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Möge Allah die Juden und so weiter

Abdel-Hakim Ourghi streitet für einen säkularen Islam und möchte mit seinem Buch „Die Juden im Koran“ muslimischen Judenhass freilegen

Von Till Schmidt

Haibar, Haibar, oh ihr Juden! Muhammads Heer wird bald wiederkehren!“ Auch auf vielen antiisraelischen Demonstrationen in Deutschland ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Hetzparole zu hören ist. Der Schlachtruf bezieht sich auf ein Ereignis im Jahr 628, als Muhammad und Anhänger seiner Gemeinde drei jüdische Stämme aus der Oase von Haibar vertrieben, massakrierten oder versklavten.

Heute ist der Feldzug von Haibar eine zentrale Referenz in der Bilderwelt des muslimischen Antisemitismus. Für den Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi steht das Ereignis exemplarisch für den gewalttätigen Teil der frühislamischen Geschichte, die Gegenstand seiner neuen Studie „Die Juden im Koran“ ist.

Ourghis Buch ist aber weniger eine detaillierte Diskursanalyse zur Repräsentation von Juden im Koran; auch geht es ihm nicht um eine ausführliche Abhandlung der jahrhundertelangen Geschichte von Juden inmitten muslimischer Mehrheitsgesellschaften. Erklärtermaßen verfolgt Ourghi mit seinem Buch vor allem ein dezidiert politisches Ziel: Über eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und den kanonischen Texten sollen aufklärerische Reformprozesse unter Muslimen im Hier und Jetzt angestoßen werden.

Abdel-Hakim Ourghi: „Die Juden im Koran: Ein Zerrbild mit fatalen Folgen“. Claudius Verlag, München 2023, 264 Seiten, 26 Euro

Abdel-Hakim Ourghi kam im Alter von 23 Jahren aus Algerien nach Deutschland – wie er schreibt als „indoktrinierter Antisemit“. Heute leitet er den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Als Publizist tritt er öffentlich und streitbar für einen reformierten, säkularen Islam ein. Mittlerweile ist Ourghi ein fester und wichtiger Bestandteil des deutschen Islamdiskurses. Gegenwind erfährt er vor allem von den konservativen Islamverbänden.

Wen genau Ourghi mit seinem neuen Buch erreichen will, bleibt aber weitgehend unklar. Pädagogische oder politische Handlungsempfehlungen finden sich in „Die Juden im Koran“ nur sehr vereinzelt. Einer breiten Leserschaft, ob muslimisch oder nicht, dürfte Ourghis akademischer, mitunter polemischer Stil nur wenig zuträglich sein. Für einen fachwissenschaftlichen Beitrag hingegen geht sein Buch in weiten Teilen zu wenig in die Tiefe.

So nimmt Ourghi etwa keine konzeptuelle Erörterungen von zentralen Begriffen wie Antisemitismus und Antijudaismus vor. Darüber hinaus bleibt er für einige pointiert vorgebrachte Thesen in seinem Text die Beweisführung schuldig. So etwa zum starken Einfluss der islamischen Kleidervorschriften auf die antijüdischen Maßnahmen des historisch bedeutenden IV. Laterankonzils der römisch-katholischen Kirche im Jahr 1215.

Ourghi kam, wie er schreibt, als „in­dok­tri­nier­ter Antisemit“ nach Deutschland

Es ist wichtig, dass Ourghi an die Eigenverantwortung von Muslimen appelliert sowie ihre Handlungsmacht und ihren Einfluss auf historische Entwicklungen hervorhebt. Aber muss es wirklich sein, die früheren diskriminierenden Kleidervorschriften in muslimischen Dominanzgesellschaften kurz und knapp als Vorform des nationalsozialistischen Judensterns darzustellen? In der Debatte, die nicht nur, aber eben auch von antimuslimischen Ressentiments und NS-Relativierung geprägt ist, helfen solche polemischen Spitzen kaum weiter.

Ourghis Buch zielt darauf ab, romantisierende Geschichtsnarrative zu entkräften und auf die Gewaltgeschichte von Minderheiten unter muslimischer Herrschaft aufmerksam zu machen. Das ist ein politisch wichtiges Anliegen. Doch zu diesen Themen ist bereits viel und wesentlich ausführlicher geschrieben worden. Für ein Buch, das sich am Ende wohl unspezifisch an eine allgemeine Öffentlichkeit richtet, leistet „Die Juden im Koran“ leider zu wenig.

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