„Saltburn“ von Emerald Fennell: Ästhetik statt Handlung
„Saltburn“ handelt vom Exzess der Reichen und einem Außenseiter, der in ihre Welt gezogen wird. Die Gesellschaftskritik des Films bleibt flach.
Die Sonne steht schon etwas tiefer, als Oliver Quick (Barry Keoghan) nur mit Sonnenbrille und Badehose durch ein Feld läuft. Die Halme in fast schon güldenen Farben wiegen sich im Wind langsam hin und her, während er sich seinen Weg bahnt zu Felix, Farleigh und Venetia, die es sich mit Decken und Büchern in der Mitte des Feldes bequem gemacht haben. „Keine Badehose im Feld“, ruft Farleigh. Oliver bückt sich, zieht seine Hose aus und läuft nackt auf die drei zu, während im Hintergrund MGMT anfängt zu singen: „I'm feelin' rough, I'm feelin' raw / I'm in the prime of my life.“
Eine Szene so wohl komponiert wie ein Gemälde, das man sich in seinem Wohnzimmer aufhängen möchte. Und das bleibt keine Ausnahme. In „Saltburn“ wirkt jede Szene bis ins letzte Detail aufwändig inszeniert und choreographiert.
Verknüpft mit Anspielungen an große Literaten und Popzitaten der Nullerjahre entführt einen die britischen Regisseurin Emerald Fennell in eine Welt wie von Sofia Coppola oder Luca Guadagnino – aber mit düsterem Twist. Der Style und die Musikauswahl rufen nostalgische Gefühl hervor, ein gelungener Sprung ins Jahr 2006, die Zeit, in der Fennell selbst Oxford-Studentin war.
Etwas nuanciertere Satire
Im Mittelpunkt des Thrillers steht die Freundschaft zwischen den jungen Männern Oliver Quick (Barry Keoghan) und Felix Catton (Jacob Elordi). Beide studieren 2006 in Oxford, doch abgesehen davon scheinen sie keine Gemeinsamkeiten zu haben. Ohnehin fällt Oliver mit Karohemd und rahmenloser Brille, aufgewachsen mit wenig Geld und suchtkranken Eltern, unter seinen superreichen Kommilliton_innen auf. Er findet nur schwer Anschluss.
„Saltburn“ bei Amazon Prime
Das ändert sich, als er Felix aus einer misslichen Lage hilft und die beiden Freunde werden. Als dann Olivers Vater stirbt, lädt Felix ihn für den Sommer in das Anwesen seiner Aristokratenfamilie ein. In Saltburn, einem barocken Landsitz irgendwo in England, verbringen die beiden dann ihre Tage und Nächte mit Felix extravaganter Familie (Ein Highlight: Rosamunde Pike als Felix Mutter).
Seit November läuft „Saltburn“ in den USA und in Großbritannien in den Kinos. In der Rezeption wird meist nur in Zuspitzungen über den Film gesprochen: Zwischen genialem Meisterwerk und billigem Schund scheint es kaum etwas zu geben. In Deutschland ist er direkt bei Amazon Prime gelandet, doch provozieren tut er auch hierzulande.
Hat man eine gute halbe Stunde des Films hinter sich, wähnt man sich in einer Satire auf die Klassengesellschaft. Längst haben sich Narrative in Film und Fernsehen durchgesetzt, wie sich Klassenunterschiede erzählen lassen.
Provokationen so erwartbar, dass sie langweilen
Wie eine Person, die zum Essen eingeladen ist und nicht weiß, mit welcher der Gabeln sie das aufgetischte Essen verspeisen soll. Oder der Mann, der einen schlecht sitzenden Anzug trägt, ohne es zu wissen und von einem, der es besser weiß, darauf aufmerksam gemacht wird. Szenen dieser Art gibt es auch in „Saltburn“, aber mit neuen Nuancen, die einem das Gefühl geben, nicht die ewig gleichen Erzählungen hören zu müssen.
Hat man dann aber die gut zwei Stunden des Films hinter sich, denkt man erst einmal gar nichts mehr. Was bleibt, ist Verwirrung. Denn für Kritik an der Klassengesellschaft bleibt der Film zu oberflächlich und uneindeutig. Der Plot scheint für Ästhetik und Provokation aufgegeben worden zu sein, was nicht nur an den etwas lieblos gezeichneten Figuren deutlich wird.
Auch in ihrem Debüt „Promising Young Women“ – einem #MeToo-Revenge-Thriller mit Carey Mulligan in der Hauptrolle – arbeitet Fennell viel mit Schockmomenten. In „Saltburn“ treibt sie es auf die Spitze, etwa wenn Ejakulat aus der Badewanne geleckt, das Blut einer menstruierenden Frau in den Mund geschmiert oder ein frisch geschaufeltes Grab penetriert wird. Irgendwann werden die Provokationen so erwartbar, dass man sich fast langweilt.
Der Film lohnt sich trotz allem. Schalten Sie also ruhig ein, drücken häufiger einmal auf Pause und genießen die Gemälde eins nach dem anderen.
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