Vorne dran sein, ist was anderes als exzentrisch

Eine Ausstellung in Hamburg spürt nach, wie die große Künstlerin der Selbstinszenierung, Cindy Sherman, zur Mode steht. Warum erst jetzt?

Das Spiel mit Rollen, Normen und sich selbst ist der Mode nicht fremd: Cindy Sherman, Untitled #602, 2019   Foto: Sammlung Gilles Renaud, © Cindy Sherman, Courtesy der Künstlerin und Hauser & Wirth

Von Alexander Diehl

Dass es so lange gedauert hat, habe die Künstlerin überrascht. Davon konnte dieser Tage Alessandra Nappo berichten: Die ehemalige Kuratorin der Staatsgalerie Stuttgart war nach Hamburg gekommen, zur Eröffnung der zweiten Station von „Cindy Sherman: Anti-Fashion“. Konzipiert und zuerst gezeigt worden war die Ausstellung in Stuttgart. Sherman begutachte und bewillige immer noch jedes Konzept persönlich, so Nappo, und von der Idee, auf ihr Verhältnis zur Mode zu schauen, sei sie begeistert gewesen – und habe eben gefragt: Wieso erst jetzt?

Denn wie ein roter Faden zieht sich die Mode durch das knapp 50 Jahre umspannende Werk der US-amerikanischen Fotokünstlerin, das arbeitet diese Ausstellung heraus. Inszenierung und Verkleidung des Frauenkörpers, zuallererst ihres eigenen Körpers, sind ja, wofür Sherman bekannt ist – und beides ist immer auch Aufgabe der Mode gewesen. Selbst in ihrer wohl bekanntesten Serie, den in Hamburg nicht berücksichtigten „Untitled Film Stills“, tragen Kleidungsstücke, Accessoires und Frisuren bei zur trügerischen Authentizität dieser vermeintlichen Standbilder aus einem Film Noir oder einem Streifen des italienischen Neorealismus. Gedreht worden sind sie ja nie.

Die Schau stellt eine Künstlerin vor, die sich zu jeder Zeit für Mode interessiert hat; für die Rollenbilder, die sie transportiert, für die Normen, die darin zum Ausdruck kommen und auch mal neu ausgehandelt werden. Kommentiert nicht der frühe Stop-Motion-Kürzestfilm „Paper Dolls“ (1975) bereits eine Gängelung der Mode tragenden Frau? Da sucht sich eine Cindy Sherman aus Papier selbst ein ebenfalls zweidimensionales Kleid aus, bewundert sich darin im Spiegel – bis eine riesige Menschenhand alles wieder zurück in die entsprechenden Plastiktaschen steckt. Was schön ist, bestimmt nicht jede für sich, so könnte das gemeint sein. Alle Individualität, die auszudrücken Mode helfen kann, hat ihre Grenzen, und vorne dran sein beim letzten (oder nächsten) Trend ist etwas anderes als schlicht exzentrisch.

Wohlgemerkt, Sherman hat für Modefirmen und -magazine gearbeitet, ist also keine Gegnerin des Betriebs. Es ist ein schillerndes Verhältnis, das sie zu verbinden scheint mit ihren teils extrem hochpreisigen Auftraggebern. Anfangs stand es unter keinem guten Stern. 1984 sollte Sherman eine Dorothée-Bis-Kollektion fotografieren, das Unternehmen fand aber zu „schockierend“, was sie dann lieferte: Selbstinszenierungen als zurückhaltende, auch ängstlich wirkende Frau, mit teils vernarbtem Gesicht.

Solche Bilder brachten ihr aber später Jobs etwa für das Label Comme des Garçons ein: Ihre Fotografien aus den 1990er Jahren für die japanische Modemarke waren eine Antithese zu den ästhetischen Standards der Industrie. Sherman zeigt sich darauf stark geschminkt, mit dicken Wangen und übergroßen Augen. Heute erscheinen uns solch groteske Inszenierungen kaum noch für Werbung ungeeignet.

Was schön ist, bestimmt nicht jede für sich, so könnte das gemeint sein in „Paper Dolls“

Rund 50 Bilder umfasst die Stuttgarter Auswahl, in Hamburg erweitert um Stücke anderer Künst­le­r:in­nen der Pictures Generation aus der Sammlung Harald Falckenbergs: Richard Prince’Autogrammkarten von Filmstar Sylvester Stallone oder der Phantasyfigur „Xena, Warrior Princess“ arbeiten dann das Absurde unserer Star-Verehrung nochmal anders heraus. Bei Prince wie bei Sherman ist die Kunst nicht losgelöst vom Massenmedialen, Trivialen, Hässlichen.

Shermans Inszenierungen sind auch immer wieder komisch. Ihre Bilder, mit den Jahren zunehmend digital bearbeitet, stehen häufig an einem Kipppunkt, an dem der gekonnte Umgang mit dem Trend in eine selbstvergessene Lächerlichkeit umschlägt – auch, aber nicht erst im Zeitalter des Selfies. Auf „Untitled #462“ zeigt sie sich gleich doppelt als angejahrte Partykönigin mit Daunenjacke, Goldkettchen und Eulenbrille. Sie mögen fashion victims sein, diese beiden nur im Bild existierenden Balen­cia­ga-­Kundinnen, an einer billigen Gelegenheit, sich solchen Charakteren überlegen zu fühlen, scheint Sherman aber kein bisschen interessiert. Da liegt die Hässlichkeit ganz im Auge des Betrachters.

Cindy Sherman – Anti-Fashion: Deichtorhallen/Sammlung Falckenberg, Hamburg-Harburg, bis 3. März 2024. Katalog: 38 Euro