Rekrutierung von Ukrainern im Ausland: Schwierige Einberufung
Die ukrainische Armee braucht Männer. Die Regierung plant, männliche Geflüchtete ins Land zurückzubringen. Das ist aber praktisch nicht realisierbar.
D ie ukrainische Armeeführung bittet um weitere 450.000 bis 500.000 Männer für den Einsatz an der Front mobilisieren. Die Zahlen zeigen, wie ernst die Lage ist. Die Verluste müssen ersetzt werden. Außerdem brauchen Soldaten, die seit zwei Jahren an der Front kämpfen, dringend eine Ablösung. Eine physisch und moralisch erschöpfte Armee erleidet noch größere Verluste – doch Wolodymyr Selenskyj hat es nicht eilig.
Im Gegensatz zu Russland, das über schier unendliche Mobilisierungsressourcen verfügt, fehlt es der Ukraine daran. Abhilfe soll die Rückkehr der Männer, die ins Ausland gegangen sind, schaffen. Wer die Einberufung ignoriere, müsse mit Sanktionen rechnen, warnte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Es sei „keine Strafe, für das eigene Land einzutreten und dem Land zu dienen“, sondern eine Ehre, meinte er und stieß damit vor allem in Deutschland, wo nach unterschiedlichen Schätzungen derzeit rund 190.000 ukrainische Geflüchtete im wehrpflichtigen Alter leben, auf heftige Reaktionen.
Das Ministerium stellte klar, dass Umjerow nicht von Mobilmachung gesprochen habe, sondern von freiwilliger Meldung zum Dienst. Der Minister habe den Ukrainern im Ausland signalisieren wollen, wie wichtig es sei, jetzt in die Armee einzutreten. Vorläufig gebe es jedoch keine Diskussionen über Mechanismen zur Einberufung.
Ob es eine solche Diskussion gibt oder nicht – sicher ist, dass hier ein Test unternommen wird, um mögliche Reaktionen zu beobachten. Hinzu kommt, dass in der erschöpften ukrainischen Gesellschaft der Ruf nach Gerechtigkeit immer lauter wird. Ehefrauen, Mütter und Töchter von Männern an der Front verstehen nicht, warum sie ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter unbeschwert in europäischen Städten herumlaufen sehen, während die eigenen Ehemänner und Söhne kämpfen.
Trotz des moralischen Aspekts des Problems ist es unwahrscheinlich, dass die Ukraine in der Lage sein wird, einen effektiven Mechanismus zu entwickeln, um geflüchtete Männer zurück in ihr Land zu bringen. Darüber hinaus ist unklar, ob eine solche Einberufung alle Männer trifft oder nur die, die das Land illegal verlassen haben. Gleichzeitig ist es schwierig vorherzusagen, wie viele Männer sich tatsächlich weigern würden, einem solchen Befehl Folge zu leisten, denn Tausende sind bereits in die Ukraine zurückgekehrt.
Der Unwille, an der Front zu kämpfen, ist sehr verständlich. Klar ist aber auch, dass die Ukraine einen existenziellen Krieg gegen einen mächtigen Feind führt. Dieser Kampf wird von harten moralischen Entscheidungen begleitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei