Debatte über das Deutschsein: Jawoll, wir sind die Überdeutschen!
Anpassung an die Almans? Von wegen! Das stete Distanzieren und Schielen auf eine Leitkultur bringt die Superdeutschen auf den Weg.
F rohes Neues, Almanya! Oder doch nicht? Weißt du eigentlich, was da alles auf dich zukommt? Viel wird darüber geschrieben, eine Sache bislang jedoch tunlichst verschwiegen. Und die hat es gewaltig in sich. Nicht für meinesgleichen – nein, für euch, liebe Almans! Hey, keep calm and carry on, wie es so schön neudeutsch heißt. Macht mal ruhig weiter so.
Ich, mit meinem muslimischen Migrationshintergrund, bin diesmal absolut auf der sicheren Seite. Und das will was heißen in diesen Zeiten. Ihr habt eine gewaltige Maschinerie in Gang gesetzt, nichts und niemand wird sie aufhalten können. Sie erschafft eine Spezies, die euch in allen Belangen überragen wird: die Superdeutschen. Okay, ich sag’s, wie’s ist: die Überdeutschen. Eigentlich leben wir schon längst unter, Pardon, über euch.
Was soll auch sonst dabei herauskommen, würden Migrant:innen im Allgemeinen und muslimisch gelesene im Besonderen all euren pauschalisierenden Forderungen gerecht? Schneller als Robert Habeck „Staatsräson“ (v)erklären kann, distanzieren wir uns ab sofort von jeder Form des Menschenhasses, von Terror und religiösem Furor. Drauf gespuckt, dass es für jede Distanzierung eine Nähe zu dem Bullshit braucht; Schwamm drüber, dass wir an anderer Stelle all das schon lange verurteilen, nur nicht unter deinem Kollektivlabel „die Muslime“.
Jeden Dezember werden wir bauchtänzelnd „O Tannenbaum“ singen, ihn so edel und üppig orientalisch schmücken, dass bei den Merzens der Weihnachtsbaum vor lauter Angst zittern wird wie Espenlaub. Eure Leitkultur machen wir zur Neidkultur. Ihr werdet erblassen beim Anblick des von euch eingeforderten Bekenntnisses für die Menschenrechte. Tagtäglich erinnern wir euch an euren eigenen läppischen Umgang damit. Wir werden in mit dem Grundgesetz bedruckter Bettwäsche nächtigen und jeden Sonntag vom Bundesverfassungsgericht träumen – natürlich nach dem „Tatort“.
Eure Devise: Wandel durch Handel; unser Vorwurf: Handel vor Wandel. Willst du zum Beispiel Israel schützen, solltest du schnell den iranischen Mullahs das Wasser abgraben. Stattdessen stehst du immer noch dem in Teilen rechtsextremen Netanjahu-Kabinett beim Massenbombardieren bei. Kleiner Geheimtipp: Die größten Fans der einzigen Demokratie da unten sind diese Leute nicht.
Lieber Friedrich, wenn dir das nächste Mal auf dem Deutschlandtag der Jungen Union die Stimme bricht, weil du dich um die Sicherheit von Jüdinnen und Juden bei uns sorgst, erinnern wir dich an deinen heroischen Einsatz im Halbierungskampf gegen die AfD. Heute ist sie doppelt so stark. In neun Bundesländern gilt ihr Landesverband als Verdachtsfall oder gesichert rechtsextrem. Autoritarismus, ick hör dir trapsen!
Almanya, wallah, du bist ein Wunderwerk der extravaganten Logik und Vernunft. Wir Minderheiten beneiden dich um dein Selbstbewusstsein. Wie du beim inbrünstigen Vortragen der abstrusesten Forderungen und Gesetzesvorschläge jeden Sinn und Verstand für Verhältnismäßigkeit und Umsetzbarkeit verlierst, es aber erhobenen Hauptes tust. Respekt, Canım!
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Der kühn klingende Ruf nach Assimilation wäre dann obsolet, das ist dir schon klar, oder? Passen wir uns dir an, begingen wir Verrat an den Menschen- und Grundrechten, du musst dich schon entscheiden. Alter, wir sind Einbürgerungstest!
Das Ende der schwarz-rot-goldenen Fahnenstange wird aber durch etwas anderes erreicht. Im Gegensatz zu euch werden wir mit Fug und Recht „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!“ posaunen können. Uns ist das Deutschsein nicht in den Schoß gefallen, wir haben es uns hart erarbeitet. Nur dann kann man stolz auf etwas sein. Aber hey, keep calm and carry on!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?