piwik no script img

Rekrutierung von Ukrainern im AuslandSchwierige Einberufung

Anastasia Magasowa
Kommentar von Anastasia Magasowa

Die ukrainische Armee braucht Männer. Die Regierung plant, männliche Geflüchtete ins Land zurückzubringen. Das ist aber praktisch nicht realisierbar.

Soldaten der 56. Brigade in der Region Bakhmut, Ende November Foto: Madeleine Kelly/ZUMA Wire/imago

D ie ukrainische Armeeführung bittet um weitere 450.000 bis 500.000 Männer für den Einsatz an der Front mobilisieren. Die Zahlen zeigen, wie ernst die Lage ist. Die Verluste müssen ersetzt werden. Außerdem brauchen Soldaten, die seit zwei Jahren an der Front kämpfen, dringend eine Ablösung. Eine physisch und moralisch erschöpfte Armee erleidet noch größere Verluste – doch Wolodymyr Selenskyj hat es nicht eilig.

Im Gegensatz zu Russland, das über schier unendliche Mobilisierungsressourcen verfügt, fehlt es der Ukraine daran. Abhilfe soll die Rückkehr der Männer, die ins Ausland gegangen sind, schaffen. Wer die Einberufung ignoriere, müsse mit Sanktionen rechnen, warnte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Es sei „keine Strafe, für das eigene Land einzutreten und dem Land zu dienen“, sondern eine Ehre, meinte er und stieß damit vor allem in Deutschland, wo nach unterschiedlichen Schätzungen derzeit rund 190.000 ukrainische Geflüchtete im wehrpflichtigen Alter leben, auf heftige Reaktionen.

Das Ministerium stellte klar, dass Umjerow nicht von Mobilmachung gesprochen habe, sondern von freiwilliger Meldung zum Dienst. Der Minister habe den Ukrainern im Ausland signalisieren wollen, wie wichtig es sei, jetzt in die Armee einzutreten. Vorläufig gebe es jedoch keine Diskussionen über Mechanismen zur Einberufung.

Ob es eine solche Diskussion gibt oder nicht – sicher ist, dass hier ein Test unternommen wird, um mögliche Reaktionen zu beobachten. Hinzu kommt, dass in der erschöpften ukrainischen Gesellschaft der Ruf nach Gerechtigkeit immer lauter wird. Ehefrauen, Mütter und Töchter von Männern an der Front verstehen nicht, warum sie ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter unbeschwert in europäischen Städten herumlaufen sehen, während die eigenen Ehemänner und Söhne kämpfen.

Ehefrauen, Mütter und Töchter von Männern an der Front verstehen nicht, warum ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter unbeschwert in europäischen Städten herumlaufen.

Trotz des moralischen Aspekts des Problems ist es unwahrscheinlich, dass die Ukraine in der Lage sein wird, einen effektiven Mechanismus zu entwickeln, um geflüchtete Männer zurück in ihr Land zu bringen. Darüber hinaus ist unklar, ob eine solche Einberufung alle Männer trifft oder nur die, die das Land illegal verlassen haben. Gleichzeitig ist es schwierig vorherzusagen, wie viele Männer sich tatsächlich weigern würden, einem solchen Befehl Folge zu leisten, denn Tausende sind bereits in die Ukraine zurückgekehrt.

Der Unwille, an der Front zu kämpfen, ist sehr verständlich. Klar ist aber auch, dass die Ukraine einen existenziellen Krieg gegen einen mächtigen Feind führt. Dieser Kampf wird von harten moralischen Entscheidungen begleitet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anastasia Magasowa
Anastasia Rodi (Magazova) ist 1989 auf der Krim (Ukraine) geboren. Studium der ukrainischen Philologie sowie Journalismus in Simferopol (Ukraine). Seit 2013 freie Autorin für die taz. Von 2015 bis 2018 war sie Korrespondentin der Deutschen Welle (DW). Absolventin des Ostkurses 2014 und des Ostkurses plus 2018 des ifp in München. Als Marion-Gräfin-Dönhoff-Stipendiatin 2016 Praktikum beim Flensburger Tageblatt. Stipendiatin des Europäischen Journalisten-Fellowships der FU Berlin (2019-2020) in Berlin. 2023 schloss sie ihr Studium am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin ab. Sie hat einen Master of Arts (Politikwissenschaft). Als Journalistin interessiert sie sich besonders für die Politik in Osteuropa sowie die deutsch-ukrainischen Beziehungen. Von den ersten Tagen der Annexion der Krim bis heute hat sie mehrere hundert Reportagen über den Krieg Russlands gegen die Ukraine geschrieben.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Man muss weder Pazifist, Antimilitarist oder in sonstiger Form eine ablehnende Haltung zum Kriegsdienst haben, um selbstverständlich zu wissen, was es für den Einzelnen und für die Gemeinschaft bedeutet, sein Land, seine Menschen und seine Werte mit der Waffe zu verteidigen. Dementsprechend kann man es wohl niemanden verübeln, wenn jemand versucht, nicht in die Situation zu geraten diesen höchsten Preis zahlen zu müssen. Andererseits wird der einzelne nicht um die Abwägung herumkommen, was es individuell bedeutet, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Neben den Folgen für die Verteidigungsfähigkeit eines Landes, wirkt sich eine solche Entscheidung zwangsläufig auch auf das Selbstbild und die eigene Rolle innerhalb der Gesellschaft aus. Wie stellt man sich nach dem Krieg ein Zusammenleben vor zwischen Kriegsversehrten, Veteranen, deren Müttern, Vätern, Frauen und Kindern und auf der anderen Seite Männern, die nicht bereit waren diese höchste Form der Loyalität zu geben. Ob es einem passt oder nicht, dieser tiefgreifende Konflikt wird nicht mit dem Ende des Krieges enden.

    • @Klaus Kuckuck:

      "...diese höchste Form der Loyalität..."



      Reichlich verklärt, finde ich.



      Wenn mensch zum Kriegsdienst gezwungen wird, ist das schwerlich als Loyalität zu verstehen.



      Gerade die unteren Schichten haben kaum eine Wahl und werden auf den Schlachtfeldern verheizt. Das war immer so.



      Auch das hat nichts mit Loyalität zu tun.

  • Wenn man dem ganzen schon entkommen ist, wäre man schön blöd, aus einer verklärenden Vaterlandsverpflichtung heraus nun Soldat zu werden. Da gibt es für mich kein moralisches Dilemma. Es gibt keine moralische Verpflichtung, das eigene Land zu "verteidigen". Abhauen ist völlig legitim.

  • Von einer ethisch schwierigen Frage zu sprechen grenzt an Kriegspropaganda.

    Man Stelle sich vor man sei aus einem hochkoruppten Land aus der Einflussperipherie Russlands in ein Nato Land gelangt welches auch noch wirtschaftlich ab der Spitze Europas steht und Arbeitskräfte braucht. Man hatt eine Arbeits und Bildungserlaubnis.

    Klar kann man sich dafür entscheiden zurück zu kehren. Aber man muss das auch realistisch betrachten. Was wird der eigene Einsatz für einen Effekt haben? Auf der einen Seite stehen steile Karrieremöglichkeiten für sich und die ganze Familie. Auf der anderen Seite steht im best Case PTSD I'm worst case hat es den Effekt sich vor einen Panzer zu werfen um ihn zu stoppen. Ja er wird langsamer, Wiederstand ist Wiederstand... Aber wie viel %?

    Respekt für die Entscheidung der Menschen die sich dennoch antun. Ich hoffe es war eine klare Entscheidung aber fürchte es war häufig eher eine emotionale.

    Der Effekt könnte größer sein eine Hackergruppe zu gründen als Gegenstück zu Putins Troll Armee. Deren online Propaganda zu sabotieren wäre vermutlich ein härterer Schlag als ein Fronteinsatz.

    Und wie gesagt man muss das ganze realistisch betrachten. Nehmen wir an die Ukraine gewinnt, nehmen wir zudem an der Soldat übrrsteht es körperlich und geistig unversehrt. Die Ukraine wird die Männer auch nach dem Krieg das Land nicht verlassen lassen. Ein Land das dann zu 50% zerbombt und zu 30% vermient ist. Und die in Deutschland geblieben sind sprechen ev. mittlerweile gut genug Deutsch, haben Ausbildung oder Studium abgeschlossen und ein gut bezahlten Job.

    • @sociajizzm:

      "I'm worst case hat es den Effekt sich vor einen Panzer zu werfen um ihn zu stoppen. Ja er wird langsamer, Wiederstand ist Wiederstand... Aber wie viel %?"

      0%. Wird vom Fahrwerk ausgeglichen. Wahrscheinlich merkt es die Besatzung nicht einmal...

  • Flucht ist Menschenrecht. In einer Demokratie kann und darf eben jeder selber wählen, ob er süß und ehrenvoll fürs Vaterland im Heldentod krepieren will, von dem der Rest seiner Familie dann eben nichts hat, oder eben woanders fernab des Kriegswahnsinns weiter sein Leben lebt.

    Der Heldentod ist sowas von 19. Jahrhundert, schließlich ist der endgültig. Die Leute, die geflohen sind, wissen schon, warum.

  • Ich möchte gerne einmal anmerken dass ich weder zur Zeit meines Zivildienstes, noch heute, dazu bereit wäre Deutschland mit der Waffe zu verteidigen. Die Praxis ukrainische Männer zum Kriegsdienst an der Waffe zu zwingen ist für mich nicht akzeptabel.

    • @Verboten:

      Ich darf ergänzen, dass das Grundgesetz zwar das Recht kennt, aus *Gewissensgründen* den *Dienst mit der Waffe* zu verweigern - und zwar nur diesen. Frontnaher Einsatz im Lazarett wäre durchaus möglich.

  • Oh,oh, das wäre Leibeigenschaft.



    Es sollte für jede/n freiwillig sein.



    Zwang geht gar nicht!



    Es war abzusehen, es wird soldatenmässig nicht reichen. Russland hat viel mehr Möglichkeit, Menschen an die Front zu schicken.