Sipri-Bericht über Waffenexporte: Rüstungsfirmen fehlen Kapazitäten
Das Friedensforschungsinstitut Sipri sieht vor allem Hersteller aus Asien als Profiteure globaler Aufrüstung. Die US-Firmen haben Kapazitätsprobleme.
Trotz des Auftragsbooms, den die russische Invasion in der Ukraine und geopolitische Spannungen auf der ganzen Welt ausgelöst haben, erlebt die Branche nach sieben Plusjahren global ein Umsatzminus. Inflationsbereinigt sanken die Einnahmen der umsatzstärksten Waffenschmieden 2022 um 3,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Dafür gibt es im Wesentlichen einen Grund, erläutert Lucie Béraud-Sudreau, die Direktorin des Sipri-Programms für Militärausgeben und Waffenproduktion: Die Top-100 Liste wird von den US-Branchenriesen dominiert, die global für über die Hälfte der Umsätze stehen. Und die hätten ihre Produktionskapazitäten nicht rasch genug der gestiegenen Nachfrage anpassen können.
Hindernisse seien fortgesetzter Arbeitskräftemangel sowie steigende Kosten und Unterbrechungen der Lieferketten gewesen, die durch den Krieg in der Ukraine verschärft worden seien. Außerdem hätten viele Länder erst spät im Jahr Waffen und Dienstleistungen bestellt, sodass sich aufgrund der Verzögerung zwischen Bestellungen und Produktion der Nachfrageschub 2022 noch nicht in den Umsätzen dieser Unternehmen widergespiegelt habe.
Sinkende Umsätze
Die Folge: Bei 32 der 42 US-Unternehmen auf der Top-100-Liste sind die Umsätze mit militärischen Gütern und Dienstleistungen gesunken: um insgesamt 7,9 Prozent auf 302 Milliarden Dollar. Hinter den USA platzierten sich die acht chinesischen Rüstungskonzerne mit einem um 2,7 Prozent auf 108 Milliarden Dollar gestiegenem Umsatz auf Platz 2. Die Daten der russischen Konzerne bewertet Sipri als unzuverlässig, „die Transparenz nimmt weiter ab“.
Wenn die Konkurrenz aus Asien, Ozeanien und dem Nahen Osten 2022 einen deutlichen Anstieg ihrer Umsätze verzeichnen konnten, so stellen sie damit laut Sipri „ihre Fähigkeit unter Beweis, innerhalb kürzerer Zeit auf die gestiegene Nachfrage zu reagieren“: Dies gelte insbesondere für Länder, in denen Rüstungsunternehmen über flexible Fertigungskapazitäten verfügten, wie in Israel und Südkorea, und für die, „die sich auf kurze Lieferketten stützen können“.
Insgesamt stiegen die Umsätze der 22 in der Rangliste aufgeführten Unternehmen aus Asien und Ozeanien um 3,1 Prozent auf 134 Milliarden US-Dollar und übertrafen damit im zweiten Jahr in Folge die der europäischen Unternehmen auf der Top-100-Liste. Der Umsatz der 26 europäischen Konzerne wuchs leicht um 0,9 Prozent auf 121 Milliarden Dollar.
Material für Zermürbungskriege erfolgreich
Vor allem die Produzenten von Munition und gepanzerten Fahrzeugen in Norwegen, Deutschland und Polen hätten profitiert, sagt Sipri-Forscher Lorenzo Scarazzato: „Material eben, das für einen Zermürbungskrieg geeignet ist.“ Polens PGZ steigerte seine Waffeneinnahmen um 14 Prozent, Kongsberg aus Norwegen um 12 Prozent. Die deutschen Waffenschmieden Rheinmetall und Hensholdt um 6 beziehungsweise 6,9 Prozent, Diehl um 13 Prozent.
Der Umsatz von KNDS, einer französisch-deutschen Holding aus dem Nexter-Konzern und Krauss-Maffei Wegmann, wuchs um 11 Prozent. Thyssen-Krupp lieferte weniger Marineschiffe ab, weshalb man als einziger deutscher Top-Konzern im militärischen Geschäftsbereich ein Umsatzminus von 16 Prozent verbuchte.
Den größten Umsatzsprung auf der Sipri-Liste machte mit 94 Prozent die türkische Baykar: „Aufgrund wachsender Verkäufe von Bayraktar TB-2 Drohnen, die von der Ukraine während des Krieges ausgiebig genutzt wurden.“ Die türkische Rüstungsbranche ist nun mit vier statt bislang zwei Unternehmen auf der Rangliste vertreten, zusammen kamen sie auf ein Plus von 22 Prozent. Es seien Unternehmen, „die sich auf technologisch weniger anspruchsvolle Produkte spezialisiert haben und ihre Produktion als Reaktion auf die steigende Nachfrage schneller steigern konnten“, sagt der Sipri-Forscher Diego Lopes da Silva.
Für 2023 und die Zukunft rechnet Sipri angesichts voller Orderbücher und weiterhin steigender Nachfrage nach Waffen mit einem „weiteren signifikantem Anstieg der Branchenumsätze“. Von einer „düsteren Entwicklung“ sprach der Sipri-Waffenhandels-Forscher Pieter D. Wezeman kürzlich in einem Interview. In weiten Teilen der Welt „herrscht die Überzeugung, dass Waffen eine wichtige Rolle bei der Verteidigung von Ländern und der Verhinderung von Konflikten spielen“: „Die Möglichkeiten für Abrüstung und Rüstungsbegrenzung sind noch geringer als früher.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken