich habe gesehen, wie die Bolschewiki meine Mutter verspottet haben. Und da habe ich geschworen, mich an dem Bolschewismus zu rächen“, sagte er in einem Interview mit der Novaja Gazeta Europe.

Noch während seiner Ausbildung an einem Technikum lernte Piwowarow einen „Katakombnik“ kennen, der 1951 bei der Familie als Untermieter eingezogen war. Als „Katakombniki“ wurden zu Sowjetzeiten Kirchenvertreter bezeichnet, die die sowjetische Staatsmacht nicht anerkannten und illegal Gottesdienste abhielten.

1963 nahm Piwowarow eine Ausbildung an der Theologischen Akademie in Moskau auf, wurde im letzten Studienjahr wegen oppositioneller Aktivitäten von einem weiteren Besuch der Akademie ausgeschlossen. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 hielt er illegale Predigten ab und restaurierte Kirchen sowie Ikonostasen. Anschließend wurde er zum Priester geweiht und erhielt 2006 im Ausland den Titel eines Erzbischofs der Orthodoxen Kirche Russlands.

Piwowarow gehört der Slawischen und Süd-Russländischen Kirche (RosPZ) an. Sie ist eine alternative orthodoxe Kirche, die außer in Russland auch in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion existiert. Die RosPZ ist autonom und erkennt die Autorität der Russisch-Orthodoxen Kirche unter Kyrill I. nicht an. Der Moskauer Patriarch ist einer der vehementesten Befürworter von Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Bei der Polizei denunziert

Ganz im Gegensatz zu Wiktor Piwowarow. Er wurde im vergangenen März mit einer Geldstrafe in Höhe von 40.000 Rubel (umgerechnet 400 Euro) belegt. Eine Frau hatte ihn wegen einer kritischen Predigt gegen Russlands sogenannte Spezialoperation in der Ukraine bei der Polizei denunziert. Die Mittel, um die Strafe zu begleichen, kratzten die Gemeindemitglieder zusammen.

Offensichtlich konnte diese Verurteilung Piwowarow jedoch nicht zum Schweigen bringen. Ohnehin schien er bereits vor Monaten mit weiteren Problemen gerechnet zu haben. „Ich erwarte, dass sie mich töten oder einsperren“, sagte er der Nowaja Gazeta Europa. „Dann wird die Welt davon erfahren und sich dafür interessieren, wer dieser Mann war und warum er das alles im Voraus wusste.“

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