Israel und die Hamas schließen Deal

Im Gegenzug zu einer viertägigen Feuerpause wollen die Terroristen 50 Geiseln freilassen. Das Rote Kreuz soll dabei den Austausch überwachen. Vor allem für die Menschen in Gaza dürfte die Unterbrechung der Kämpfe eine Entlastung bringen

30 Kinder, acht Mütter und zwölf ältere Frauen sollen laut israelischen Medien­berichten aus der Hamas-Geiselhaft freikommen Foto: Amir Levy/getty images

Aus Kairo und Jerusalem Karim El-Gawhary
und Felix Wellisch

Fast wollte niemand in Israel mehr an die Möglichkeit einer Einigung glauben. Zu häufig waren Fortschritte bei den Verhandlungen über eine Freilassung der rund 240 von der Hamas entführten Geiseln gemeldet worden, ohne dass ein Ergebnis folgte. Nun gibt es zumindest einen Teilerfolg, der auch die Zivilbevölkerung im Gazastreifen entlasten könnte: Ab Donnerstag sollen die Waffen schweigen und könnten erste Geiseln nach Israel zurückkehren.

Nachdem die israelische Regierung dem Deal in der Nacht zugestimmt hatte, erklärte die Hamas am Mittwoch, dass die Feuerpause ab Donnerstagvormittag gelten soll. Den verkündeten Beginn um 10 Uhr bestätigte Israel am Mittwoch zunächst jedoch nicht. Die Feuerpause soll zunächst vier Tage dauern. Israels Regierung erklärte sich zudem bereit, 150 in Israel gefangen gehaltene Palästinenser freizulassen. Im Gegenzug sollen mindestens 50 Geiseln freigelassen werden, laut israelischen Medienberichten 30 Kinder, 8 Mütter und 12 ältere Frauen, die bei dem Hamas-Angriff am 7. Oktober verschleppt wurden. Bislang waren lediglich vier Frauen freigelassen worden. Zudem wurde nach Armeeangaben eine 19-Jährige befreit und wurden zwei Geiseln tot aufgefunden.

Tritt die Feuerpause tatsächlich in Kraft, wäre dies die erste längere Unterbrechung der Kämpfe in dem seit bald sieben Wochen andauernden Krieg. Während der Feuerpause sollen jeden Tag rund ein Dutzend Geiseln freigelassen werden. Anschließend könnte sie über die anfänglichen vier Tage hinaus verlängert werden. Dafür müssten laut israelischer Regierung für jeden weiteren Tag 10 weitere Geiseln freikommen. Israel geht davon aus, dass insgesamt 80 Geiseln befreit werden könnten. Mehr als zehn Tage soll die Feuerpause jedoch nicht gelten.

Vorbei ist der Krieg in Gaza also voraussichtlich nicht. „Wir werden nach der Waffenruhe nicht aufhören“, sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vor einem Treffen mit seinem Kabinett am Mittwochabend. Das erklärte Ziel – die Zerstörung der Hamas – werde weiter verfolgt, deutete auch Armeesprecher Daniel Hagari an. Netanjahu machte deutlich, dass zu dem Abkommen auch Besuche des Roten Kreuzes bei den nicht freigelassenen Geiseln gehörten. Diese sollen zudem mit Medikamenten versorgt werden, berichtete die Zeitung Ha’aretz. Auch die Forderung des Hamas-Anführers in Gaza, Yahya Sinwar, nach täglichen Pausen der israelischen Luftüberwachung des Gazastreifens mit Drohnen wurde in das Abkommen aufgenommen.

In Israel stimmten dem Vorschlag trotz anfänglicher Kritik die meisten Regierungsmitglieder zu. Nur Abgeordnete der rechtsextremen Partei „Jüdische Kraft“ um den ultranationalistischen Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, lehnten den Deal ab.

Bei den palästinensischen Gefangenen, die freikommen sollen, handelt es sich um Häftlinge, denen unter anderem das Werfen von Brandbomben, Brandstiftung oder Messerattacken zur Last gelegt werden. Israel hat die Namen von insgesamt 300 Personen veröffentlicht, die infrage kommen. 123 davon sind unter 18 Jahren. Die Jüngsten sind demnach 14 Jahre alt. 33 Häftlinge sind Mädchen oder Frauen.

Für die Menschen im Gazastreifen könnte die vereinbarte Kampfpause eine dringend nötige Entlastung bringen. Während die Waffen schweigen, sollen Treibstoff und andere Hilfsgüter in den von der Außenwelt abgeschnittenen Küstenstreifen gelangen. Seit Kriegsbeginn sind dort nach Angaben des von der Hamas geführten Gesundheitsministeriums mehr als 14.000 Menschen getötet worden, zwei Drittel von ihnen Frauen und Kinder. Laut UN wurden rund 1,7 der gut 2 Millionen Bewohner innerhalb des Gebiets vertrieben. Es fehle an Nahrung, Trinkwasser und medizinischer Versorgung.

Der US-Sondergesandte für humanitäre Angelegenheiten in Gaza, David Satterfield, sagte, die Kampfpause sei „eine entscheidende Gelegenheit, so viel humanitäre Hilfe wie möglich nach Gaza zu bringen“. Bisher sei die Hilfe vor allem aus UN-Mitteln und von arabischen Staaten gekommen. „Wir müssen mehr tun“, forderte er. Erst seit der zweiten Oktoberhälfte lässt Israel eine begrenzte Zahl an Hilfslieferungen über den ägyptischen Grenzübergang Rafah zu. Die israelische Führung fürchtet, dass die gelieferten Güter, allen voran Treibstoff, in die Hände der Hamas gelangen könnten. Satterfield widersprach: „Wir haben keinerlei Beweise über irgendwelche entwendeten Hilfsgüter seit dem 21. Oktober.“

Als eines der größten Hindernisse für eine Einigung erwies sich

die Kommunikation mit Hamas-Vertretern

Über den Deal zwischen Israel und der Hamas war schon seit Wochen in Doha, der Hauptstadt Katars, verhandelt worden. Involviert waren neben dem Golfstaat auch Ägypten sowie die USA, die die Interessen Israels vertraten. Verhandelt wurde seit den ersten Tagen des Konflikts, als US-Außenminister Antony Blinken nach Doha reiste. Laut ägyptischen Sicherheitskreisen, die von der ägyptischen Nachrichtenplattform Mada Masr zitiert werden, halfen auch indirekte Treffen zwischen Hamas-Vertretern und hohen israelischen Sicherheitsbeamten in Kairo dabei, die letzten Details zu klären.

Die grundsätzliche Idee einer phasenweisen Freilassung von Geiseln im Gegenzug zu einem mehrtägigen Waffenstillstand und der Möglichkeit, massiv humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu bringen, lag dabei schon lange auf dem Tisch. Die Freilassung der vier israelischen Geiseln im Oktober diente als Testballon für Israel und die Hamas, um Vertrauen in den Verhandlungsprozess zu gewinnen.

Als eines der größten Hindernisse erwies sich die Kommunikation mit der Hamas, die mit Beginn des Krieges untergetaucht war. Die Schwierigkeit bestand offenbar vor allem darin, in einem aktiven Kriegsgebiet, in dem Israel nicht nur bombardiert, sondern auch mit Bodentruppen anwesend ist, Botschaften in und aus dem Gazastreifen zu schicken. Hier war Mada Masr zufolge auch der ägyptische Geheimdienst mit seinen Kontakten in den Gaza­streifen von Bedeutung. Dennoch hätten sich untergetauchte Hamas-Ansprechpartner manchmal tagelang nicht zurückgemeldet, während man in Katar auf Antwort wartete. Eine weitere Hürde, so ein Sprecher der katarischen Regierung, sei die Forderung Israels und der USA an die Hamas gewesen, Beweise zu liefern, dass die Geiseln noch leben.