Debatte um die Haushaltskrise: Spielraum trotz Schuldenbremse
Weg mit der Schuldenbremse? Das ist unrealistisch. Man sollte das Karlsruher Urteil zum Haushalt genau lesen: Zusatzkredite sind weiterhin möglich.
D ie Forderung, die Schuldenbremse abzuschaffen oder umzugestalten, bringt zur Lösung der aktuellen Haushaltskrise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts überhaupt nichts und lenkt nur ab. Eine Verfassungsänderung benötigt eine Zweidrittelmehrheit, die ist bis auf Weiteres nicht zu sehen. Punkt. Entscheidend ist, dass die Ampel sich darauf verständigt, die Möglichkeiten zu nutzen, die das Urteil dem Bundestag belässt. Beschlüsse zur Anwendung der Notlagenklausel sind mit einfacher Mehrheit des Bundestags möglich. Diese einfache Mehrheit hat die Koalition, hier ist sie handlungsfähig.
Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich nicht verboten, mehrjährige Konjunkturprogramme als Reaktion auf unabsehbare Notlagen mit Zusatzkrediten jenseits der Schuldenbremse zu finanzieren. Das Gericht hat dafür aber „jährlich wiederholte Feststellungen der Notlagensituation“ gefordert. Das heißt: Die Schulden dürfen nicht einmalig 2021 verbucht werden, wenn das Geld erst 2024, 2025 und 2026 ausgegeben wird.
Beim „Veranlassungszusammenhang“ zwischen Notlage und Geldausgeben hat das Gericht dem Bundestag sogar einen „Beurteilungsspielraum“ gegeben, und die Karlsruher Richter:innen haben ihre eigene „Kontrolldichte“ zurückgenommen. Allerdings muss die Begründung des Bundestags umso präziser sein, je länger die Ausgaben zeitlich vom auslösenden Ereignis entfernt sind. Nicht nur die Corona-Pandemie ist eine derart fortwirkende Großkrise. Auch der Ukrainekrieg, der einen weitgehenden Umbau der Energieversorgung erforderte, rechtfertigt juristisch die „jährlich wiederholte“ Durchbrechung der Schuldenbremse.
Es dürfte Finanzminister Christian Lindner leicht fallen, solche jährlichen Beschlüsse des Bundestags zu akzeptieren, wenn er sich daran erinnert, dass die FDP den Ausgaben ja bereits zugestimmt hat. Nach dem Karlsruher Urteil soll ja nicht mehr ausgegeben werden als geplant, die Ausgaben müssen nur präziser begründet und korrekt verbucht werden. Das sollte doch machbar sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen